Was steckt wirklich in Macklemores Song über Israel und Palästina?

Rapper veröffentlicht Soli-Song für Studentenproteste – Israel wird im Lied hart angegangen

Rapper Macklemore bei einem Konzert in Düsseldorf im September 2023 (Bild: REUTERS/Thilo Schmuelgen)
Rapper Macklemore bei einem Konzert in Düsseldorf im September 2023. (Bild: REUTERS/Thilo Schmuelgen)

Songs werden zu Hymnen, wenn Massen sie tragen. So war es mit "Rais Lebled" des Tunesiers El Général, der das Lied des Arabischen Frühlings 2011 schuf und damit Hunderttausende auf die Straßen trieb.

Heute wird auch demonstriert, wieder sind die jungen Leute die ersten, vor allem Studenten – und die US-Universitäten sind ihre Schauplätze. Sie protestieren gegen den Krieg in Gaza. Der Rapper Macklemore hat nun ein Lied veröffentlicht, das ihre Hymne werden könnte. Jedenfalls wird es weltweit diskutiert. Was aber steckt genau drin?

"Hind's Hall" ist benannt nach einer Halle an der Columbia Universität in den USA, die von besetzenden Studenten so umbenannt wurde: in Erinnerung an ein sechsjähriges Mädchen namens Hind, welches in einem Krankenwagen in Gaza getötet wurde, nachdem schon ihre Verwandten umgebracht wurden – von einem israelischen Panzer.

Vorneweg: Macklemore thematisiert an vielen Stellen richtigerweise den tragischen und in diesem Ausmaß in keiner Weise gerechtfertigten Einmarsch israelischer Truppen in Gaza. Er prangert die Besetzung palästinensischen Bodens seit Jahrzehnten an. Zurecht kritisiert er den Westen, oder speziell seine Regierung in Washington D.C., die dem Wüten der Soldaten tatenlos zusehen. Doch was tun, angesichts des brutalen Kämpfens?

Studenten haben in der Geschichte oft den Finger in die Wunden einer Gesellschaft gelegt. In diesem Fall legen sie sich mit einer Doppelmoral an. Zum Schluss des Songs heißt es: "Was, wenn du in Gaza wärst? / Was, wenn es deine Kinder wären?" Natürlich würden wir dann das Leid der Palästinenser in Gaza mit anderen Augen sehen. Israel als befreundetes Land, als Bruder und Schwester, muss von diesem Leid, dass seine Soldaten verursachen, abgebracht werden. Nur wie?

Zuerst fällt auf, worüber Macklemore nicht rappt. Der 7. Oktober, mit dem die Invasion Gazas im Grunde begann, ist in die Weltgeschichte eingegangen: Niemand zwang die radikalislamische Terrorgruppe Hamas, loszuziehen und in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Menschen möglichst brutal zu ermorden und damit möglichst viele und schwere Traumata hervorzuholen. Dass Gaza vom israelischen Staat wie ein Gefängnis behandelt wurde, rechtfertigt diesen Ausflug ins Unmenschliche auch nicht. Hier geht es nicht um eine Ausflucht, um einen Whataboutism, sondern um Mitgefühl, das unteilbar ist. Ich kann nicht über Gaza schreiben, ohne an den 7. Oktober zu denken. Ihn wegzulassen, bedeutet den Blick zu verengen, und das Herz gleich mit.

Macklemore geht derweil ans Eingemachte. "Was ist bedrohend an Abtrennung und den Frieden Wollen?", fragt er anfangs. Das klingt unschuldig, nur verbirgt sich hinter dem Wort "divesting" die Übersetzung "abtrennen, loslösen, veräußern" und meint schlicht Boykott. Alles, was israelisch ist, soll aus Protest gegen den miesen Umgang mit Palästinensern boykottiert werden: kein wissenschaftlicher Austausch mehr, kein kultureller – was aber die Israelis zur angeblichen Vernunft bringen soll, sorgt seit Jahren nur für das Gegenteil, nämlich für Verhärtungen und Verbitterung. Warum? Weil Israelis als Nachfahren der Opfer von Judenhass noch in den Ohren das "Kauft nicht beim Juden" haben. Was gegen das Apartheid-System in Südafrika funktionierte, ist bei Israel vom Ansatz her fehl am Platze. Greift ein Boykott auf Mechanismen zurück, die antisemitische Wurzeln haben, ist er menschlich verfehlt.

Stattdessen müsste es noch viel mehr Austausch mit Israelis geben, mehr gemeinsames Arbeiten, Forschen, Musizieren, Reden. Und Druck braucht es auch. Den muss die Politik liefern. Sie darf nicht nur bedauern und warnen, sondern hat zu handeln. Sie muss fordern und von Israels Regierung verlangen, dass Palästinenser die Menschenrechte genießen wie die Bürger in Berlin, Madrid oder Tel Aviv. Geschieht das nicht, müssen Folgen her. Geld darf nicht mehr fließen, Schulden sind zurückzuverlangen. Das sollte nicht die Militärhilfen betreffen, denn Israel muss sich verteidigen können und braucht auch das Militär zur Abschreckung. Das ist aus Solidarität den Israelis nicht zu verwehren. Aber über die Finanzen ließe sich die eine oder andere Stellschraube bewegen.

Dann raunt Macklemore los. Er singt von "Politikern, die mit allen Mitteln dienen / der AIPAC, CUFI und all den Firmen". Das ist Verschwörungsquatsch. AIPAC ist eine proisraelische Lobbyorganisation in den USA, und Lobbying ist nicht verboten. AIPAC hat jedenfalls keine Politiker in der Tasche, da wird nichts gesteuert. Hier redet Macklemore wie Donald Trump, nur mit anderen Begriffen. Außerdem ist es ein Vorspiel zum Rauschen, Juden würden hier und da steuern, also das alte antisemitische Lügenlied.

Komisch ist auch, dass Macklemore öfters von "white supremacy" singt, der Herrschaft der Weißen in den USA, die es gab und gibt. Denn er verknüpft diesen Fakt mit Israel und Palästina. Denn Israelis sind für ihn im Song "Colonizer", also kolonisierende Siedler wie einst die Europäer, die in Amerika die Indianer metzelten. Die Palästinenser sind dann wohl in dieser Lesart die Opfer eines imperialistischen Westens mit Israelis als Pioniertrupp. Das ist historisch so falsch, dass sich aus diesen gebogenen Balken kein Haus bauen lässt: Juden begannen schon vor über hundert Jahren vor diesem imperialistischen Westen zu fliehen, weil er ihnen Menschenrechte verwehrte und sie bei Bedarf mordete. Und will der weißhäutige Macklemore einem dunkelhäutigen Israeli mit Wurzeln aus dem Südiran erzählen, er sei ein white supremacist, wenn er einen hellhäutigen Palästinenser (vielleicht hatte er Tscherkessen bei den Ahnen dabei, oder Kreuzzügler) diskriminiert?

Macklemore beschreibt Israel als einen Staat, der auf einem Apartheid-System beruhen müsse, der eine gewaltvolle Besatzung aufrechterhalte. Da geht einiges durcheinander. Besatzung gibt es, im Westjordanland, und sie ist schlimm und ungerecht. Israel bräuchte sie aber nicht. Und ob man das Apartheid nennen muss: Ich finde den Begriff nicht passend, weil er aus Südafrika stammt und beschrieb, wie Weiße Schwarze in einem Staat diskriminierten. Jüdische Israelis und Palästinenser in Westbank oder Gaza leben aber nicht in einem Staat. Warum es dann Apartheid nennen?

Dann fragt er, vielleicht will er die Antwort selbst nicht geben, "wo beginnt Genozid-Land nach deiner Definition"? In meiner jedenfalls nicht in Gaza. Schlimme Verbrechen werden dort von Soldaten begangen, aber ein Völkermord sieht anders aus. Punkt. Das Gerede von einem Genozid dient nur der Dämonisierung und Mobilisierung. Es ist falsch. Aber Macklemore surft längst weiter.

Am Ende des Songs spricht er US-Präsident Joe Biden an und sagt: "Ich wähle dich nicht im Herbst."

Wegen seines Verhaltens gegenüber Israel und Palästina soll Biden nicht gewählt werden. Keine Stimme für Biden aber bedeutet eine Stimme für Trump. Was Trump von Palästinensern hält, ist bekannt. Er als Präsident würde zu seinem alten Buddy Bibi Netanjahu gehen und ihm zu jedem fiesen Move gratulieren. Interessiert sich Macklemore für die Palästinenser, sollte er nicht Trump unterstützen, was er mit diesem Song tut.

Der Rapper ist Ausdruck einer Blase, der es wichtiger ist, wie sie sich findet, als wirklich an einer Verbesserung der Verhältnisse zu arbeiten. Die Studentenproteste finden teils in dieser Blase statt, sie sind für die Galerie und das eigene Wohlbefinden; da ist es dann auch für die Blase egal, wenn Trump ins Weiße Haus einzieht? Es ist ein Fluch, dass die so notwendige Auseinandersetzung des Westens mit seinem "kolonialen Erbe", das nur ein Ausbeutungssystem war, über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser gestülpt wird. Sie passt hier nicht. Sie dient nur einem Schwarz-Weiß-Denken, das sich letztlich antisemitischer Klischees bedient. Würde Hind noch leben, hätte sie davon nichts.

Nun ist also ein neuer Song in der Welt. Die Medien beschreiben ihn als "Anti-Israel-Lied". Keine Ahnung, ob Macklemore es so benennen würde. Wie aber schafft man es, "anti" gegenüber einem Land zu sein? Wie sähe ein Anti-Dänemark-Song aus, würden darin Hotdogs und Dünen verflucht? Das geht vielleicht nur, wenn man in einem Land kein Land sieht, keine gewachsene, vielfältige und demokratisch verfasste Gesellschaft wie in Israel, sondern ein Siedler-Projekt. Das klingt mehr nach kapitalistischen Gangstern, die sich etwas greifen. Kolonisten eben. Dieses Bild aber zerfällt zu Staub, sobald es den Boden der Tatsachen berührt. Macklemore könnte überlegen, ob sein Boykott komplexerer Gedankengänge tatsächlich so toll ist.