Zuflucht in Irland - Wie die Operation Shamrock Berliner Kinder vor dem Hungertod rettete

Irland hat in der Nachkriegszeit Hunderte von deutschen Kindern aufgenommen und vor dem Hungertod gerettet. Operation Shamrock hieß das Programm. Auch die Berliner Ärztin Heidi Schwandt-Boden wurde als kleines Mädchen verschickt und aufgepäppelt

Wenn Heidi Schwandt-Boden an ihre Rettung denkt, dann denkt sie an Orangen. Sie sieht sich als kleines Mädchen auf dem Schiff, das sie aus den Trümmern und dem Elend der Nachkriegszeit nach Irland bringt, eine Papierschachtel auf den Knien haltend. Ein Sandwich war darin, Kekse, wohl auch ein Stück Schokolade und eine große, runde Apfelsine. „Ich hatte nie eine gesehen oder gerochen, und als man mir die schälte, stieg der Apfelsinengeruch auf: der Duft von Exotischem, von Essen, von etwas Gutem“, sagt sie. „Noch heute kommt mir, wenn ich Orangen schäle, Irland in den Sinn.“ Heidi Schwandt-Boden, 73 Jahre, ist Ärztin. Viele Jahre ihres Berufslebens hat sie in Krisengebieten als Anästhesistin für das Internationale Rote Kreuz gearbeitet. Nun sitzt sie in aufrechter Haltung, die Hände im Schoß gefaltet, in ihrer Wohnung am Leipziger Platz und spricht über die Zeit, in der sie selbst Hunger und Mangel litt. Für das Gespräch hat sie zwei Stühle vor die Panoramafenster gerückt. Ihr Blick ruht auf den hellen, eleganten Fassaden und den Einkäufern, die auf die Mall of Berlin zueilen, aber ihre Gedanken liegen in weiter Ferne. „Es ist ein wichtiges Thema“, sagt sie. „Und es ist heute wieder so aktuell wie nie.“ Sie war fünf, als sie 1947 mit ihrem achtjährigen Bruder in Dún Laoghaire, der Hafenstadt südlich von Dublin, von Bord ging. In ein fremdes Land zu fremdem Leuten geschickt, damit sie überlebten. Nun wartete am Kai ein Ehepaar, die O’Reillys, die viel älter als die eigenen Eltern waren. „Irish Daddy“ und „Irish Mummy“ sagt Heidi Schwandt-Boden bis heute, wenn sie über ihre Zeit bei den Gasteltern erzählt. Den O’Reillys muss gleich nach der Ankunft aufgefallen sein, dass sich die verschüchterten Geschwister aus dem kriegszerstörten Ruhrgebiet anders als Gleichaltrige auf der Insel verhielten. Der neue Pflegevater schenkte Heidis Bruder eine Handvoll Münzen – und sah erstaunt, wie der kleine Junge das Geld, Stück für Stück, ins Wasser warf. „Irish Daddy war die Güte in Person“, sagt Heidi Schwandt-Boden. „Aber er hat wohl nicht wissen könne, dass man mit Reichsmark in den westlichen Besatzungszonen Deutschland vor der Währungsreform nichts kaufen konnte, selbst wenn man Millionen hatte.“ Der Krieg hatte die zivilisatorischen Errungenschaften so grundlegend zerstört, dass im Chaos sogar die Vorstellung vom Wert des Geldes unterging: Für Kinder waren Münzen Kiesel. In dieser Lage trafen die O’Reillys eine Entscheidung, die ihrem ehemaligen Pflegekind noch immer imponiert. Sie beschlossen: Normalität ist die beste Therapie. Das kleine Mädchen ging fortan in den Kindergarten und der Junge in Dublin auf die katholische Schule. „Sie haben alles richtig gemacht. Sie haben uns von Anfang an integriert, was so wichtig war. Wir konnten ja nicht einmal die Sprache.“ Daran denkt Heidi Schwandt-Boden heute oft, wenn sie die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge sieht. „Sie müssen sofort integriert werden“, sagt sie. „Da darf man nicht lange warten. Das ist das A und O, wenn sie eine Chance im neuen Land haben sollen.“ Hunger und Heimweh Fast 70 Jahre ist es her, dass in Irland eine außergewöhnliche Hilfsaktion anlief: die Operation Shamrock. Das Kleeblatt, „shamrock“, ist das Nationalsymbol der grünen Insel, und im Zeichen des Kleeblatts holte Irland Hunderte von Kindern aus dem Chaos des Kontinents auf die Insel, um sie vor Krankheit und Verhungern zu bewahren. Sie kamen wie Heidi Schwandt-Boden und ihr Bruder aus Deutschland, aber auch aus Frankreich und Österreich. Sie hatten Hunger und Heimweh, waren unterernährt oder traumatisiert, manche litten unter Geschwüren und Ödemen, einige waren Waisen. Oft waren es Gemeinde- oder Krankenschwestern, die den Eltern rieten, die ausländische Hilfe anzunehmen. Die 462 deutschen Mädchen und Jungen, meist aus Nordrhein-Westfalen, wurden bei irischen Familien untergebracht und aufgepäppelt. Bis 1949 kehrten die meisten nach Hause zurück. Einige blieben für immer. Aber alle hat die Erfahrung der Zuflucht geprägt. „Es war eine tolle humanitäre Leistung der Iren“, hat Heidi Schwandt-Boden kürzlich bei ...Den ganzen Artikel lesen Sie hier.