Helmut Schmidt - „Nationalsozialistische Haltung tadelfrei“

Neu aufgetauchte Dokumente nennen Schmidt tadellosen Nazi (dpa)
Neu aufgetauchte Dokumente nennen Schmidt tadellosen Nazi (dpa)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Er ist die graue Eminenz deutscher Politikerweisheit. Räuspert sich Helmut Schmidt, hin und wieder, hört man ihm zu, als wäre er der Alte vom Berg, eine Art Meister Yoda hanseatischen Zuschnitts. Haltung und Würde, aber auch Besserwisserei und ein etwas sehr stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein gehören zu seiner Aura. Und Unverwüstlichkeit: Wo er auftritt, hinterlässt er den Rauch seiner Menthol-Zigaretten, seit unzähligen Jahren.

Und nun dieser Vorwurf kurz vor seinem 96. Geburtstag, er habe sein wahres Leben in der Hitler-Jugend und in der Wehrmacht verschwiegen. Dass er dort war, ist zwar weithin bekannt. Die Autorin Sabine Pamperrien hatte aber – mit Schmidts Einwilligung – seine Wehrmachtakte im Freiburger Militärarchiv ausgewertet und war auf bisher unbekannte Beurteilungen gestoßen. „Steht auf dem Boden der nat.soz. (nationalsozialistischen – d. Red.) Weltanschauung und versteht es, dieses Gedankengut weiterzugeben“, heißt es da. Und woanders: Schmidt habe eine „einwandfreie nationalsozialistische Haltung“. Schließlich an anderer Stellte: „Nationalsozialistische Haltung tadelfrei“.

Haltung war ihm immer wichtig

Das klingt bitter und mag nicht zum Bild passen, das man vom Altkanzler hat. Er selbst hat sich indes nie als Widerständler inszeniert und hat zu seinen menschlichen Irrungen gestanden – als einer von vielen, die mit dem Strom geschwommen sind. Allerdings bleibt ein etwas fahler Nachgeschmack: Schmidt war und ist stets um Haltung bemüht, er will aufrecht wirken, unerschrocken und unbeugsam. So versuchte er sich auch zu beschreiben, wenn er von seinem Leben zwischen 1933 und 1945 erzählte; da ging es um seinen Glauben, die Wehrmacht sei die einzige anständige Organisation gewesen, da ging es um jemanden, der auch in der Nazi-Zeit habe Charakter zeigen wollen. Vielleicht ist das doch etwas zu viel Zuckerguss. Die Biografie Helmut Schmidts an sich verbittern diese neu-alten Dokumente jedoch nicht.

Denn die Beurteilungen darin belegen nur, dass Schmidt damals mit dem Strom schwamm. Das ist nicht wenig. Aber als jemand, der lange nach dem Krieg geboren wurde, stellt sich der Autor hier die Frage: Wie hätte ich gehandelt? Wäre ich weniger verführbar gewesen von dieser banal-brutalen Ideologie einer schwärmerischen „Volksgemeinschaft“?

Wie ist es, sich gegen die Gemeinschaft zu stellen?

Es gibt einen Satz in einem Roman, der dem Autor haften geblieben ist: „Georg war inzwischen aus seinem Schuppen herausgekrochen, bevor er jemand in Gefahr gebracht hatte, ihn zu entdecken.“ Georg – das ist ein Gefangener, der aus einem KZ in Deutschland geflohen ist. Den Roman „Das siebte Kreuz“ hat Anna Seghers kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Den Flüchtling Georg schildert sie in all seiner Verzweiflung, vor allem, weil er DRAUßEN ist. Alle anderen haben gegen ihn zu sein, er ist der absolute Outlaw. Wer ihm begegnet, hat Angst, allein deshalb Probleme zu kriegen: Mit der Gestapo, mit der Nazi-Ideologie, mit dem miesen Überwachungs- und Gleichschaltungssystem, das die Nazis installiert hatten. Wenn ich diesen Satz über Georg lese, erscheinen die Beurteilungen in Schmidts Wehrmachtsakte wie Standardformulierungen, die man halt machte. Hätten sie gefehlt, hätte Schmidt damals auch Probleme gekriegt?

Der Makel des Altkanzlers, und der besteht nicht erst seit Auftauchen dieser Dokumente aus dem Militärarchiv, ist sein leicht naseweiser Auftritt. Dass Politiker aber sich, ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart schönen, ist keine Neuigkeit. Und Schmidt verzeiht man seine Eitelkeit bei all seinen Verdiensten mit Kusshand. Und wartet gespannt, was er zu den neuen Vorwürfen sagen wird. Wäre er dabei ein wenig gebeugter und ein wenig mehr gramerfüllt, wäre es ihm kein Schaden.