Wir lieben es, wenn Muslime scheitern

Der muslimische Friedensmarsch in Köln geriet etwas kleiner als erhofft (Bild: dpa)
Der muslimische Friedensmarsch in Köln geriet etwas kleiner als erhofft (Bild: dpa)

Der Friedensmarsch der Muslime in Köln sollte ein Zeichen gegen Terror setzen. Es wurde ein Märschchen. Umso größer geriet die Häme.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Stell dir vor, es gibt eine Demo, und kein Muslim geht hin. So geschah es in Köln. Ein Zeichen gegen den Terror sollte gesetzt werden, liberale Muslime riefen dazu auf, auf die Straße zu gehen. Am Ende wurden es nur rund 1000 – beeindruckend ist diese Zahl nicht, auch wenn etwas mehr als die AfD postulierte, die natürlich nur „200-300“ erspäht hatte, aber bei der Alternative für Deutschland hat der Knick in der Optik systemerhaltenden Charakter; dennoch sieht ein „Aufstand der Anständigen“ anders aus, wie die „Welt“ schrieb.

Und genau bei dieser Formulierung liegt das Problem. Was fällt Journalisten eigentlich ein, eine Anti-Terror-Demo von Muslimen als „Aufstand der Anständigen“ zu bezeichnen? Diese Umdeutung eines Begriffs ist haarsträubend. In die Geschichtsbücher ging er, als Kanzler Gerhard Schröder zu solchem aufrief, es hatte im Jahr 2000 einen Brandanschlag auf eine Synagoge gegeben – und man vermutete einen antisemitischen und rechtsextremen Hintergrund, der Aufstand sollte also einer jener Deutschen sein, die mit dem alten und neuen Judenknacks nichts zu tun haben wollten; dass sich später herausstellte, dass der Angriff auf die Synagoge sehr wohl einen antisemitischen Hintergrund, aber einen arabischen hatte, steht auf einem anderen Blatt. Aufstand der Anständigen, das war und ist der Titel für ein Nein der Deutschen gegen die Diskriminierung von kleineren Gruppen, sei es Juden oder Muslime, Türken oder Araber. Diesen Begriff als „Aufgabe“ Muslimen in Deutschland zuzuschieben, ist bestenfalls eine unglückliche Wortwahl.

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Ferner heißt es im Kommentar, „der organisierte liberale Islam, von dem Politik und Medien träumen, ist ein Potemkinsches Dorf“. Stimmt, einen Vorwurf oder ein Bedauern indes daraus zu zimmern ist so angebracht wie eine Erdbeerernte in Deutschland im Februar zu erwarten.

Muslime gingen nicht in Zehntausenden in Köln auf die Straße, weil sie unorganisiert sind. Die Verbände, welche sich um eine Koordination bemühen, sprechen nur für einige Gemeinden. Die große und überwältigende Mehrheit aber lebt ihren Glauben in privat organisierten Gemeinden und losen Zusammenschlüssen. Und die allermeisten von ihnen leben ihren Islam in liberaler Auslegung, die Retter des Abendlands könnten eigentlich ihre gezückten Schwerter wieder einstecken, wenn sie hinguckten.

Eine Demo wär schon gut

Wäre es aber wünschenswert gewesen, wenn sich Muslime massenhaft auf der Straße gegen Terror ausgesprochen hätten? Ja, und vielleicht müssen wir nicht einmal auf den Klimawandel warten, um im Februar künftig Erdbeeren zu ernten. Schließlich ist der Terror in Paris, in London und Manchester einer mit religiösem Hintergrund, seine Täter argumentieren islamisch – und das kann kein Glaubender und kein Imam übersehen.

Nur lösen diese Taten einen nicht gerechtfertigten Generalverdacht aus, als würde jeder zweite Muslim sich mindestens ein oder zweimal in seinem Leben überlegen, ob er nun zum Bäcker Brötchen kaufen oder auf die Straße eine Bombe zünden geht. Islam hat gewaltvolle Züge, die hatte er immer, es ist ein Wesenszug der monotheistischen Religionen wie dem Judentum und dem Christentum unter anderen. Daran muss man sich reiben.

Doch solch eine Auseinandersetzung ist für viele zu ermüdend, wenn es öffentlich werden soll. Ein Vorschlag an die nichtmuslimischen Leser: Fragt euch, welche Muslime ihr kennt und fragt sie, wie oft sie sich im Bekanntenkreis seit dem 11. September 2001 zu Terroranschlägen von al-Qaida, IS und ähnlichem Kraut geäußert haben? Wie oft sie sich distanziert und ihre Verabscheuung Kund getan haben? Viele sind müde geworden.

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Der „Aufstand der Anständigen“ kennt einige Hürden. Da ist zum Beispiel die eigene Erfahrung von Diskriminierung, die Muslime erleben, und dass bei Allem mit zweierlei Maß gemessen wird: Als in der Nacht zum Montag in London ein Van in einer Gruppe von Muslimen fuhr, einen tötete und mehrere verletzte, da verurteilten Politiker und Medien diesen Vorfall rasch; noch ist der Hintergrund unklar, aber die Polizei spricht von einem Anschlag. Und es gibt Hinweise, dass es muslimfeindliche Motive gibt. Ja, die Meldung kam als Schlagzeile in die Medien; aber kann es sein, dass das Entsetzen allgemein kleiner ist als bei anderen Anschlägen – und dass dies nichts damit zu tun hat, dass wir uns an Terror an sich gewöhnen?

Um einen wirklich großen Friedensmarsch von Muslimen in Deutschland zu realisieren, müsste ein breiterer Ansatz her. Eine Debatte, warum man das will. Und zwar in den Moscheen, in Sportvereinen und landsmannschaftlichen Gruppen. Diesen Grad an Unorganisiertheit zu überwinden, mit einem zeitlich langfristigem Ziel, wäre eine Herkulesaufgabe. Aber eine lohnenswerte.

Mehr zum muslimischen Anti-Terror-Marsch im Video: