Strafunmündigkeit bei Kindern: Was bedeutet das und wie ist die Lage in anderen EU-Ländern?

Wenn Kinder Straftaten begehen entscheidet ihr Alter darüber, ob und wie sie zur Verantwortung gezogen werden können.

Gewalttaten von Kindern erschütterten in den vergangenen Monaten immer wieder Deutschland (Symbolbild: Getty)
Gewalttaten von Kindern erschütterten in den vergangenen Monaten immer wieder Deutschland (Symbolbild: Getty)

Erneut wird Deutschland von einer unfassbaren Gewalttat erschüttert, die ein Minderjähriger begangen haben soll und die Strafunmündigkeit rückt erneut in den Fokus:

Am Dortmunder Hafen soll ein 13-Jähriger einen Obdachlosen erstochen haben, es gibt Videoaufnahmen von der Tat. Schon 2023 erschütterten Staftaten Deutschland, die von Jugendlichen begangen wurden. In Wunsiedel (Bayern) wurde ein 11-jähriges Mädchen in einem Kinderheim getötet, ein 11-jähriger Junge soll an ihrem Tod beteiligt gewesen sein. In Freudenberg (Nordrhein-Westfalen) töteten zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren ihre 12-jährige Mitschülerin.

Schuldunfähigkeit und Strafmündigkeit

Was all diese Fälle gemeinsam haben: Die Täter können nicht strafrechtlich verfolgt werden. Denn Schuldfähigkeit besteht in Deutschland erst mit Vollendung des 14. Lebensjahres, dann gilt man strafrechtlich als "Jugendlicher", unter 14 Jahren als "Kind". Strafmündigkeit bezeichnet die Fähigkeit, strafrechtlich verantwortlich zu sein.

Das deutsche Strafgesetzbuch regelt das in Paragraf 19, "Schuldunfähigkeit des Kindes" so:

Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.

Das bedeutet, dass Kinder unter 14 Jahren für begangene Straftaten nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Sie können also nicht vor Gericht gestellt werden, da sie nicht strafmündig sind.

Der Grund ist dafür ist in Paragraf 3 des Jugendgerichtsgesetzes zu finden:

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Kinder unter 14 Jahren sollen diese Einsichtsfähigkeit nach Ansicht des Gesetzgebers nicht haben.

Ab dem 14. Lebensjahr gilt das Jugendstrafrecht, voll strafmündig ist man in Deutschland mit Erreichen des 18. Lebensjahres und kann dann nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden. In bestimmten Fällen kann aber noch bis zum 21. Lebensjahr das Jugendstrafrecht angewendet werden.

So ist es laut Bundesministerum der Justiz definiert:

Das Jugendstrafrecht stellt flexible und altersangemessene Maßnahmen zur Verfügung, die in erster Linie das Ziel haben, erneuten Straftaten der betroffenen Jugendlichen entgegenzuwirken.

Neben Freiheitsstrafen sind beispielsweise auch die Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs, Anti-Aggressions-Training oder die Erbringung von Arbeits- und Wiedergutmachungsleistungen möglich.

Auf der Homepage der Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen DVJJ findet man Tutorials, die das Jugendstrafrecht erklären.

So ist die Schuldfähigkeit in der EU geregelt

In der Europäischen Union ist laut bundestag.de das 14. oder 15. Lebensjahr entscheidend bei der Schuldfähigkeit. Doch es gibt auch Ausnahmen.

In Bulgarien muss bei Straftaten, die Täter zwischen 14 bis 18 Jahren begehen, geprüft werden, ob der Täter die Bedeutung und Qualität seines Handelns realisieren konnte.

Ein Blick nach Frankreich ist besonders interessant, denn dort gibt es keine Altersgrenze für die Strafmündigkeit. Zwar können Täter unter 18 Jahren nicht wie Erwachsene bestraft werden, doch hier müssen sich auch Kinder unter 14 Jahren vor dem Jugendrichter verantworten. Bei den Strafen werden dann Altersspannen angewendet: unter 13 Jahre, 13 - 15 Jahre, 16 - 18 Jahre alt. Eine Freiheitsstrafe ist allerdings erst mit Vollendung des 13. Lebensjahres möglich.

In den Niederlanden ist man bereits mit Vollendung des 12. Lebensjahres strafmündig.

Diese Möglichkeiten hat der deutsche Staat bei Tätern unter 14 Jahren

Solche Regelungen im EU-Ausland sowie schwerwiegende Taten eines Kindes wie aktuell in Dortmund sorgen dafür, dass auch in Deutschland immer wieder Stimmen laut werden, das Alter für die Strafmündigkeit zu senken. Doch solche Vorstöße hat Bundesjustizminister Marco Buschmann zuletzt 2023 zurückgewiesen.

Was passiert, nachdem ein Kind eine Straftat begangen hat? (Symbolbild: Getty)
Was passiert, nachdem ein Kind eine Straftat begangen hat? (Symbolbild: Getty)

Was passiert also, nachdem ein Kind eine Straftat begangen hat? Hier kommen familienrechtliche Maßnahmen ins Spiel. Unter anderem werden Psychologen und das Jugendamt eingeschaltet und die Familienverhältnisse geprüft, es können erzieherische Maßnahmen angeordnet werden und auch die Entziehung des Sorgerechts ist möglich.

Laut dpa wies auch Marco Buschmann in einem Interview mit der Bild am Sonntag im Frühjahr 2023 darauf hin, dass das deutsche Recht durchaus Wege hat, abseits des Strafrechts, um auf schwere Gewalttaten von Kindern zu reagieren: "Das reicht bis hin zu einer geschlossenen Heimunterbringung und auch einer Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie", so Buschmann.

Besonders schockierend sind die Fälle, in denen Kinder Gewalt gegen andere Kinder ausüben, wie im Fall von Luise F. aus Freudenberg im vergangenen Jahr. Sabrina Hoops vom Deutschen Jugendinstitut betonte aber nach dem Vorfall gegenüber ZDFheute:

Fälle in der Art wie Freudenberg sind absolute Einzelfälle und schwer mit anderen Fällen von Jugendgewalt vergleichbar.