Twitter – die größte Versuchung für Politiker, seit es Schokolade gibt

Mit jedem wichtigen Ereignis steht der Kurznachrichtendienst im Rampenlicht. Doch der Würzburger Amoklauf zeigt: 140 Zeichen tippen und nicht nur Unsinn schreiben – das will gelernt sein.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die Schnelligkeit ist Twitters größter Segen und Fluch zugleich. Als in der Türkei am vergangenen Wochenende ein Putschversuch lief und die Medien am späten Freitagabend überrumpelte, erwies sich der Kurznachrichtendienst einmal mehr als wichtige Informationsquelle. Während Onlinemedien hinterher hinkten und Fernsehsender gar weiterschliefen, häuften sich die Tweets zu einem vielsagenden Bild. Zwar ebenfalls mit falschen Gerüchten angereichert, aber mit der Nase vorn.

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Doch Twittern geht auch nach hinten los. Vielleicht war Renate Künast schon etwas müde und hätte besser zum Roman als zum Handy gegriffen, als sie den Angriff eines 17-Jährigen in einem Regionalzug in Würzburg kommentierte: „Tragisch und wir hoffen für die Verletzten“, schrieb sie auf Twitter. „Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen werden???? Fragen!“

Ein aus Afghanistan Geflüchteter hatte eine Familie mit einer Axt und einem Messer angegriffen, bei der Flucht wurde er von Polizisten erschossen; offenbar ging er auch auf die Beamten los.

Wichtig!!!???

Abgesehen davon, dass viele Ausdruckzeichen mir immer suspekt erscheinen und eher eine Aufforderung zum Weggucken sind, stellt die Grünen-Politikerin die richtige Frage zum falschen Zeitpunkt. Natürlich wird die Polizei den Fall untersuchen, das ist Routine. Und man muss nicht gleich amerikanische Verhältnisse vermuten, schließlich ist eine Situation, in der ein Mann mit der Axt auf einen losgeht, alles andere als Routine. Zu einer ersten Interpretation oder eben auch einer mit Misstrauen angefüllten Frage war es jedenfalls für Künast zu früh; zu wenig war zum Zeitpunkt bekannt.

Den Vogel abgeschossen hat dann mal wieder der Scheuer Andi von der CSU. Der Generalsekretär übte sich sogleich bei Twitter mit einem Wortspiel: „Die afghanische Axt-Attacke ist schrecklich und zutiefst zu verurteilen. Die Grüne Renate Künast stellt sich auf die Seite des Täters. Das ist pervers.“

Afghanische Axt-Attacke, das klingt wie Ku Klux Klan oder Klaas Klevers Konservenfabrik. Meint der CSU-Generalsekretär, eine Axt-Attacke sei spezifisch afghanisch, sozusagen eine besondere Eigenheit der Afghanen an und für sich? Gibt es auch eine pakistanische Axt-Attacke oder eine ostfriesische?

Jedenfalls wird der Scheuer sogleich medizinisch. Ich habe im Wörterbuch nachgeschlagen, was „pervers“ eigentlich bedeutet: „Perversion (von lat. perversus ‚verdreht‘, ‚verkehrt‘) bezeichnet eine Verkehrung ins Krankhafte oder Abnorme bzw. ein solches Empfinden und Verhalten.Umgangssprachlich wird der Begriff vielfach für ein stark abweichendes oder tabuisiertes Verhalten oder eine Entwicklung in diese Richtung verwendet.“

Meint Scheuer, Künast offenbare krankhaftes Verhalten? Abnormes vielleicht, jedenfalls für christsoziale Bierzeltparameter. Oder bewundert er insgeheim Künast, weil sie Tabus angeht? Diese Seite an Scheuer wäre zumindest noch nicht bekannt gewesen.

Twittern will also gelernt sein. 140 Zeichen reichen halt nicht für eine Doktorarbeit, nicht einmal für eine von Politikern. Da sollte man Kürze und Würze nicht ohne nötigen Sachverstand auf den Weg ins Netz schicken. Oder besser gleich das Handy stecken lassen.

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