Chrupalla muss Parteitag fürchten - Ein geheimes Netzwerk bedroht jetzt den mächtigen AfD-Chef

Tino Chrupalla (AfD), Bundesvorsitzender, geht nach seiner Rede auf dem Landesparteitag der AfD in der Sachsenlandhalle an dem Logo der Partei vorbei.<span class="copyright">Jan Woitas/dpa</span>
Tino Chrupalla (AfD), Bundesvorsitzender, geht nach seiner Rede auf dem Landesparteitag der AfD in der Sachsenlandhalle an dem Logo der Partei vorbei.Jan Woitas/dpa

Der AfD-Parteitag könnte zur Abrechnung mit der Führungsspitze geraten. Besonders gefährdet: Tino Chrupalla. Nicht mehr sein Verbündeter Björn Höcke ist der mächtigste Strippenzieher, sondern ein neues Netzwerk.

Für ihren Parteitag werden sich die AfD-Delegierten am Wochenende abgeriegelt von der Außenwelt in der Essener Messehalle treffen. Die Polizei rechnet mit Zehntausenden Gegendemonstranten, darunter auch gewaltbereite Störer, weshalb fast ein ganzer Stadtteil um die Veranstaltung herum abgesperrt wird. Zu hitzigen Konfrontationen wird es vermutlich dennoch kommen: nämlich in der Parteitagshalle zwischen den AfD-Mitgliedern.

Die Versammlung könnte zur Abrechnung über die vergangenen Monate geraten: Enthüllte Verstrickungen mit dem Potsdamer Geheimtreffen zur Remigration, Skandale um die zu große Nähe zu Russland und China, in der Folge ein Europawahlkampf ohne Spitzenkandidat Maximilian Krah, ein Urteil gegen den rechtsextremen Thüringer Landeschef Björn Höcke – und das alles begleitet von fallenden Umfragewerten.

Experte erwartet „Spannungen und Unruhen“ auf AfD-Parteitag in Essen

„Ich sehe dem ganz gelassen entgegen. Ich glaube nicht, dass es so viel Aufregung geben wird“, sagte Parteichefin Alice Weidel betont gelassen mit Blick auf den Parteitag. Der Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke hingegen rechnet im Gespräch mit FOCUS online mit „Spannungen und Unruhen“. Zwar gebe es nach wie vor eine Mehrheit für den rechten Kurs, „aber die Radau-Brüder wie Krah haben Kratzer im bürgerlichen Bild hinterlassen, das die AfD so gerne von sich zeichnet“, so der Politikwissenschaftler. Darüber werde es zu Diskussionen kommen.

Tatsächlich gibt es zahlreiche Anträge von Delegierten, die sich entweder als Kritik an Krah lesen lassen – oder als Unterstützung: Es habe gegen den geschassten Spitzenkandidaten eine „auf Lügen und Verdächtigungen basierenden Schmutzkampagne“ gegeben, will beispielsweise der bayerische Landesverband als Fazit zum Europawahlkampf beschließen lassen.

Tino Chrupalla muss um seinen Posten als AfD-Parteichef fürchten

Weidels Co-Vorsitzender Tino Chrupalla hat Krah einst bei seiner Aufstellung unterstützt. Doch nicht nur deshalb ist bei dem Parteichef wenig Gelassenheit vor dem Wochenende zu spüren. Für ihn könnte die Versammlung in Essen zum politischen Überlebenskampf werden.

Obwohl Chrupalla offenbar der fleißigere Part des Führungsduos ist, steht er besonders in der Kritik. Der Malermeister gilt im Grunde schon seit seiner Wahl im Jahr 2019 vor allem in den westdeutschen Landesverbänden vielen als zu hemdsärmelig. Politikwissenschaftler Funke, der die AfD schon lange beobachtet, nennt Weidel „die Klügere, die Strategischere“ in der Doppelspitze. Auf seinem Posten gehalten hat sich Chrupalla trotzdem über die Jahre – zumindest bislang.

Höckes Schwäche ist Chrupallas Schwäche – und umgekehrt

Das hat auch damit zu tun, dass der Parteichef sich lange auf eine Machtbasis verlassen konnte, die nun bröckelt. Höcke hatte ihm Unterstützung im völkischen Flügel organisiert, dafür setzte sich Chrupalla für dessen Pläne ein, zum Beispiel für Krah als EU-Spitzenkandidat. Solange Höcke stark war, war es auch Chrupalla.

Politikwissenschaftler Funke sieht jedoch die besten Zeiten des Thüringer Landeschefs hinter sich: „Höcke ist nicht mehr der Oberguru der AfD, als den ihn einst viele gesehen haben. Mit der Personalie Krah hat er sich verschätzt und er könnte bald zum zweiten Mal verurteilt werden. Das schadet seinem Nimbus.“

Neues AfD-Netzwerk will der Partei ein freundliches Gesicht geben

Höckes Schwäche könnte eine andere Gruppe in der Partei ausnutzen. Als deren Anführer gilt Sebastian Münzenmaier. Zu dem Mann aus Rheinland-Pfalz sagte ein AfD-Aussteiger , der einst im gleichen Landesverband aktiv war, zu FOCUS online: „Er versteht es blendend, andere Parteimitglieder um sich zu scharren und sie zu beeinflussen.“

Und so hat Münzenmaier mit seinem Netzwerk immer weiter an Einfluss gewonnen. Er selbst ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Ebenfalls zum Netzwerk gerechnet wird René Aust – der ursprünglich auf Platz drei der Europawahl-Liste stand, nach den Skandalen um Maximilian Krah und Petr Bytron zum Ersatz-Spitzenkandidaten wurde. Auch Hannes Gnauck, der Vorsitzende AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative, ist dabei.

„Das ist die gleiche Mischpoke wie bei Höckes Umfeld. Münzenmaier und seine Leute gehören eigentlich zum gleichen völkischen Flügel der Partei“, erklärt Funke. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: Münzenmaiers Leute wollen der Partei ein freundlicheres Gesicht geben und ihren Extremismus mit Realpolitik verbinden. Die ständigen Skandale sind ihnen deshalb zuwider.

Münzenmaier ist vorbestrafter Netzwerker

Dabei ist Münzenmaier selbst kein unbeschriebenes Blatt in dieser Hinsicht: 2018 wurde er vor dem Landgericht Mainz wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung verurteilt. Er hatte sich an einem Überfall von Ultras und Hooligans auf Fußballfans beteiligt. Bei einer Durchsuchung wurde in seiner Wohnung unter anderem ein Schlagstock gefunden. Außerdem soll Münzenmaier laut ARD-Berichten einen Vorstand des rechtsextremen Vereins „Ein Prozent“ beschäftigt haben.

Dennoch steht Münzenmaier mit seinen Netzwerker-Fähigkeiten für die Professionalisierung der AfD. Die will er mit einem bestimmten Antrag auf dem Parteitag weiter vorantreiben: Künftig soll es in der Führungsspitze einen mächtigen Generalsekretär geben. Der soll „die politischen Geschäfte der Partei im Einvernehmen mit dem Bundessprecher“ führen, heißt es in dem Papier.

„Mischung aus Aggression und Verwaltungskompetenz“

Dass der Bundessprecher dabei im Singular steht, ist wahrscheinlich kein Zufall. Zwar soll die neue Ordnung an der Parteispitze erst ab 2025 gelten, doch es ist klar, dass mit einem Generalsekretär kein Platz für einen zweiten AfD-Chef ist. Die neue Führung, so vermuten viele, sähe dann so aus: Weidel auf ihrem bisherigen Posten und Münzenmaier auf dem neu geschaffenen – Chrupalla wäre raus.

„Man verspricht sich von der neuen Konstellation eine Mischung aus Aggression und Verwaltungskompetenz“, vermutet Politikwissenschaftler Funke. „Mit einem Generalsekretär hätte die AfD jemanden, der gut Strippen ziehen kann, danach wird er ausgesucht werden. Ein Haudegen wie Münzenmaier könnte die Partei besser zusammenhalten als im Europawahlkampf geschehen.“

Kann ein West-Duo in der AfD erfolgreich sein?

Bei allen Vorteilen hätte das neue Duo Weidel plus Münzenmaier aber möglicherweise auch einen Nachteil, glaubt Funke: „Beide stammen im Gegensatz zu Chrupalla aus dem Westen. Die lokale Verankerung im Osten ist bei der AfD aber wichtig und wenn sie in der Bundesspitze fehlt, könnte das einen Einfluss auf die Wähler haben.“

Ob das als Argument allein genügt, um Chrupalla doch noch langfristig eine Machtbasis zu sichern, könnte auch von der bei der AfD immer ganz eigenen Parteitagsdynamik abhängen. Vermutlich wird auch hier Münzenmaier wieder den Netzwerker und Strategen geben. Schon bei der Europawahlversammlung hatte er entscheidenden Einfluss auf die Vergabe der Listenplätze .

Sollte Chrupallas Abwahl nahen, wäre es übrigens nicht der erste AfD-Parteitag in Essen, der das Ende eines Vorsitzenden einläutet: Auf einem hitzigen Parteitag wurde 2015 am selben Ort Bernd Lucke aus der AfD-Spitze gedrängt.