Alessandra Mussolini: Wie die Enkelin des faschistischen Diktators zur LGBTQ+-Aktivistin wurde

"Lieber eine Faschistin als eine Schw*chtel!": Diese extrem homophobe Aussage, die 2006 in der beliebten italienischen Talkshow Porta a Porta geäußert wurde, prägte das Image von Alessandra Mussolini. Sie ist eine der bekanntesten Politikerinnen Italiens und, wie der Name bereits verrät, die Enkelin des faschistischen Diktators Benito Mussolini.

Alessandra Mussolini
Alessandra Mussolini ist seit langem eine der entschiedensten Verfechterinnen des Erbes ihres Großvaters. (Bild: Luca Bruno/AP)

Die 60-jährige Mussolini-Enkelin hat sich als eine Art lebendes Paradoxon einen Namen gemacht: Die ehemaliges Pop-Sängerin und Filmschauspielerin entpuppte sich als rechtsextreme Parlamentarierin und Verfechterin des Erbes ihres Großvaters.

Alessandra Mussolini - plötzlich pro LGBTQ+?

Nun liefert Alessandra Mussolini die nächste Überraschung. Die ehemalige Erzkonservative hat scheinbar eine Art Bekehrung erlebt: Sie ist seit kurzem eine leidenschaftliche Befürworterin der Rechte der LGBTQ+-Community und hat sich im Fernsehen und in den sozialen Medien geäußert, um queere Italiener und gleichgeschlechtliche Familien gegen die Angriffe der konservativen Regierung Italiens zu verteidigen.

"Was wird Ihnen weggenommen, wenn Sie ein bisschen Musik, ein bisschen 'Pride', ein bisschen Freiheit sehen?", schrie sie Anfang des Monats einen rechten Journalisten in einer Talkshow an: "Schließen Sie sich zu Hause ein, nehmen Sie eine Bibel und lesen Sie darin."

Wie wurde aus einer offenen Faschismus-Verharmloserin eine Verteidigerin der LGBTQ+-Rechte?

(deutsch: Die neue Bürgermeisterin von Latina, Matilde Celentano, hat meine volle Unterstützung! Die Erteilung der Schirmherrschaft der Gemeinde an #LazioPride , das am 8. Juli in Latina stattfinden wird, ist ein Beweis von Mut, Toleranz, Respekt und Liebe.)

Wer ist Alessandra Mussolini?

Als gebürtige Römerin wurde Alessandra Mussolini in eine kuriose Familie bestehend aus den dunkelsten politischen Kräften und den schillerndsten Filmstars der italienischen Geschichte hineingeboren.

Ihr Vater Romano war der vierte Sohn von Benito Mussolini, der von 1922 bis 1943 ein brutales faschistisches Regime führte und sich im Zweiten Weltkrieg mit Adolf Hitler verbündete. Ihre Mutter Anna Maria hingegen ist die Schwester von Sophia Loren, einer der beliebtesten Schauspielerinnen Italiens und eine Hollywood-Ikone der 1950er und 60er Jahre.

Die vierjährige Alessandra Mussolini mit ihrer Tante, Hollywood-Schauspielerin Sophia Loren, im April 1967. (Bild: Anonymous/AP1967)
Die vierjährige Alessandra Mussolini mit ihrer Tante, Hollywood-Schauspielerin Sophia Loren, im April 1967. (Bild: Anonymous/AP1967)

Mussolinis eigener Lebensweg ist geprägt von ihrem ausgesprochen ungewöhnlichen Hintergrund. Zunächst versuchte sie sich unter den Fittichen ihrer Tante Sophia als Schauspielerin, zog kurzzeitig nach Los Angeles und spielte ein paar kleinere Rollen in einigen wenigen Filmproduktionen, unter anderem in dem Oscar-nominierten Historiendrama Ein besonderer Tag aus dem Jahr 1977.

In den 80er Jahren posierte Mussolini für den Playboy und brachte sogar ihr eigenes Pop-Album Amore heraus, das in Japan zum Kultklassiker wurde. Im folgenden Jahrzehnt ließ sie jedoch die Welt der Unterhaltung hinter sich und beschloss, ihren Nachnamen für politische Zwecke zu nutzen.

1992 kandidierte Mussolini in Neapel, der Heimatstadt ihrer Mutter, als Mitglied der neofaschistischen Italienischen Sozialbewegung (Movimento Sociale Italiano) für das Parlament. "Bei meinem Großvater gab es zumindest eine Haltung, ein Verantwortungsbewusstsein, gesunden Menschenverstand und eine Liebe zu Italien, die es heute nicht mehr gibt", erklärte sie damals.

Mussolini wurde in die Abgeordnetenkammer gewählt und war 12 Jahre lang Abgeordnete, bis sie 2003 beschloss, die Nationale Allianz (Alleanza Nazionale) - die nationalkonservative Nachfolgerin der Italienischen Sozialbewegung - zu verlassen, nachdem sie mit der Ablehnung des Faschismus durch den Parteivorsitzenden als "das ultimative Übel" nicht einverstanden war.

Sie schloss sich daraufhin 2008 mit dem langjährigen Premierminister Silvio Berlusconi zusammen, trat seiner Partei bei und wurde schließlich Senatorin und Mitglied des Europäischen Parlaments. Diese Position hat sie bis heute inne.

Italiens damaliger Premierminister Silvio Berlusconi im Gespräch mit Alessandra Mussolini im Mai 2008. (Bild: Andrew Medichini/AP)
Italiens damaliger Premierminister Silvio Berlusconi im Gespräch mit Alessandra Mussolini im Mai 2008. (Bild: Andrew Medichini/AP)

Und sie ist nicht die einzige Mussolini, die derzeit in der italienischen Politik tätig ist - ihre Halbschwester Rachele und ihr Cousin Caio sind ebenfalls rechtsgerichtete Politikerinnen und Mitglieder von Giorgia Melonis Partei Brüder Italiens (Fratelli d'Italia).

Die Handschrift Mussolinis: Eine lange Liste von Kontroversen

Während ihrer gesamten politischen Karriere war Alessandra Mussolini eine lautstarke Verfechterin des italienischen Nationalismus und stets darauf bedacht, den Ruf ihres Großvaters zu schützen.

Ihr bereits erwähnter, berüchtigter Ausbruch im italienischen Fernsehen ereignete sich im Jahr 2006 während einer Debatte mit Vladimir Luxuria, Italiens erster transgeschlechtlicher Politikerin. Dort sorgte Mussolini mit ihrer enorm homophoben Aussage für Schlagzeilen.

Doch Alessandra hat eine lange Liste weiterer Skandale und Kontroversen vorzuweisen.

Weil sie sich jahrelang kämpferisch weigerte, sich von ihrem Familiennamen zu distanzieren, wobei sie sich häufig an der Grenze zur Illegalität bewegte, da in Italien die öffentliche Unterstützung von Faschismus verboten ist, stand sie in der Öffentlichkeit immer wieder in der Kritik.

Im Laufe der Jahre hat Alessandra Bilder ihres Großvaters signiert, einen Journalisten aufgefordert, ihre Familie zu "respektieren" und den amerikanischen Schauspieler Jim Carrey als "Bastard" bezeichnet, nachdem er eine Zeichnung von Benito Mussolinis Leiche getwittert hatte, die kopfüber hing.

Außerdem hat sie sich öffentlich gegen den antifaschistischen Befreiungstag in Italien positioniert, der am 25. April gefeiert wird. "Ich feiere ihn nicht", sagte sie 2016 der TV-Moderatorin Lilli Gruber, "ich habe diesen Nachnamen... und ich verteidige [meine Familie]."

Wie Mussolinis homophobe Äußerung bei Porta a Porta gezeigt hat, war auch ihre Beziehung zur italienischen LGBTQ+-Community nicht immer die herzlichste. Einst war Alessandra Mussolini "strikt dagegen", das Adoptionsrecht auf gleichgeschlechtliche Paare auszudehnen, und äußerte ihr Entsetzen bei dem Gedanken, dass ein Kind "zwei Männer im Bett herumrollen" sehen könnte.

Andererseits ging die Hingabe der rechten Politikerin zur Verteidigung der Ehre ihres Großvaters sogar so weit, dass sie behauptete, er habe Homosexuelle nicht wirklich gehasst - obwohl er Tausende auf die Tremiti-Inseln verbannt hatte. "Meine Familie hatte viele Freundschaften mit Homosexuellen", erklärte sie 2008, "ich leugne die [Exilanten] nicht, aber die Familie Mussolini als homophob darzustellen, ist falsch."

"Sich ändern heißt frei sein": Der Wandel der Alessandra Mussolini

Nach Jahrzehnten der Verteidigung ultrakonservativer Werte scheint sich Alessandra Mussolini gewandelt zu haben: Sie droht nicht mehrdamit, "Lang lebe Opa"-T-Shirts zu tragen, sondern schwenkt die Regenbogenfahne der LGBTQ+-Community.

In den letzten Jahren hat sich die ehemalige Hardlinerin für "Pride"-Feierlichkeiten eingekleidet, sich für transsexuelle und nicht-binäre Menschen eingesetzt und sogar zu mehr Geschlechterfluidität aufgerufen. "Genug von Geschlecht und Sexualität, jeder ist so fluid, wie er will", erklärte sie im vergangenen Oktober: "Wollt ihr, dass ich auch fluid werde?"

Diese Haltung hat zu einem Zerwürfnis mit Italiens rechtsextremer Premierministerin Giorgia Meloni geführt. Mussolini stellt sich nun gemeinsam mit Aktivist*innen gegen Melonis nationalistische Regierung, die verschiedene Schritte unternommen hat, um Mitgliedern der LGBTQ+-Community in Italien das Leben zu erschweren.

Als beispielsweise die Staatsanwaltschaft letzten Monat versuchte, Kindern gleichgeschlechtlicher Familien die Geburtsurkunden zu entziehen, forderte Mussolini das Europäische Parlament auf, einzugreifen. "Kinder müssen vor allem und jedem verteidigt werden", argumentierte sie und forderte die Anerkennung von Geburtsurkunden unabhängig davon, wie die Kinder gezeugt wurden. Außerdem prangerte sie den Schritt der italienischen Regierung an und bezeichnete ihn als "eines zivilisierten Landes unwürdig".

Anfang dieses Jahres nahm Alessandra sogar Brüssel in die Pflicht und beschwerte sich darüber, dass die Pässe der Europaabgeordneten nur die Optionen "männlich" und "weiblich" enthielten.

Was steckt hinter dem Sinneswandel?

Mussolinis Kehrtwende hat für Aufsehen gesorgt, aber nicht nur, weil sie im Widerspruch zu ihrem politischen Hintergrund steht: Ihr Sinneswandel steht im Gegensatz zu einem breiteren Trend unter den Konservativen weltweit, die eine vehementere, queerfeindliche Haltung einnehmen.

Was also hat Alessandra Mussolini dazu veranlasst, diese 180-Grad-Wende durchzuführen und gegen den Strom der Rechten zu schwimmen?

Ein Ansatzpunkt könnte ihre Teilnahme an der italienischen Version von Let's Dance im Jahr 2020 sein. Dort wurde sie von der Jury aufgefordert, sich für ihre Aussage "Lieber eine Faschistin als eine Schw*chtel" zu entschuldigen.

Seitdem ist bei Alessandra Mussolini in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit ein Sinneswandel zu beobachten.

Im Jahr 2021 posierte sie für ein glitzerndes Fotoshooting zum Thema "Pride" und verteidigte ein Gesetz, das die Rechte von LGBTQ+-Personen, Frauen und Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung schützen sollte. Das Gesetz wurde im Oktober desselben Jahres vom Senat verhindert, was sie als einen Affront gegen die "Freiheit" bezeichnete.

Viele bleiben allerdings skeptisch

Angesichts ihrer politischen Vergangenheit und ihrer zahlreichen problematischen Äußerungen fällt es noch vielen schwer, ihrer neu entdeckten Verbundenheit mit der LGBTQ+-Community zu trauen. Andere haben sie jedoch mit offenen Armen empfangen und darauf hingewiesen, dass jeder Mensch das Recht hat, seine Haltung zu ändern - was oft nach positiven Interaktionen mit Verwandten oder Freund*innen geschieht.

Der vielleicht größte Faktor hinter Alessandra Mussolinis 180-Grad-Wende waren ihre Kinder selbst. "Im Leben verändern wir uns alle: aufgrund unserer Erfahrungen und der Dinge, die uns widerfahren", sagte Alessandra Mussolini gegenüber Vanity Fair: "Im Gespräch mit meinen Kindern habe ich verstanden, dass die sexuelle Orientierung für sie kein Thema ist: Es ist, als würde man ein Kleid anziehen, das man wechseln kann, und niemand kümmert sich darum, wie es aussieht."

Im Video: Mussolini bleibt Ehrenbürger von Salò