Dieses staubige Auto belegt keine Chemtrails

Die Verschwörungserzählung, dass Flugzeuge statt Kondensstreifen schädliche Chemikalien in die Luft sprühen, hält sich hartnäckig. Derzeit kursiert in sozialen Medien das Foto eines verschmutzten Autos mit der Behauptung, dass es sich dabei um "Chemtrail-Reste" handeln soll. Diverse Forschungseinrichtungen und Ministerien bestätigen jedoch übereinstimmend, dass Chemtrails nicht existieren. Eine wahrscheinlichere Erklärung für die Verschmutzungsmuster ist ausgewaschener Saharastaub.

Über dreitausend Mal wurde das Bild eines staubverschmutzten Autos mit irreführender Behauptung auf Facebook geteilt: "Reste der Wettermanipulation der Chemtrails. Aber den Schlafschafen wird es als Saharastaub verkauft", schrieb der Nutzer am 22. Juni 2024 dazu. In den Kommentaren reagierten einige Stimmen ironisch auf die Behauptung, doch zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer stimmten mit Aussagen wie "Dieser Staub ist wirklich nicht mehr normal!" zu.

Das identische Bild wurde mit übersetztem Text auch auf Französisch, Polnisch und Ungarisch verbreitet.

<span>Facebook-Screenshot der Behauptung: 1. Juli 2024</span>
Facebook-Screenshot der Behauptung: 1. Juli 2024

Vermeintliche Beweise, dass mit sogenannten Chemtrails in großem Maßstab das Wetter manipuliert oder Menschen vergiftet werden, erhalten in sozialen Medien immer wieder große Aufmerksamkeit.

Der Begriff "Chemtrails" für "chemical trails" (chemische Spuren) bezieht sich dabei auf eine weit verbreitete Verschwörungserzählung, nach der Regierungen oder andere ungenannte Mächte gefährliche Chemikalien mit Flugzeugen zu verschiedenen Zwecken in den Himmel sprühen lassen. Anhängerinnen und Anhänger der Verschwörungserzählung sind der Ansicht, ungewöhnlich geformte Wolken oder lang sichtbare Kondensstreifen von Flugzeugen zeigten diese vermeintlichen Manipulationen.

Das ist jedoch falsch: AFP hat in der Vergangenheit wiederholt Aussagen dieses Themenkomplexes widerlegt, etwa über angebliche Chemtrail-Tankfahrzeuge und einen vermeintlichen Skandal über Chemtrails und die Bundeswehr.

Auch die Tatsache, dass Saharastaub bei bestimmten Wetterbedingungen bis nach Mitteleuropa geweht wird, den Himmel milchig färben oder mit Regentropfen bis an die Erdoberfläche gelangen kann, bietet  Anlass für Verschwörungserzählungen. Die Chemtrail-Theorie wird mitunter mit Befürchtungen über den Saharastaub vermischt, wie die aktuell zirkulierenden Posts zeigen.

Keine wissenschaftlichen Belege für Chemtrails

Das Umweltbundesamt erklärte bereits im Jahr 2011, es gebe keinerlei wissenschaftliche Belege für  Chemtrails. Weiter hieß es in dem im Jahr 2023 aktualisierten Text, dass "Behauptungen zu der Existenz sogenannter Chemtrails nicht zutreffend und nicht glaubwürdig sind." In einer großangelegten Studie aus dem Jahr 2016 kamen 77 Forschende aus dem Bereich Geochemie und Atmosphärenchemie von verschiedenen Universitäten zum Fazit: "Wir fanden einen breiten wissenschaftlichen Konsens gegen die Existenz eines geheimen, groß angelegten atmosphärischen Sprühprogramms."

Auch der Deutsche Wetterdienst (DWD) schreibt auf seiner Webseite, bei Chemtrail-Behauptungen handele es sich um "ein reißerisches Thema, verknüpft mit Verschwörungstheorien". Bei beobachteten Wolkenformationen, die von Anhängern der Verschwörungstheorie als verdächtig eingestuft wurden, handelte es sich lediglich um Kondensstreifen von Flugzeugen.

"Die Auswirkungen von Triebwerkemissionen auf die Partikelzusammensetzung der Atmosphäre waren und sind Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung. Die Mechanismen sind weitgehend verstanden", antwortete Mira Pöhlker, Professorin für Experimentelle Aerosol- und Wolkenmikrophysik und Leiterin der Abteilung Atmosphärische Mikrophysik am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (Tropos) am 28. Juni 2024 auf Anfrage von AFP. "Die Kondensation beziehungsweise Sublimation von Umgebungswasserdampf an diesen Partikeln führt zu den gut sichtbaren Kondensstreifen."

Ihrer Aussage nach hängt die Verweildauer von Kondensstreifen von den Wetterbedingungen ab. Je nach Feuchte, Temperatur und Aufwind können Kondensstreifen von wenigen Sekunden bis zu Stunden am Himmel sichtbar sein. Flugzeugabgase entstünden aber einzig und allein durch den Antrieb der Flugzeuge, "nicht für das 'Versprühen von Chemikalien'", führte Pöhlker aus.

Verschmutzte Autos durch "Wettermanipulation"?

Unter dem weitverbreiteten Facebook-Post tauchten zahlreiche Kommentare auf, in denen über vermeintliche Wettermanipulationen spekuliert wird: "Diese Chemie wird in die Wolken eingerieselt, damit kurze Zeit später dieser Dreck abgeregnet wird," mutmaßte ein Nutzer.

Oft werden irreführende Behauptungen über Chemtrails mit dem Verweis auf das tatsächlich existierende Geoengineering untermauert. Geoengineering fasst verschiedene wissenschaftliche Ansätzen zusammen, die durch gezielte, technische Eingriffe dem Klimawandel entgegenwirken sollen. Besonders umstritten ist dabei das Solar Radiation Management (SRM): Darunter wird die Idee verstanden, Substanzen in die Stratosphäre einzubringen, um das Sonnenlicht zu dimmen und so die globale Erwärmung zu bremsen.

Wissenschaftlich haltbar sind Behauptungen, dass bereits jetzt in großem Stil Chemikalien in die Stratosphäre gesprüht werden, allerdings nicht, wie Mira Pöhlker vom Tropos erklärte: Theoretische Überlegungen über SRM werden bisher nicht praktisch umgesetzt und von der Wissenschaft überwiegend abgelehnt. Laut Pöhlker hat es "weltweit keine ernstzunehmenden Versuche" mit SRM gegeben. Auch die deutsche Bundesregierung sieht "in Geoengineering-Maßnahmen, die den Strahlungshaushalt der Erde beeinflussen, keine klimapolitische Option."

Gegenwärtig existieren laut Mira Pöhlker Wettermodifikationsmaßnahmen, indem örtlich sehr begrenzt Wolken geimpft werden (auf Englisch: Cloud Seeding). Künstliche Kondensationskerne, wie beispielsweise Silberiodid oder Trockeneis, werden dabei in sehr trockenen Regionen in Wolken eingeführt, um diese zum Abregnen zu bringen. "Da es sich um ein lokales sehr aufwändiges Verfahren handelt, sind die Auswirkungen auch nur lokal, kurzfristig und somit wenig klimarelevant", erklärte Pöhlker. Mechanismen dieser Art kommen demnach nicht in Frage, um großflächig und gleichmäßig niedergeregneten Staub zu erklären.

Klimaskeptikerinnen und -skeptiker nutzten Techniken wie Cloud Seeding jedoch wiederholt als vermeintliche Argumente, um beispielsweise die Rolle der globalen Erwärmung bei großen Überschwemmungen zu leugnen, wie sie 2024 in Brasilien, Kenia oder Dubai auftraten.

Hintergrund des Fotos unbekannt

"Das Foto ist mir aus Bekanntenkreisen zugestellt worden", schrieb der Facebook-Nutzer, dessen Beitrag viral ging, an AFP. Genauere Angaben über Ort und Zeitpunkt der Aufnahme machte er nicht, darum kann nicht überprüft werden, welche Wetterlage die Verschmutzungen auf dem Auto verursacht hat.

Eine umgekehrte Bildsuche zeigt jedoch zahlreiche Bilder mit ähnlichen Verschmutzungsmustern, bei denen es sich laut Bildunterschrift um niedergeregneten Saharastaub handelte. Um mit absoluter Sicherheit festzustellen, ob es sich bei den fotografierten Verschmutzungen tatsächlich um Saharastaub gehandelt hat, hätte eine Probe im Labor untersucht werden müssen.

<span>Ein mit Saharastaub bedecktes Auto in Nizza: 23. Juni 2024 </span><div><span>Valery HACHE</span><span>AFP</span></div>
Ein mit Saharastaub bedecktes Auto in Nizza: 23. Juni 2024
Valery HACHEAFP

Saharastaub in Mitteleuropa

"Saharastaub ist die wahrscheinlichste und logische Erklärung für die Verschmutzungen auf dem Auto, die das Foto zeigt", antwortete Ina Tegen, Professorin für Meteorologie und die Modellierung atmosphärischer Prozesse an der Universität Leipzig und am Tropos, am 28. Juni 2024 auf Anfrage von AFP.  Saharastaub in Deutschland ist nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) kein seltenes Phänomen. Dabei werden feinste Staubpartikel in der Sahara durch starke Winde aufgewirbelt, gelangen in höhere Luftschichten und werden mit den Luftströmungen Tausende Kilometer transportiert. Auch in Österreich ist daher immer wieder Saharastaub messbar.

"In der Atmosphäre dimmt der Staub die Sonneneinstrahlung. Dadurch wird es am Boden wenige Grad Celsius kühler", führte Tegen aus. Am TROPOS werden die Auswirkungen des Saharastaubs auf das Klima seit vielen Jahren untersucht. Mehrmals pro Jahr gelangen demnach Luftmassen mit Saharastaub bis nach Mitteleuropa. Da sich der Staub jedoch mehrere Kilometer über der Erdoberfläche befindet, ist davon am Boden wenig zu spüren, erklärte Tegen: "Der Himmel sieht milchig-trüb aus und die Farbe der Sonnenuntergänge ändert sich."

Besonders deutlich sichtbar wird der Saharastaub bei sogenanntem Blutregen. Trocknet dieser Regen auf Autoscheiben, können laut Ina Tegen Verschmutzungsmuster entstehen, wie sie auf dem geteilten Foto zu sehen sind. Bereits aus mittelalterlichen Quellen sind Berichte über das Phänomen rötlichen Regens oder Schnees bekannt, was damals als göttliche Strafe verstanden wurde. "Ernüchternd ist allerdings, dass Menschen auch im 21. Jahrhundert noch unwissenschaftlichen Erklärungen wie Chemtrails verfallen, obwohl die Mechanismen seit Generationen bekannt sind und jeder dies in wenigen Sekunden im Internet finden kann – im Gegensatz zum Mittelalter", sagte Ina Tegen dazu.

Fazit: Das in sozialen Medien geteilte Bild eines verschmutzten Autos zeigt nicht wie fälschlich behauptet "Chemtrail-Reste": Diverse Stimmen aus der Wissenschaft bestätigten übereinstimmend, dass es sich bei Chemtrails um eine Verschwörungstheorie ohne wissenschaftliche Grundlage handelt. Saharastaub in der Luft verursacht beim Niederregnen jedoch typische Verschmutzungsmuster, die denjenigen auf dem Foto entsprechen, erklärte eine Meteorologin gegenüber AFP.