Rätselraten nach Hinrichtung von Nordkoreas Nummer zwei

Das geheimnisumwitterte Nordkorea sorgt immer wieder für Überraschungen: Diesmal war es kein Kernwaffentest oder Raketenstart, sondern die Festnahme und Hinrichtung des bis dahin zweitmächtigsten Mannes im Land, Jang Song Thaek. Noch dazu war dieser Mann der Onkel von Jungdiktator Kim Jong Un: Trotzdem wurde er nicht einfach nur seiner Ämter enthoben, sondern in einer einzigartigen Inszenierung vor den Augen der Kameras festgenommen, abgeurteilt und nach Angaben der Staatsmedien inzwischen hingerichtet. Der offizielle Vorwurf gegen ihn lautete, er habe die Partei- und Staatsführung stürzen wollen, um selber an die Macht zu kommen. In den offiziellen Medien wurde der ehedem mächtige Jang nun beschimpft als “Verräter” und als “Abschaum, schlimmer als ein Hund”. Dazu kamen Vorwürfe wie Parteispaltung, Korruption oder Ausverkauf von Rohstoffen. Über diese Ereignisse in Nordkorea haben wir mit Aidan Foster-Carter gesprochen, der das abgeschottete Land seit Jahrzehnten beobachtet. Euronews: Eine brutale Maßnahme war das, und das ohne jede Vorwarnung – offenbar eine starke Botschaft an die Nordkoreaner.. Foster-Carter: Eine außerordentlich starke Botschaft war das; so etwas hat es noch nie gegeben. Natürlich ist das ein stalinistisches Regime: Da sind solche Säuberungen nichts Neues, aber für gewöhnlich spielen sie sich mehr im Verborgenen ab. Die Leute sind dann einfach nicht mehr zu sehen, oder bei hohen Vertretern ist die Rede von einer Erkrankung. Das Erstaunliche ist hier, dass das so öffentlich stattgefunden hat – und dann auch noch die Hinrichtung: Immerhin war das der angeheiratete Onkel des Führers. Es gibt diese lange Liste von Vorwürfen, wie die Planung eines Staatsstreichs, und die Nordkoreaner können das alles lesen: An sich würde so etwas nie bekannt werden. Euronews: Inwieweit könnte dieser Schritt ein Risko sein? Foster-Carter: Dazu gibt es zwei Sichtweisen, aber die richtige wird sich schnell herausstellen. Laut der Gegenansicht – die ich nicht teile – zeigt sich Kim Jong Un damit als starker Mann, den wir bisher unterschätzt haben. Demnach hat der Dreißigjährige jetzt genügend Selbstvertrauen, so dass er ohne seinen Onkel und Mentor herrschen kann. Ich halte es dagegen für einen Risikofaktor, dass das so öffentlich passiert ist. Bisher haben wir ja gedacht, dass der Übergang seit dem Tod von Kims Vater Kim Jong Il eher stabil verläuft. Die Politik wurde vor allem in der Partei gemacht; dazu wollten auch der Führer und sein Onkel etwas regieren, und ein bisschen war die Armee mit ihren Privilegien aus Vaters Zeiten beteiligt. Jetzt haben wir aber eine Gruppenbildung an der Spitze der Partei, und beim Onkel hört es vielleicht nicht auf: Andere werden auch schon wie auf Kohlen sitzen und sich fragen, ob ihre Zeit ebenfalls heran ist. Euronews: Was kann die Welt dabei tun? Foster-Carter: Nicht viel. Es kommt dabei auf China an: Aber obwohl China Nordkorea nicht besonders leiden kann, hat es Angst vor einem Zusammenbruch dort, mit Chaos oder herrenlosen Kernwaffen. Das wäre schlimmer, als es jetzt ist. China wird daher weiter versuchen, Nordkorea durch Handel und Entwicklung zu ändern. Das kann auf lange Sicht klappen, läuft aber andererseits den Sanktionen der UNO zuwider. Diese Woche hat wieder eine Grenzstadt in Nordkorea ein Abkommen geschlossen und will chinesische Investoren anlocken. Das war nach der Festnahme von Kims Onkel, obwohl für solche wirtschaftlichen Dinge mit China eigentlich wohl er zuständig war. Für die dort geht vielleicht einfach alles weiter wie gehabt. Für uns andere ist das ein düsteres Schauspiel, aber es gibt keine einfache Antwort.