Soll Israel vom ESC ausgeschlossen werden?

Sängerin Eden Golan kommt ins Finale – Proteste auf den Straßen – Erste Camps in Deutschland

Studenten protestieren Anfang Mai vor der Humboldt-Uni in Berlin (Bild: REUTERS/Lisi Niesner)
Studenten protestieren Anfang Mai vor der Humboldt-Uni in Berlin. (Bild: REUTERS/Lisi Niesner)

Die Sängerin Eden Golan ist in einem Hotel in Malmö, und draußen wird demonstriert. Rund 5000 zogen durch die Straßen, unter ihnen die Klimaaktivistin Greta Thunberg. Sie fordern: Die da oben soll nicht singen. Währenddessen trudeln Mordaufrufe gegen Golan ein. Kümmert das eigentlich die Protestierenden auch? Da kommt jemand in ihr Land und kriegt so ziemlich das elementar Böseste zu hören? Was hat Golan diesen Protestierenden getan? Ist es der Pass, den sie in der Tasche trägt?

Klar, auch Musik ist politisch. Und der ESC war es auch immer, konnte es nie vermeiden, denn dies käme einer Quadratur des Kreises gleich. Dennoch ist der ESC in erster Linie ein Ort der Zusammenkunft und des Feierns. Verbietet sich ein Feiern wegen des Leidens der Palästinenser in Gaza (und auch im Westjordanland, aber das fällt, wie so oft, unter den Tisch der internationalen Aufmerksamkeit)? Nein. Nirgendwo werden Feste abgesagt, warum sollte es nun den ESC treffen? Daher ist es ein Unding, dass die Protestierenden von Malmö im Schatten von Morddrohungen nicht gleich beidrehen.

Auch erscheint mir der Boykottaufruf, der aus einigen Ländern kommt, wie ein Westentaschenformat. Die Situation zwischen Israelis und Palästinensern ist derart verhärtet und verfahren, dass nicht davon auszugehen ist, dass nur ein Israeli durch einen Boykott seiner Landesvertreterin beim ESC denkt: Hm, vielleicht sollten wir mit den Palästinensern doch anders umgehen…

Dieser Boykott verstärkt nur Verhärtungen. Haben Juden damit doch Erfahrungen gemacht, die viele Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte zurückliegen – und die niemals nur ein Jota gerechtfertigt gewesen waren. Das macht jeden "Boykott" von heute in diesem Kontext von Beginn an verfehlt, weil er sich in eine unmenschliche Tradition stellt.

Spätestens an dieser Stelle wird die Frage aufkommen, ob einem das Leid der Palästinenser gleichgültig sein solle. Ob man Israel dafür nicht kritisieren dürfe. Leid darf niemals relativiert werden. Und jenes in Palästina schreit nach einer Veränderung und endlichen Einlösung von Menschenrechten für alle. Druck muss also her. Aber jeder Boykott zielt vorbei. Da hat die Staatengemeinschaft einiges zu tun: Palästina muss als Staat anerkannt werden, die israelische Regierung hat finanzielle Daumenschrauben zu erhalten, während jede weitere Waffenlieferung an Israel weitergehen muss, weil Israel eben ein Land ist, das sich verteidigen können muss. Und es ist noch viel mehr zu reden.

Die Aktivisten auf der Straße aber machen vieles falsch. Das mag arrogant klingen, aber ihr Protest ist verengt, hat eben nicht allein ein Ende des palästinensischen Leids im Fokus. Ihm fehlt

  • der Blick auf den 7. Oktober 2023, der kein antikolonialer Widerstandsakt war, sondern Terror,

  • der Blick auf Israel, das kein Kolonistenprojekt ist, sondern ein Land,

  • der Blick auf die Kontinuitäten des Antisemitismus, den man wirklich nicht toll finden kann, und auch nicht unter "ferner liefen" verstecken sollte.

Da ist es schon interessant, dass sich der Dachverband der Studierendenschaften in Deutschland (fzs) für die Auflösung von Protestcamps an deutschen Unis ausgesprochen hat. Denn er hat einiges erkannt: Unter den Protestierenden sind durchaus unifremde Aktivisten, da wird etwas unterlaufen. Und der fzs erkennt eine Menge rassistisches Potenzial, gegenüber Israel und gegenüber Juden an sich. Der fzs ist gänzlich unverdächtig, irgendwie "rechts" zu sein, oder einer Raison unterworfen zu sein, die Werte opfert. Er sieht schlicht, was da gerade passiert.

Die Proteste gegen das Leid in Gaza und in Westbank müssen neue Inhalte finden. Sie produzieren nur Verengungen und Stillstände, und davon haben wir schon zur Genüge.