Zu Besuch bei Klinsmanns Bäckerei

 

Autorin: Uschi Entenmann

Vor acht Jahren trainierte Jürgen Klinsmann das deutsche Fußballteam. Nun steht er ihrem WM-Gruppengegner USA vor. Wie fühlt sich das an? Ein Ortstermin bei der Familienbäckerei Klinsmann in Stuttgart

Halb zwölf am Vormittag, noch ist nicht viel los in der Bäckerei Klinsmann. Nur ein Kunde, der ein paar Häuser weiter wohnt, verlangt ein Weizenbrot, Bioland, für zweidreißig. Oben drauf sind die Umrisse eines Fußballs mit einem Stempel eingeprägt.„Das Brot gibt es hier das ganze Jahr über“, sagt Nachbar Alfred Müller-Kattenstroth, 69. „Bloß jetzt heißt es WM-Laib, sonst Schweizer Brot.“ Was ihm im Übrigen vollkommen egal sei, ebenso wie die „Fußballer“ aus Mürbeteig, die Muffins mit Trillerpfeife und die „Klinsis“ zu fünfzig Cent das Stück. In fast allen steckt eine kleine Deutschlandflagge. In keinem die amerikanische.

Warum nicht? „Ich kann dazu nichts sagen, ich bin nur mittwochs da“, sagt die Verkäuferin und schaut durchs Schaufenster auf die Gasse, wo ein Drei-Mann-Team des SWR gerade eine Kamera aufs Stativ schiebt und die Bäckerei ins Visier nimmt. Neben ihr steht Frau Klinsmann, die Schwägerin von Jürgen. 1978 ist Familie Klinsmann vom schwäbischen Göppingen in dieses Stuttgarter Arbeiterviertel Botnang in Stuttgart gezogen, zwischen der Malerwerkstätte Dietz und der Pizzeria Traube in der Eltinger Straße in Stuttgart ist unten im Haus die Bäckerei, oben sind die Wohnräume. Botnang ist wie ein eigenes Dorf und liegt in dieser welligen Stadt in einer Talsenke. Inzwischen ist der Vater gestorben (2005), und Sohn Horst führt die Bäckerei mit seiner Frau. Mutter Martha taucht noch manchmal auf, wenn sie gebraucht wird.

Wer zählt, kommt heute auf zwei Verkäuferinnen, einen Kunden und vier von der Presse.

„Das ist aber nicht immer so, nur während der WM“, sagt der Nachbar von nebenan. An normalen Tagen drängen sich die Menschen hier wegen der guten Brezeln. So kurz vorm WM-Spiel ist aber kein normaler Tag. Der Presserummel geht Horst Klinsmann und seiner Frau eher auf die Nerven. Auch Mutter Martha, über die erzählt wird, dass sie sich mitunter als Aushilfe ausgebe, wenn einer reinkomme und nach Frau Klinsmann frage, anstatt Brötchen zu kaufen. „Die meisten wimmle ich schon am Telefon ab, die sollen gar nicht erst kommen“, meint ihre Schwiegertochter freundlich, aber bestimmt.

Warum hissen sie hier keine amerikanische Flagge, wenigstens eine, hinten in der Ecke, Jürgen Klinsmann zuliebe? „Weil wir für Deutschland sind“, sagt die Verkäuferin. Und mildert gleich wieder ab, „ach, die Mannschaft, die besser spielt, soll gewinnen, oder?“

Alfred Müller-Kattenstroth bezahlt und tritt auf die Straße. Hier in Botnang werde nicht so viel über Jürgen geredet, sagt er, der lebe schon so lange in Amerika. Es gebe zwei Sportvereine und einer davon, der ASV Botnang, verleihe bei einem Nachwuchsturnier jedes Jahr einen „Klinsmann-Cup“. „Bei der WM vor acht Jahren wurde die Straße hier zur Spielstraße erklärt“, erinnert er sich. Da durften keine Autos fahren und die Kinder kickten in der Gasse. Das war, als „der Jürgen“ die deutsche Mannschaft trainierte.

Eine freundliche, bodenständige Familie

Jetzt aber tritt er mit den Amerikanern an, und in der Eltingstraße fahren Autos. „Nein“, sagt er und lacht, „das sehen wir sportlich.“ Natürlich kenne er die Familie gut. „Als wir umbauten, bot uns Mutter Martha das Zimmer von Jürgen an, übergangsweise. Und meiner Frau spendierte der Jürgen mal signierte Fußbälle für den Weltladen.“ Es sei eine freundliche, bodenständige Familie, und das wichtigste seien doch die guten Brezeln, nicht vergleichbar mit denen, die es in den Filialen der Großbäckereien gibt, die sich überall breit machten. „Und was nicht verkauft wird, schenken sie am Abend einem Jugendsozialprojekt.“

Draußen weht die deutsche Flagge am Haus. Auch bei der Pizzeria und der Malerwerkstatt und den Fachwerkhäusern dahinter, überall schwarz-rot-gold. Und unten, am Erdbeerstand “Wendel“ an der Ecke, sagt der Bauer auf die Frage, wer denn das Spiel gewinnen soll, „na Deutschland“. Sein Kunde, der gleich ein ganzes Fünf-Pfund-Körbchen Erdbeeren kauft, fragt „Amerika? Wo ist Amerika?“

Fast tut einem der Jürgen leid, wie er hier von allen genannt wird. Gegenüber in der Kirche hat er immerhin seine beiden Kinder taufen lassen. Und was meint Herr Müller-Kattenstroth? „Wir haben keinen Fernseher, seit die Kinder aus dem Haus sind, und mich interessiert Fußball nicht so sehr. Aber morgen geh ich zum Nachbarn, das Spiel anschauen, der hat mich eingeladen.“ Und? „Ich bin für Amerika, denn ich freu mich, wenn der Jürgen gewinnt.“ Wenigstens einer.