Warum arbeiten wir weniger in Deutschland – werden wir zu einer Gesellschaft aus lauter Faulenzern?

US-Nachrichtenagentur zieht Vergleiche – Bloomberg sieht Gründe in steuerlicher Ungerechtigkeit

Eine alte Forderung in Deutschland: Gewerkschafter fordern 2007 höhere Löhne (Bild: REUTERS/Morris Mac Matzen)
Eine alte Forderung in Deutschland: Gewerkschafter fordern 2007 höhere Löhne (Bild: REUTERS/Morris Mac Matzen)

Für die Lordsiegel-Bewacher deutscher Mythen wird es jetzt hart: Die Deutschen, ein traditionell besonders hart arbeitendes Volk, das ist entweder Geschichte oder stimmte eh nie. Die US-Nachrichtenagentur Bloomberg fragt nach den Gründen. Und sie kommt zu erstaunlichen Erklärungen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Bloomberg ist nicht verdächtig, eine kommunistische Zelle zu sein. Die US-Nachrichtenagentur, die sich auf Wirtschafts- und Finanzthemen spezialisiert hat, ist im Gegenteil eine Art Epizentrum kapitalistischer Berichterstattung. Nun haben sich deren Reporter Deutschland vorgenommen – und damit die aktuelle Debatte, wer wie viel arbeitet, was mit dem Fachkräftemangel ist und in welche Richtung sich der deutsche Arbeitsmarkt entwickelt.

Die Zahlen pusten erstmal alle Kerzen aus, die Jubelarien bescheinen: Laut Bloomberg sank die durchschnittliche Arbeitszeit in Deutschland seit 1991 um 3,8 Stunden. Mit 34,7 Stunden liegt Deutschland somit im europäischen Vergleich unter dem Durchschnitt. „Made in Germany“ ist also weniger eine Leistung aus besonders viel Schweiß und Tränen, und die Geschichten über angeblich faule Mittelmeerländer erweisen sich als Trugschluss. Von wegen zu viel Siesta, die Zahlen sehen mehr in Deutschland eine Fiesta. Rund 30 Tage bezahlten Urlaub bekommen deutsche Arbeitnehmer, damit nehmen sie gemeinsam mit Dänemark in Europa eine Spitzenposition ein; in den USA sind es zum Beispiel rund zehn bis 15 Tage. Hinzu kommt: In Deutschland sind die Arbeitnehmer öfters krank. Im vergangenen Jahr blieb ein Arbeitnehmer im Schnitt 15 Tage lang krankheitsbedingt vom Arbeitsplatz fern. Das wirkt sich natürlich negativ auf die Wirtschaft aus.

Schaut man indes auf die tiefer liegenden Gründe, lässt sich jetzt nicht sofort das Alarmgeschrei anstimmen, die Deutschen seien alle faule Mimosen geworden.

Was den Urlaub angeht: Ja, da schauen Leute aus anderen Ländern schon etwas stirnrunzelnd auf uns, mit welcher Vehemenz wir unsere Ferien heiligen. Der Deutsche an und für sich ist ja als Tourist ein stehender Begriff, gemeinsam mit Lederhosen und Schloss Neuschwanstein (was auch nicht so hundertprozentig stimmt: Das Schloss sehe ich nur als Konterfei, wenn ich Disney einschalte, und meine letzte Lederhose hatte ich mit fünf Jahren).

Und was die Krankenstände angeht: Nicht gesund heißt erstmal – nicht gesund. Da muss man nicht gleich die Pferde scheu machen und Faulenzerei vermuten. Auch haben die psychischen Erkrankungen zugenommen. Zum einen gibt es eine neue Achtsamkeit ihnen gegenüber, die es früher nicht so gab und was absolut nicht empfehlenswert gewesen ist. Zum Glück schaut man nun genauer hin. Und zum anderen hat die Corona-Epidemie natürlich ihre Spuren hinterlassen, mit vielen Atemwegserkrankungen, die es so vorher nicht gab.

Es hat auch etwas Gutes, nicht mehr vom angeblich so schwer arbeitenden Deutschen zu schwärmen, im Vergleich zumindest mit anderen Ländern. Und noch ein Faktor kommt hinzu: Die durchschnittliche Arbeitsstundenzahl verringert sich, weil vermehrt Frauen in den Arbeitsmarkt treten. Das ist eine notwendige Errungenschaft. Sie tun dies öfters als Männer in Teilzeit. Das spricht für eine positive Arbeitsflexibilisierung. Nur sollte man dabei nicht stehenbleiben und einerseits Männern auch mehr Teilzeit ermöglichen und andererseits Frauen stärker zu empowern, dass mehr von ihnen in Vollzeit gehen. Dafür braucht es eben eine gerechtere Aufgabenverteilung innerhalb der Familien; bisher schultern Frauen insgesamt mehr als Männer.

Bloomberg hat schließlich noch einen anderen Grund für diese Zahlen gefunden. Das deutsche Steuersystem benachteilige Löhne stark, während Vermögen gering besteuert würden. Sowas demotiviere für die Arbeit. Das stimmt. Zumindest letzteres.

Noch immer arbeiten unendlich viele Menschen Leuten in Vollzeitberufen, die zu gering entlohnt werden und dann vom Staat aufgestockt werden. Die Allgemeinheit also bezahlt dafür, dass sich manche Arbeitgeber aus der Verantwortung stehlen. Und die Zahlen über Vermögen in Deutschland sind astronomisch. Diese werden von Generation zu Generation weitergegeben, ohne auch hier Verantwortung zu zeigen. Der Staat geht viel zu nachlässig mit den Reichen und Superreichen um. Zeit, nicht sie bluten zu lassen, aber sie daran zu erinnern, dass sie nicht allein auf diesem Planeten sind.