Braucht Deutschland Atomwaffen? Neun Fragen - neun Antworten

Die Pilzwolke nach dem Zünden einer Atombombe durch die US-Streitkräfte bei einem Versuch am Bikini-Atoll der Marschallinseln im Jahr 1946 (Bild: REUTERS/U.S. Library of Congress/Handout via Reuters)
Die Pilzwolke nach dem Zünden einer Atombombe durch die US-Streitkräfte bei einem Versuch am Bikini-Atoll der Marschallinseln im Jahr 1946. (Bild: REUTERS/U.S. Library of Congress/Handout via Reuters)

Eine Analyse von Jan Rübel

Mit etwas Anstrengung kann man sich die Bedrohung auch wegdenken. Sie ist dann gedanklich entfernt, aber leider befindet sich Europa immer noch seit bald zwei Jahren in Unruhe – um es höflich auszudrücken. Was macht man damit? Aktuell wird darüber debattiert, wie verteidigungs- oder eben kampffähig die Bundeswehr sein soll. Und die letzte Option dieser abschreckenden Verteidigungshaltung wäre das Winken mit Atomwaffen. In Deutschland stehen zwar welche, aber sie gehören den USA. Nun hat aber Donald Trump, der gewisse Chancen auf die Wahl zum Präsidenten im November hat, geunkt: Wenn ein Nato-Mitgliedsland nicht genügend für seine Rüstung ausgibt, würde er ihm nicht beistehen.

Genügend – das ist definiert und beträgt zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandprodukts. Dies erfüllt zum Beispiel Deutschland erst seit kurzem. Was bedeutet das für die atomare Abschreckung – würde Trump die entziehen?

Was sind Atomwaffen?

Es handelt sich um Waffen, die ein sogenanntes Massenvernichtungspotenzial haben. Sie entfalten ihre "Kraft" nicht durchs Verbrennen, sondern durch Kernspaltung. In Deutschland sind sie in US-Kasernen stationiert; da Deutschland Teil des Verteidigungsbündnisses Nato ist könnten auch Flugzeuge der Bundeswehr im Zweifelsfall mit den US-Atomwaffen bestückt werden.

Warum überhaupt Atomwaffen?

Diese Waffen wurden ab dem zweiten Weltkrieg entwickelt, als sich ein Wettrüsten zwischen USA und Sowjetunion entwickelte. Zwei Bomben wurden von den Amerikanern gegen Ende des Krieges über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen – mit furchtbaren und verheerenden Folgen, wegen der radioaktiven Strahlung bis heute. Seitdem sind die USA und die UdSSR die politischen Mächte mit den meisten Atomwaffen, und zwar mit Abstand. Das Kalkül: Wenn der eine Staat dem anderen totale Vernichtung androhen kann, greift dieser nicht zu solchen Mitteln. Die Waffen sollten abschrecken.

Wie ging es im Kalten Krieg weiter?

Beide Staaten suchten aber nicht nur Schutz, sondern auch Vorherrschaft. Der eine wollte immer mächtiger sein als der andere, auch bei Waffen. Die Folge war ein Wettrüsten, das nicht nur Unsummen an Geld verschlang, sondern auch bei einem Ernstfall den gesamten Planeten mehrfach hätte zerstören können. Allein die Schaffung dieser theoretischen Möglichkeit rief die Friedensbewegung auf den Plan, die in Westdeutschland gegen Atomwaffen an sich protestierte.

Hat sich die Situation nun geändert?

Seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Krieges standen die Zeichen auf Abrüstung und vertrauensbildende Maßnahmen; ihr atomares Abschreckungspotenzial behielten die Länder. Doch mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine gibt es eine neue geopolitische Lage. Russlands Präsident Wladimir Putin demonstrierte, dass er seine nationalistische und imperialistische Expansionspolitik mit Gewalt durchzusetzen versucht. Eine Fußnote der Geschichte ist, dass die Ukraine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der Neunziger Russland die im Land stationierten Atomwaffen überließ – gegen Souveränitätsgarantien. Diese hat Putin nun gebrochen. Und die Ukraine verfügt nicht mehr über "Abschreckung". Deutschland ist also im Osten mit einem Nachbarn konfrontiert, der vor allem die Sprache der Gewalt kennt und pflegt.

Aber die Atomwaffen sind doch da, oder?

Ja, aber die Zuverlässigkeit des US-Atomwaffen-Schutzschirms steht in Frage, falls Trump erneut US-Präsident werden sollte. Die Sicherheit anderer Länder, auch befreundeter, scheint ihm weniger wichtig zu sein.

Sollte die EU Atomwaffen anschaffen?

FDP-Chef Christian Lindner sprach sich für eine ernsthafte Debatte über eine EU-Atombombe als Alternative aus. Doch es bestehen Hürden: Die Waffen zu beschaffen, wäre machbar. Doch wie sähe die Kommandostruktur aus, wer gäbe im Ernstfall den Befehl? Die EU ist sich in wesentlichen Fragen uneins – wie sollte es gelingen, bei solch einem sensiblen Thema einen Konsens herzustellen? Seit langem gibt es Bestrebungen, dass die EU eigene Streitkräfte aufstellt: Es würde nur Sinn machen, und zwar militärisch und finanziell. Denn jedes Land hat seine eigene Beschaffung, die eigenen Standards und Regeln; das macht Rüstung viel teurer als etwa für die USA, bei deren Streitkräften alles "aus einem Guss" ist.

Gibt es nicht auch Frankreich und Großbritannien?

Beide Länder verfügen selbst über Atomwaffen, beide sind in der Nato. Sollten die US-Atomwaffen ausfallen, stünden zwar Waffen bereit, aber nach Auskunft von Experten nicht genügend. Denn Frankreich zum Beispiel verfügt nur über sogenannte strategische Atomwaffen, die nur über eine lange Distanz eingesetzt werden können – also nicht über sogenannte taktische Atomwaffen, die zielgerichtet und über kurze Distanz verwendet werden können. Für eine konventionelle Abschreckung, so Experten, braucht man strategische und taktische Atomwaffen. Unsicher sind auch die politischen Verhältnisse: Was, wenn ein Staatschef in Frankreich oder in Großbritannien Deutschland nicht beschützen will? Was, wenn die Rechtsextremistin Marine Le Pen an die Macht kommt?

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Infografik: Wo sind in Europa Atomwaffen stationiert? | Statista
Infografik: Wo sind in Europa Atomwaffen stationiert? | Statista

Also doch die Nato?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält weiterhin an der Abschreckung unter dem Mantel der Nato fest, auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Und bei Trump weiß man, dass seine Worte im Grunde wenig wert sind, auch viele seiner bedrohlichen. Auch ist die Nato tatsächlich ein Bündnis, das zwar von den USA dominiert, aber nicht kontrolliert wird. Das heißt: Es sollte funktionieren können, wenn ein Mitglied aussteigt.

Oder ganz darauf verzichten?

Für diese Antwort machen sich Pazifisten von links stark, aber auch einige Vertreter von rechts – weil sie in Russland weniger eine Bedrohung sehen. Sie setzen auf eine "Friedenspolitik" der Verständigung. Doch eines wissen wir aus der Geschichte: Aus einer Position der Stärke setzt man sich am mächtigsten für Frieden ein.