„Wir brauchen Nachbarn wie ihn!“

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Um zu den umstrittenen Äußerungen gegen seinen Fußball-Kollegen Jérôme Boateng Stellung zu beziehen, schrieb Benedikt Höwedes jüngst: „Wenn du für Deutschland Titel gewinnen willst, brauchst du Nachbarn wie ihn.“ Autorin Ann-Catherin Karg meint: Gleiches gilt, wenn man in Deutschland gute Filme sehen will. Oder Musik hören. Oder…

So richtig super ist die ganze Chose für Alexander Gauland ja nicht gelaufen. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hatte den AfD-Vize mit folgenden Worten über den Fußballnationalspieler Jérôme Boateng zitiert: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Dann ging das Geeiere los. Wie genau das Zitat zustande gekommen sei, daran kann sich der 75-Jährige angeblich nicht mehr erinnern. Aber gemeint hat er das natürlich nicht, was er da gesagt hat. Wenn er es denn überhaupt gesagt hat. Aha. Damit bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist Gauland ein Rassist. Oder er ist wahnsinnig vergesslich. Beides eher so mittelideal für einen Politiker. Boatengs Fußball-Kollege Benedikt Höwedes hat es auf den Punkt gebracht. „Wenn du für Deutschland Titel gewinnen willst, brauchst du Nachbarn wie ihn“, schrieb er auf Twitter. Gleiches gilt übrigens, wenn man in Deutschland gute Filme sehen will. Oder Musik hören. Oder …

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Im vergangenen Jahr gab es einen Film, der alle Besucherrekorde geknackt hat und im Gesamt-Ranking nur hinter dem Mega-Epos „Star Wars“ lag: „Fack ju Göhte“. Der Hauptdarsteller: Elyas M’Barek, Sohn einer österreichischen Mutter und eines tunesischen Vaters, wohnhaft in München und mindestens von der Hälfte aller Deutschen vor allem mit einem Makel behaftet: Leider hat er schon eine gut aussehende Freundin. Eigentlich überflüssig, möchte man meinen, dass er sich kürzlich beim Deutschen Filmpreis veranlasst sah, auf Folgendes hinzuweisen: „ Wer demnächst wählen geht, der sollte bitte bedenken und nicht vergessen, dass „Fack ju Göhte“ ohne Menschen mit ausländischen Wurzeln nicht möglich gewesen wäre.“ Denn auch Bora Dagtekin, der Drehbuchautor und Regisseur des Blockbusters, hat einen Migrationshintergrund. Sein Vater ist Türke, er selbst wurde in Hannover geboren und neben „Fack ju Göhte“ sind auch die Erfolgs-Serien „Türkisch für Anfänger“ und „Doctor’s Diary“ aus seiner Feder geflossen.

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Top-Stars im Filmbusiness

Apropos Serie: In „Game of Thrones“ spielte neben Tom Wlaschiha nur noch eine weitere Deutsche mit: die türkischstämmige Sibel Kekilli, die neben Axel Milberg auch den Kieler „Tatort“ schmeißt. Bekannt wurde sie übrigens 2004 mit „Gegen die Wand“. Ein Drama von Fatih Akin, ebenfalls ein Sohn türkischer Einwanderer, der unter anderem den Goldenen Bären der Berlinale sowie den Deutschen und den Europäischen Filmpreis gewonnen hat.

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Auch in Hollywood ein Riesenstar ist Daniel Brühl, dessen vollständiger Name Daniel César Martín Brühl González lautet. Seine spanische Mutter platzt sicher vor Stolz, wenn sie ihn im Hollywood-Blockbuster „The First Avenger“ neben Robert Downey Jr. sieht.

Musik: Die Herkunft ist immer Thema

Zurück zum Fußball. Kann sich irgendjemand eine WM 2014 in Brasilien ohne den Hit „Auf uns“ vorstellen? Die Single-Auskopplung bracht Andreas Bourani, dessen leibliche Eltern aus Nordafrika stammen, den Durchbruch.

Samy Deluxe hat einen Namen für Menschen wie Bourani und sich selbst kreiert: „Mimimi“, Mitbürger mit Migrationshintergrund. „Viele von uns sind hier geboren, doch die Herkunft steht immer im Mittelpunkt“, rappt der Hamburger mit sudanesischem Vater, den das Phänomen genauso umtreibt wie das bei seinen Kollegen der Fall ist: Sido, Xavier Naidoo, Kool Savas, Bushido, Eko Fresh. Sogar Helene Fischer gehört irgendwie dazu. Anders als in der Rap-Szene üblich, thematisiert die Entertainerin ihre sowjetische Herkunft zwar nicht aktiv, zieht aber trotzdem deutliche Grenzen. Als die NPD ihren Hit „Atemlos“ im Wahlkampf spielte, klagte die 16-fache Echo-Gewinnerin, die 1988 mit ihren Eltern nach Rheinland-Pfalz gekommen war – und gewann. Als CDU und SPD wiederholt zum Tote-Hosen-Hit „Tage wie diese“ griffen, um Stimmung in ihre Veranstaltungen zu bringen, platzte auch dem Frontmann Campino der Kragen. Als Punk mit englischen Wurzeln wollte er sich von keiner Partei vereinnahmen lassen.

Hätte Löw alle „Mimimis“ gestrichen, könnte Deutschland gleich zuhause bleiben

Ein harter Gegner ist auch Boxer Arthur Abraham. 2006 kämpfte sich King Arthur mit einem doppelt gebrochenen Kiefer zum Weltmeister-Titel. Unfassbar und extra cool für jemanden, der den Ring zuvor jahrelang mit einer Schlumpfmütze betreten hatte. Stolz ist er auf seine armenischen Wurzeln, aber die deutsche Staatsbürgerschaft hat er gerne angenommen. Angelique Kerber fährt da lieber zweigleisig. Neben dem deutschen besitzt die Profi-Tennisspielerin auch einen polnischen Pass, Formel1-Fahrer Nico Rosberg hält es ähnlich. Der Sohn des finnischen Formel-1-Weltmeisters Keke Rosberg besitzt die deutsche und die finnische Staatsbürgerschaft, fährt aber seit 2004 mit deutscher Fahrerlizenz.

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Übrigens: Wenn Jogi Löw bei seiner letzten Aussieberunde neben Karim Bellarabi, Julian Brandt, Sebastian Rudy und Marco Reus auch alle Spieler mit Migrationshintergrund aus seinem EM-Kader gestrichen hätte, könnte er sich den Weg nach Frankreich gleich sparen, die Füße hochlegen und sich noch ne Kippe anzünden. Emre Can, Shkodran Mustafi, Mario Gómez, Sami Khedira, Mesut Özil und Lukas Podolski könnten sich ebenfalls einen entspannten Sommer machen. In den Urlaub fahren - zum Spaß einfach mal nach Potsdam, in die Nachbarschaft eines gewissen Herrn Gauland…

(Autorin: Ann-Catherin Karg / Bilder: ddp Images und dpa)

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