Vergessene Heldin: Die Flugpionierin Amelia Earhart

Bis heute ranken sich viele Mythen um das Verschwinden der Flugpionierin Amelia Earhart. (Bild: ddp)
Bis heute ranken sich viele Mythen um das Verschwinden der Flugpionierin Amelia Earhart. (Bild: ddp)

Regeln sind für andere da, zu schaffen ist alles – das war die Lebensphilosophie von Amelia Earhart. Sie überflog als erste Frau den Pazifik und wollte in ihrer Maschine auch die Welt umrunden. Dass sie dabei verschollen ist und ihr Tod nie wirklich geklärt wurde, nährt den Mythos um die Flugpionierin bis heute.

Für ihre Zeit war Amelia Earhart ein merkwürdiges Kind. Sie trug Hosen statt Röcke, jagte Ratten, statt mit Puppen zu spielen und kletterte auf Bäume, während ihre Schulkameradinnen sich gegenseitig die Haare machten. 1897 In Atchison, Kansas, geboren, war sie trotz dieser Eigenarten eine ausgezeichnete Schülerin. Nach der Highschool studierte sie Medizin, brach das Studium aber schon nach einem Jahr wieder ab. In diesem Moment hätte sie straucheln können, so ohne Plan, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Doch mit einem Mal steht ihr die Zukunft ganz klar vor Augen.

Es ist Weihnachten im Jahr 1920, als ihr Vater sie mit zu einer Flugshow nimmt. Die 23-Jährige kann den Blick gar nicht mehr abwenden von den Maschinen, die für sie die Freiheit verkörpern wie nichts anderes. Stunde um Stunde steht sie da, beobachtet die Flugzeuge und weiß, dass sie in ihrem Leben nichts anderes machen will als genau das: fliegen.

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Nur ein Jahr später hat sie ihre Fluglizenz in der Tasche und ein eigenes, kleines Flugzeug. Wie gut sie ihre Kinner Airster da schon im Griff hat beweist sie 1922, indem sie die Maschine auf eine Höhe von 4300 Meter bringt – für Frauen ist das der Höhenweltrekord. Richtig Fahrt nimmt ihre Karriere aber erst auf, als 1927 ihrem Kollegen Charles Lindbergh die erste Alleinüberquerung des Atlantiks gelingt. Mit seiner in Buchform veröffentlichten Geschichte macht der New Yorker Verleger George Palmer Putnam viel Geld. Und das bringt ihn auf die Idee, dass sich auch die erste Frau, die den Atlantik überquert, gut vermarkten lassen würde.

“Ich will dich nicht an mittelalterliche Regeln der Treue fesseln”

Er nimmt also Kontakt auf zu der Pilotin und macht sie zum Captain eines dreiköpfigen Teams, das von Halifax in Kanada nach Burry Port in Wales fliegt. Earhart wird als Heldin des Himmels gefeiert. Tatsächlich aber war sie gar nicht selbst geflogen, sondern nur als Passagierin der zwei Piloten mit an Bord. „Ich war Gepäck auf dieser Reise – wie ein Sack Kartoffeln“, formuliert sie das später ganz unverblümt. Der Initiator Putnam jedenfalls verfällt der mutigen Frau, die in selbst entworfenen Hosenanzügen unterwegs ist, den klassischen Flieger-Overall mit Reißverschluss erfindet und mit dem Präsidentenpaar Eleanor und Franklin D. Roosevelt befreundet ist. Schon bald macht er ihr den ersten Heiratsantrag, blitzt aber ab. Zu oll, zu einengend kommt Earhart die Ehe vor. Fünf Mal bleibt sie standhaft, bevor sie dem Werben Putnams schließlich doch noch nachgibt. Sie heiratet ihn 1931, stellt aber klar, dass für sie Kinder kein Thema sind und der Gatte sich auch mit weiteren Ansprüchen zurückzuhalten habe. In einem Brief schreibt sie ihm: „Was unser gemeinsames Leben betrifft, möchte ich dich wissen lassen, dass ich dich nicht an irgendwelche mittelalterlichen Regeln der Treue fesseln will, auch betrachte ich mich nicht an solche gebunden.“

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Für Amelia Earhart ist es eine Frage der Ehre, den Atlantikflug noch einmal zu wiederholen – dieses Mal alleine. Und danach ist auch klar, was als nächstes Ziel ansteht: Einmal um die Welt zu fliegen. In 30 Etappen und mit einer neuen, 12 Meter langen Maschine, in deren umgebautem Flugzeugbauch fast 5000 Liter Benzin passen. So schwer wird die silberne zweimotorige Lockheed Electra dadurch, dass sie beim Start am 1. Juni 1937 in Oakland fast drei Kilometer Anlauf braucht, bis Earhart ihre Nase endlich hochbekommt. Mit an Bord ist der Navigator Fred Noonan, der zwischen den ganzen Benzintanks gerade noch Platz hat.

Der Sprit reichte nur noch für eine halbe Stunde

Im Inneren der Maschine ist der Motorenlärm so laut, dass Reden keine Option ist. Wichtige Botschaften übermitteln sich die beiden mit Zetteln, die sie an eine gespannte Drahtleine hängen. Über Südamerika, Afrika, Indien und Südostasien landen sie einen Monat später in Papua-Neuguinea. Von dort starten sie in Richtung der nur dreieinhalb Meter langen und einen Kilometer breiten Howland-Insel im Pazifik. Ganze 4000 Kilometer liegt sie vom Startpunkt Lae entfernt. Es ist die längste Strecke, die die beiden auf ihrer Weltumrundung zu bewältigen haben. Ihr Ziel werden sie nie erreichen.

Darüber, was nach Funk-Abbruch tatsächlich passierte, wird bis heute spekuliert. (Bild: ddp)
Darüber, was nach Funk-Abbruch tatsächlich passierte, wird bis heute spekuliert. (Bild: ddp)

Geplant ist die Ankunft für den Morgen des 2. Juli 1937. Um die Maschine auf den letzten Metern anzuleiten, hat die US-Küstenwache das Schiff Itasca in den Pazifischen Ozean geschickt. Gegen viertel vor drei in der Nacht nimmt Earhart Kontakt zum Funker der Itasca auf, bis zur nächsten Nachricht vergehen zweieinhalb Stunden. Um 7.42 Uhr schließlich wird es brenzlig. Earhart funkt, sie seien in der Nähe, könnten die Insel aber nicht sehen. Der Sprit reiche vielleicht nur noch für eine halbe Stunde. Eine Stunde später dann der letzte Kontakt: „Wir sind auf Linie 157-337 … Wartet … Fliegen von Nord nach Süd …“. Und dann – nichts mehr. Der Kontakt ist abgebrochen.

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Darüber, was dann passierte, wird bis heute spekuliert. Nachdem eine riesige Rettungsaktion ergebnislos blieb, ging man davon aus, dass Earhart und Noonan ins Meer stürzten und dabei ums Leben kamen. Nach zahlreichen Expeditionen gehen Forscher um Richard Gillespie von der Universität Hawaii aber davon aus, dass sich das Duo mit einer Notlandung auf der unbewohnten Insel Gardner Island retten konnte. Hinweise darauf sind dort gefundenes Aluminiumblech, Plexiglas und ein Frauenschuh der Marke „Cat’s Paw”, die Amelia Earhart oft getragen haben soll. Knochenreste, die dort gefunden wurden, ordneten Experten einer Frau nordeuropäischer Herkunft zu, die in etwa so alt war wie Amelia Earhart zum Zeitpunkt ihres Verschwindens.

Einer anderen Theorie zufolge ist das Flugzeug damals auf den Marshallinseln gelandet, wo die Flugpionierin und ihr Begleiter vom japanischen Militär in Gewahrsam genommen worden sein sollen. Mehrere Einwohner der Inseln hatten berichtet, sie hätten das Flugzeug landen sehen.

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Richard Gillespie jedenfalls hält an seinem Plan fest, so lange mit seinen Expeditionen weiter zu machen, bis das Geheimnis eines Tages endlich aufgeklärt ist. Warum Amelia Earhart ihn nicht loslässt? „Ihr leuchtendes Beispiel von Unabhängigkeit, Mut und Ausdauer inspiriert die Menschen bis heute.“

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