Eine Analyse von Ulrich Reitz - Baerbocks Verzicht zeigt ihre ganze Arroganz - und ist Seitenhieb gegen Habeck

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin, spricht auf der Herzlija-Sicherheitskonferenz in der Reichmann Universität in Tel Aviv.<span class="copyright">Hannes P Albert/dpa</span>
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin, spricht auf der Herzlija-Sicherheitskonferenz in der Reichmann Universität in Tel Aviv.Hannes P Albert/dpa

Annalena Baerbock verzichtet auf die Kanzlerkandidatur der Grünen. Sie folgt damit den Realitäten. Das ist klug. Zugleich erklärt sie sich als Außenministerin für unverzichtbar. Das ist peinlich.

Annalena Baerbock hätte auch dies sagen können: „Nachdem ich es damals gründlich verbockt habe, ist nun Robert Habeck an der Reihe. Das ist für mich auch eine Frage der Gerechtigkeit.“ Sie hat diesen Satz aber nicht gesagt. Sie hat sich für einen anderen Satz entschieden. Dass – und wo – sie dies von sich gab, spricht Bände.

Annalena Baerbock: Verzichts-Erklärung in Amerika

Den Verzicht auf eine Kanzlerkandidatur , die ihr im übrigen auch noch niemand angetragen hatte, womit sie verzichtete, ohne nominiert worden zu sein, gab sie nicht bekannt in: Berlin. Oder in Mainz. Oder in Köln. Oder in Erfurt. Sondern: In Washington. Und sie erklärte das auch nicht gegenüber irgendwem, sondern sie nutzte dafür ein Interview mit Christiane Amanpour – einer der bekanntesten Journalistinnen der Welt.

Die Botschaft der deutschen Außenministerin mit diesem „Setting“ war: Hier verkünde ich eine Weltnachricht. Dem „Setting“ entsprach ihr „Framing“. Denn Baerbock sagte dies über ihre zukünftigen Pläne, die weniger ihren Beruf beschreiben, sondern vielmehr ihre Berufung, also die Adelung ihres Jobs:

„Statt in einer Kanzlerkandidatur gebunden zu sein, meine Kraft weiterhin voll und ganz meiner Aufgabe zu widmen, Vertrauen, Kooperation und verlässliche Strukturen zu bilden - für und mit so vielen Partnern weltweit und in Europa, die darauf bauen."

Was das heißt: Aus einer höchst persönlichen macht Baerbock eine höchst patriotische Entscheidung. Sie wählt in einem Fernseh-Interview eine Formulierung, die in ihrer Getragenheit an ihren Amtseid erinnert. Und sie erklärt sich selbst quasi für unverzichtbar. Alles daran erinnert an den wunderbar ironischen Song von Tim Bendzko – „Nur noch kurz die Welt retten“, indem es heißt:

„Ich muss jetzt echt die Welt retten

Danach flieg‘ ich zu dir

Noch 148 Mails checken

Wer weiß, was mir dann noch passiert

Denn es passiert so viel…“

Eine Selbstüberhöhung an der Grenze zur Peinlichkeit

Was die Deutschen anginge, denn Baerbock ist deutsche Außenministerin, erklärt sie nicht in Deutschland, sondern in Washington. Sie sagt: Ihre überaus wichtige Aufgabe lasse ihr keine Zeit für eine Kandidatur zur Kanzlerin. Sie sagt auch, ihre Partner, zu denen sie jettet, „bauten“ auf sie.

Das ist, man kann es nicht anders sagen: Eine Selbstüberhöhung an der Grenze zur Peinlichkeit. Sie sagt damit nicht nur, sie selbst sei unverzichtbar. Sie sagt auch, die anderen auf der Welt glaubten das gleichfalls. Nur noch kurz die Welt retten…

Ich hatte noch das Glück, Hans-Dietrich Genscher zu kennen – und über ihn zu schreiben, nicht immer positiv. Genscher war was, was man vielleicht den Phänotypen eines deutschen Außenministers nennen kann. Nicht, weil er im gelben Pullunder so oft um die Welt flog, dass er sich in der Luft selbst begegnete, wie ein Bonmot über ihn sagte. „Genschman“ war sehr selbstbewusst, das hilft auch, wenn man ein großes Land in der Welt vertreten muss. Aber einen Satz wie den von Baerbock, den hätte er nie gesagt – hat er auch nicht.

Er hätte dies unprofessionell empfunden. Denn: Es ist die Rolle eines Außenministers, hinter seiner persönlichen Befindlichkeit und seiner persönlichen Botschaft und seiner persönlichen Moral zu verschwinden – um das Staatsganze zu repräsentieren. Das war der Grund, weshalb Genscher, weit über seine eigene, kleine liberale Partei, so respektiert war bei anderen und so beliebt in der Bevölkerung.

Seitenhieb: Hat Habeck keinen wichtigen Job?

Die Kanzlerkandidatur, das ist doch etwas, wofür andere, die nicht die Welt retten müssen, Zeit haben mögen. Was macht in den Augen von Annalena Baerbock eigentlich ihr Amtskollege und Parteifreund Robert Habeck? Wer von beiden hat eigentlich, diese Frage provoziert Baerbock mit ihrem Seitenhieb, den wichtigeren Job?

Baerbock bleibt sich – in Bezug auf Habeck – damit seltsam treu. Vor knapp vier Jahren, 2020, da hatte sie für die Rollenverteilung zwischen ihnen beiden in einem Doppelinterview beim NDR einen inzwischen legendären Vergleich gefunden. Er läuft ihr bis heute nach – zurecht.

Sie sagte, zuerst über Habeck, dann über sich selbst: „Vom Hause her kommt er – Hühner, Schweine, weiß ich nicht, was haste? Kühe melken.“ Da war Habeck Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Um sich von den Niederungen des Schweinestalls zu überheben, setzte Baerbock über sich selbst hinzu: „Ich komme eher aus dem Völkerrecht. Da kommen wir aus ganz anderen Welten.“ Nun ist Robert Habeck promoviert, Baerbock nicht. Habeck hat ein deutsches Studium abgeschlossen, er ist Akademiker. Baerbock nicht. Schon damals hatte sie keinen Grund, sich über ihren Parteifreund-Konkurrenten zu erheben – sie tat es dennoch.

Habeck reagierte auf Baerbocks eigenwillige und selbstbespiegelnde Washington-Aktion staatsmännisch-zurückhaltend: Baerbock mache einen guten Job, und nun würden die Gremien entscheiden. Es war ein klarer Kontrapunkt: Habeck entschied sich dafür, sich nicht in den Vordergrund zu spielen – obwohl es leicht gewesen wäre.

Ob sie Ministerin bleiben kann, entscheiden andere

Befremdlich ist auch der Eindruck der eigenen Unverzichtbarkeit, den Baerbock wählt. Die weltweit „vielen Partner“, die auf sie und ihre selbst behaupteten Fähigkeiten bauen, „Vertrauen, Kooperation und verlässliche Strukturen zu bilden“, werden darauf womöglich schon in einem Jahr verzichten müssen. Denn dann sind Bundestagswahlen.

Die entscheiden über die Stärke der Parteien im Bundestag. Davon hängt ab, wer mit wem eine Koalition bilden kann. Davon hängt ab, ob die Grünen erneut in eine Regierung eintreten können. Dann bestimmen die Grünen – am Ende von Koalitionsverhandlungen, falls es denn dazu kommt – über ihr Personaltableau. Worüber sie danach mit ihrem Koalitionspartner verhandeln. Kurzum: Ob Baerbock wieder Außenministerin wird, hängt ab, Stand jetzt, von Friedrich Merz und Robert Habeck. Mehr jedenfalls als von ihr selbst.

Viele Grüne loben Baerbock jetzt für einen Schritt, der ohnehin so gut wie unausweichlich war. Sie heben dabei ihre Rolle als „Teamplayerin“ hervor. „Ich habe entschieden“, sagt Baerbock zu ihrem Schritt. Ich – nicht: „Wir“.

Es wäre noch über ihre Rolle als Außenministerin zu reden, dazu an dieser Stelle nur soviel: Sobald es wichtig wird, macht das Bundeskanzleramt die Außenpolitik. Dafür hat der Bundeskanzler seine Richtlinienkompetenz. In der Debatte um die militärische Unterstützung für die Ukraine konnte man, um ein Schröder-Fischer-Wort zu benutzen, sehr gut erkenne, wer in der deutschen Außenpolitik Koch war, und wer Kellner.

Surftipp:  Kommentar von Sozialforscher Herteux - Verzicht auf Kanzlerkandidatur ist nicht das Ende von Baerbocks großen Polit-Ambitionen