Nach CSU-Vorschlag - „Schäme mich dafür“: Ukrainischer Bürgergeldempfänger macht ein Geständnis

Ukrainische Flüchtlinge verlassen mit ihrem Gepäck eine Flüchtlingsunterkunft. Für viele Ukrainer ist unklar, ob und wann sie in ihre Heimat zurückkehren können.<span class="copyright">dpa</span>
Ukrainische Flüchtlinge verlassen mit ihrem Gepäck eine Flüchtlingsunterkunft. Für viele Ukrainer ist unklar, ob und wann sie in ihre Heimat zurückkehren können.dpa

CSU-Landesgruppenchef Dobrindt will ukrainische Flüchtlinge, die in Deutschland keine Arbeit aufnehmen, wieder in ihr Heimatland schicken. Eine ukrainische Familie, die Bürgergeld bezieht, antwortet auf Dobrindts Vorschlag – und macht ein überraschendes Eingeständnis.

Alexander Dobrindt, der Mann, der für die CSU-Landesgruppe im Bundestag spricht, hat jüngst eine Schlagzeile produziert: Er forderte, ukrainische Flüchtlinge, die Arbeit ablehnen, sollten in ihr Land zurückkehren. Es müsse der Grundsatz gelten: „Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine.“

Genau betrachtet, ist das wortgleich mit dem, was Dobrindt schon Anfang Januar für die Klausur-Tagung seiner Partei zu Papier gebracht hatte. Aber weil seine Zuhörer vergesslich sind, gab es eine neue Welle der Aufregung. Er solle sich „schämen“, meinen welche aus der SPD, „bizarr“ finden manche aus der FDP seinen Vorschlag. Doch was meinen die Betroffenen eigentlich zu der Idee des CSU-Politikers?

Bekommen Bürgergeld: Sicht einer ukrainischen Familie in Deutschland

In einer norddeutschen Großstadt lebt seit rund zwei Jahren eine ukrainische Familie. Sie stammt aus einem Ort in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Russland. „Wir bekamen die russische Welt von den ersten Tagen des Krieges an in Form von Soldaten, Panzern, Flugzeugen und Raketen zu spüren. Jeden Tag wurden wir, die Menschen, die Häuser, die Straßen von russischem Gebiet aus beschossen.

Irgendwann verschwinden die Dörfer und Städte und Menschen dann einfach von der Erde“, schrieb der Familienvater bereits an unsere Redaktion in einem Brief vor drei Monaten. Er ist Lehrer, hat an der Uni sein Staatsexamen gemacht. Seine Tochter habe Diabetes Typ 1 und sei insulinabhängig.  „Als die Probleme mit der Insulinversorgung in unserer Stadt begannen, blieb keine Zeit zum Nachdenken. Wir beschlossen sofort, ins Ausland zu gehen.“

Bürokratische Hürden bei der Arbeitssuche

Die vierköpfige Familie erhält Bürgergeld in Höhe von 1500 Euro, die Miete wird ebenfalls übernommen. Über seine Arbeitssuche in Deutschland schreibt er: „Ich würde wirklich gerne eine Arbeit finden, die mir ein gutes Einkommen und Zufriedenheit bringt. Vor allem würde ich gerne mein eigenes Geld verdienen und nicht von staatlichen Leistungen abhängig sein. (…) Ich habe viele Versuche unternommen, mich auf Stellen zu bewerben.

Aber ich wurde überall abgelehnt. Der Grund: Ich bräuchte, so hieß es immer, eine entsprechende Genehmigung, eine Ausbildung oder ein Zertifikat. Einer meiner Wünsche war es zum Beispiel, für ein städtisches Verkehrsunternehmen als Fahrer zu arbeiten. Und die entsprechende Ausbildung in diesem Unternehmen zu bekommen. Ich habe drei Bewerbungen geschrieben, auf die ich jeweils eine Ablehnung erhalten habe.“ Nach etwa anderthalb Jahren, die sie mit Sprachkursen verbracht haben, haben er und seine Frau inzwischen Arbeit gefunden. Ihr Ziel sei es, dass beide gemeinsam so viel verdienen, dass sie über dem Existenzminimum liegen und keine Hilfe mehr vom Staat benötigten.

Veränderte Stimmung gegenüber ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland

Dobrindts Vorschlag hält die Familie für keine gute Idee. „Ich verstehe, dass es für Deutschland sehr schwierig ist, so viele Menschen zu unterstützen. Aber es gibt andere Lösungen für diese Situation“, schreibt der Familienvater jetzt in einem weiteren Brief an die Redaktion. In der Tat gingen viele Menschen nicht arbeiten, weil sie genug Sozialhilfe erhielten.

„Warum arbeiten, wenn man nichts tun kann und ein Einkommen hat?", sei eine Einstellung, die er kenne, aber nicht teile. Bei Familien „sollte zumindest der Mann arbeiten gehen. Und hier stellt sich die Frage an die Beamten: Müssen wir nicht die Gesetze und Vorschriften anpassen, damit die Männer schneller Arbeit finden?“

„Und das tut mir leid und ich schäme mich dafür“

Dass sich die Stimmung der Deutschen gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen geändert hat, nehmen auch er und seine Familie wahr. Aber sie habe sich „fair verändert“.  „Die Ukrainer, die nach Deutschland kamen, brauchten wirklich Unterstützung, sowohl finanziell als auch moralisch. All das haben wir in vollem Umfang erhalten. Jetzt ist es an der Zeit, sich dafür zu bedanken. Und das können wir nur tun, indem wir anfangen zu arbeiten. Es ist eine Tatsache, dass manche Ukrainer, die die Möglichkeit haben zu arbeiten, es damit nicht eilig haben. Und das tut mir leid und ich schäme mich dafür. Denn eine kleine Anzahl unverantwortlicher Menschen wird benutzt, um einen Schluss auf alle Ukrainer zu ziehen.“

„Wir sind  aufrichtig dankbar für die Hilfe"

Tatsächlich wächst in Deutschland der Ärger über die niedrigen Beschäftigungsquoten bei den ukrainischen Flüchtlingen, die bei rund 25 Prozent liegen, Dänemark zu Beispiel kommt auf weit über 50 Prozent. Das hohe Bürgergeld, Sprachbarrieren, und deutsche Bürokratie beim Anerkennen ukrainischer Berufsabschlüsse dürften sich darin widerspiegeln.

Dobrindt allerdings testet mit seiner Forderung Grenzen aus. Dass das Bürgergeld Fehlanreize setzt (Dobrindt: „Integrationsbremse“), ist Konsens, das Rücksenden der Geflüchteten nicht. Mehrere CDU-Politiker, darunter die schleswig-holsteinische CDU-Bildungsministerin Karin Prien, widersprachen öffentlich: Man dürfe „nicht das Lied von Putins Freunden singen“.

Die Diskussion hat die grundsätzliche Einstellung der ukrainischen Familie aus Norddeutschland nicht verändert:  „Vor allem sind wir aufrichtig dankbar für die Hilfe für unser Heimatland in diesen für die Ukraine schwierigen Jahren“, schreibt der Vater. „Und auch für die Möglichkeit, in Deutschland unter einem friedlichen Himmel zu leben, zu studieren und zu arbeiten.“