Darf man dieses Foto allen zeigen?

 

Dieses Bild war Instagram zu heikel. (Bild: SWNS)
Dieses Bild war Instagram zu heikel. (Bild: SWNS)

Ein harmloses Foto mit großer Wirkung: Eine Mutter postete ein Bild ihrer kleinen Tochter, die ihren Bauchnabel begutachtet. Instagram nahm das Foto aus dem Netz, denn das Kind war teilweise nackig. Diese Maßnahme sorgte für einen Sturm der Entrüstung unter den Usern.

Courtney Adamo staunte nicht schlecht über die Reaktionen auf eine Aufnahme ihrer 19 Monate alten Tochter Marlow, die sie bei Instagram ins Netz gestellt hatte: Ein kleines Mädchen in Gummistiefeln, das auf ihren eigenen Bauch blickt. Völlig harmlos, dachte sich Adamo. Geht gar nicht, befanden die Betreiber der Foto-und Video-Sharing-App und löschten das Bild. Das Problem aus Instagram-Sicht: Das Baby hatte sein Shirt hochgezogen, der Oberkörper war teilweise nackig.

Courtney Adamo, eine Internet-erfahrene 33-jährige Bloggerin für die Online-Boutique Babyccino Kids mit 40.000 Followern, wurde angeschrieben. Sie habe die Regeln gebrochen, hieß es von Instagram. Adamo gab nicht klein bei. Sie prüfte die Vorschriften und meinte: Pornografisch ist das Bild nicht. Stellte das Foto wieder bei Instagram ein – und wurde wenige Stunden später mit einem geschlossenen Account konfrontiert.

Schutz oder Eingriff

Der Fall Adamo steht beispielhaft für eine der großen Unsicherheiten im Internet: Wie umgehen mit dem vielen Missbrauch von Kinderfotos? Wo endet das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, was sind harmlose Kinderbilder und wo beginnt Kinderpornografie? Über Instagram lässt sich schnell aufregen, aber es ist auch nicht einfach zu bestimmen, wo man eine rote Linie ziehen sollte: „Wir arbeiten hart daran, eine gute Balance zwischen denjenigen zu finden, die sich kreativ ausdrücken können sollen, und den Vorschriften zum Schutz junger Kinder“, heißt es von Instagram.

Dieses Bild zeigt die Bloggerin aus London zusammen mit ihrer Tochter. (Bild: SWNS)
Dieses Bild zeigt die Bloggerin aus London zusammen mit ihrer Tochter. (Bild: SWNS)



Adamo zeigte sich geschockt. Die Mutter von vier Kindern schrieb in ihrem Blog: „Sie ist ein Baby! Das Foto unterscheidet sich nicht von dem eines Babys mit Windeln oder eines Jungen in Badehose. Dies auch nur im Entferntesten für unangemessen zu halten, ist selbst abscheulich.“ Der Kollateralschaden für Adamo: Die vielen Fotos aus den vergangenen vier Jahren waren erstmal weg. Da Adamo im Netz keine Unbekannte ist, erhielt sie rasch Zuspruch; unter den Hashtags „#BringBackCourtneyBabyccino“ und „#savethebelly spring up rapidly“ trommelten ihre Unterstützer für die Öffnung von Adamos Account. So zum Beispiel „@robinandmould“: „Das hat mich den ganzen Tag aufgeregt. Bitte reaktiviert @courtneybabyccino @instagram“, hieß es dort.

Kampagnen setzen die Social Medias unter Druck

Die Kampagne zeigte Wirkung. Instagram hob die Sperrung von Adamos Konto auf. Ein Sprecher: „Wir erkennen an, dass wir es nicht immer richtig machen. In diesem Fall haben wir einen Fehler gemacht und haben den Account wieder hergestellt.“

Letztlich zeigt sich, dass es einen Königsweg beim Abwägen über Fotos nicht gibt, nur die individuelle Prüfung. Und die Korrektur früherer Entscheidungen: Facebook hatte bis vor kurzem Fotos von stillenden Müttern mit ihren Brüsten gelöscht, obwohl die internen Vorschriften diesen Fall nicht explizit nennen. Eine Kampagne ähnlich wie bei Adamo etablierte sich unter „#Freethenipple“ und setzte Facebook erfolgreich unter Druck.

Man muss sich auch fragen: Wo beginnt der Missbrauch und was sind seine Dimensionen? Die Vorstellung, dass sich Erwachsene an den Fotos der eigenen Kinder sexuell berauschen, macht pure Angst. Auf der anderen Seite bleibt solch Verhalten unbekannt und anonym – und wenn das Betrachten von Internetfotos pädophil veranlagten Menschen ausreicht, ist dies nach Aussagen von Sexualwissenschaftlern eine Möglichkeit zu verhindern, dass die sich Kindern tatsächlich nähern.  Es gehört also Mut dazu, angesichts dieser realen Ängste nicht auf Nummer sicher zu gehen und nach Verboten zu rufen.

Und es ist eine Debatte, die nicht nur für User und Betreiber von sozialen Netzwerken angeht. Längst hat sie in Deutschland mit dem Fall Sebastian Edathy die Politik erreicht. Gegen den mittlerweile ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten ermittelt die Staatsanwaltschaft; es geht um den Verdacht, dass er kinderpornografisches Material besessen habe. Edathy selbst hatte sich auf die Freiheit der Kunst berufen, der Ausgang des Verfahrens ist offen. Justizminister Heiko Maas (SPD) will das Strafgesetzbuch verschärfen. Künftig soll bereits der Besitz von Bildern strafbar sein, die Kinder nackt zeigen, etwa beim Baden oder Spielen. Das könnte genau auf Bilder wie das von Adamo zutreffen.

Instagram zeigte sich schlussendlich nicht wirklich offen. Adamos Account ging zwar wieder online. Aber das Foto ihrer Tochter blieb dennoch gesperrt.

(Jan Rübel)