"Tatort" ohne Täter: Echter Fall als Vorbild

Eigentlich ist es genau das, was viele Ermittler aus dem „echten“ Leben oft Fernseh-Krimis ankreiden: Alles sieht an einem gewöhnlichen Sonntagabend im Ersten so verdammt einfach aus: Nach wenigen Minuten gibt es mindestens eine Leiche, nach eineinhalb Stunden spätestens ist der Täter geschnappt…Fertig. Genau von dieser Darstellung weicht der Münchner "Tatort: Die Wahrheit“ ab. Zum Glück.

Die Kommissare wollen einen Mord auf offener Straße klären. Und scheitern. Nach 90 Minuten, das darf verraten sein, gibt es kein Motiv, keinen Mörder. Polizeiarbeit kann richtig zäh sein, sie kann dauern, frustrieren und trotz aller Bemühungen dann doch ins Nichts laufen. Über ein halbes Jahr erstreckt sich die mühsame Spurensuche von Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), komprimiert auf 90 ausgesprochen spannende Minuten. Der Fall geht nicht nur den Ermittlern an die Substanz, schlaflose Nächte und drohender Burn-out inklusive. Der Zuschauer leidet regelrecht mit. Denn egal, wie viele Zeugen vernommen werden, wie vielen Spuren nachgegangen wird: Die ganze schreckliche Tat bleibt unerklärlich.

"Die Wahrheit" soll fortgesetzt werden: Das passiert im nächsten Münchener "Tatort"

Das ist vor allem darum so ernüchternd, weil sich dieser "Tatort" an einem realen Fall orientiert: 2013 wurde in München an der Corneliusbrücke Domenico L. umgebracht, bekannt wurde die Tat in den Medien als Isar-Mord. Und bis heute, drei Jahre danach, gibt es keinen Mörder. Der Täter bleibt unbekannt, trotz ermittelnder Sonderkommission, Aktenzeichen XY, unzähliger Hinweise.

“Unser Leben ist der Tod”

Die Ermittlungen stocken, die Indizien zerbröseln, die Zeugen widersprechen sich. Und dennoch, dieser Tatort ist alles andere als langweilig. Zäh, aber nicht öde. Denn das Drehbuch fängt diese Verzweiflung und den Stillstand wunderbar auf. Lakonisch bemerkt Leitmayr einmal: „Unser Leben ist der Tod. Immer nur Leichen.”

Es ist hart zu sehen, wie die Angehörigen des Opfers mit sich ringen und leiden. Und zeigen, wie unerträglich es sein muss, wenn es keine Antworten gibt: „Wie sollen wir neu anfangen, bevor das Alte nicht abgeschlossen ist?“, fragt die Witwe die Kommissare, die im Lauf dieses Tatorts selbst an der Aussichtlosigkeit zu zerbrechen drohen.

Bei den Zuschauern kam der "Tatort" gut an: Das waren die Reaktionen auf Twitter

Etwas plump und zu plakativ wirken dann nur die immer wieder eingeflochtenen Kalendersprüche. „Der erste Eindruck ist wichtig, der zweite enthüllt die Wahrheit“ lernen wir etwa. „Wer die Wahrheit sucht, darf nicht erschrecken, wenn er sie auch findet…“

In diesem "Tatort" wird die Wahrheit nicht gefunden. Doch es wird im kommenden Jahr eine Fortsetzung geben. Es besteht noch die Chance, dass der Täter gefunden wird. Zumindest im Krimi.

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Foto: BR/X Filme/Hagen Keller