Die AfD wird bis Herbst ihr Bestes geben

AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland auf einer Veranstaltung in seinem Wahlkreis in Frankfurt (Oder) (Bild: dpa)
AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland auf einer Veranstaltung in seinem Wahlkreis in Frankfurt (Oder) (Bild: dpa)

Stabile, aber keine steigenden Umfragewerte, darauf reagiert die „Alternative für Deutschland“: Sie kramt nach ihrem schmutzigsten Hemd.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Schon lästig, dass gerade keine Fernsehbilder von ertrinkenden Fliehenden flimmern, oder von Warteschlangen an Grenzen. Da wird es ein wenig schwer mit dem Angst kriegen, obwohl wir ja damals, in der Schule, den Freischwimmerschein meisterten. Alexander Gauland hat in einem Interview mit dem schweizerischen „Tagesanzeiger“ ehrlichen Einblick in seine Seele gewährt – und wie er seine Wähler sieht.

Zusammengefasst: „Wenn die Bilder fehlen, droht die Angst vor Überfremdung zu verschwinden, und Sie müssen viel mehr erklären, um sie wieder sichtbar zu machen.“ Gauland wird also in den kommenden Monaten viele Bilder entwerfen, damit wir weiter uns bange machen. Nur das mit dem Erklären wird vielleicht schwierig, denn der 76-Jährige, der auf eine beeindruckende Karriere in der CDU zurückblickt, bekennt: „Ich habe in 40 Jahren CDU nie ein Programm meiner Partei gelesen.“

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In anderen Worten: Inhaltliches Profil, wirkliches Fundament sind dem so genannten Konservativen schnurz. Von ihm sind Slogans zu erwarten, twitterfähige Parolen. Das muss reichen, man will den Wähler bloß nicht überfordern.

Ein Kleid für den Kaiser

Auch lässt sich derart trefflicher überzeichnen. Denn wenn schon gerade eine Bilderflaute in Sachen Angst herrscht, muss sie geschürt werden – dafür wird sich die AfD in den kommenden Monaten dem Islam an und für sich zuwenden, dem neuen Pseudonym für schlichten Rassismus. Und die AfD wird auf ihre Chance warten, denn: „Wenn es morgen einen Terroranschlag in Deutschland gibt, dann ist der Slogan ‚Wir schaffen das’ erledigt für die Kanzlerin.“

Natürlich kann es morgen einen Anschlag geben, und er könnte ausgeübt werden von jemandem, der durch die Grenzöffnung 2015 ins Land kam. Und wenn nicht er, dann vielleicht ein Cousin vierten Grades, der hier geboren wurde, oder ein Konvertit, nicht zu vergessen die Neonazibanden, die nahezu täglich zuschlagen und es womöglich bald nicht dabei belassen, zu zehnt feige einzelne Menschen zusammenzutreten oder in der Dunkelheit Häuser anzuzünden, morgen kann es leicht einen neuen NSU geben. Die Terrorgefahr gibt es. Alle leben mit ihr. Und manche von ihr.

Damit das nicht allzu hässlich scheint, kleidet sich Gauland mit dem Gewand eines Kulturkritikers, mit einer Religion als Vehikel, die er banal zur Nichtreligion erklärt. Er habe da seine Zweifel, raunte er im Interview, ob der Islam eine Religion sei wie das evangelische Luthertum oder die katholische Kirche. „Das heißt, der Islam beansprucht für Staat und Gesellschaft eine formierende Kraft, die über den privaten Glauben hinausgeht. Darum sagen wir, jeder Islam sei im Grunde ein politischer Islam.“

Gauland als Zauberkünstler, der aus einem X ein U macht: auch die christlichen Konfessionen sehen im Alten und Neuen Testament eine formierende Kraft für Staat und Gesellschaft. Und die Muslime, die ihren privaten Glauben nicht mehr als nur privat, sondern als Maßstab für Deutschland, zum Beispiel, ansehen, muss man mit der Lupe suchen, nach dem Motto: Spinner gibt es überall, aber die AfD als Expertenpartei dafür wird sie schon finden.

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Endlich wird Gauland, für einen kurzen Moment, im Gespräch mit dem „Tagesanzeiger“ ehrlich: „Ich glaube eben nicht, dass der Deutschtürke in diesem Land richtig aufgehoben ist. Das überwältigende Ja der Deutschtürken zu Erdogans Verfassungsreferendum hat gezeigt, dass die Integration total gescheitert ist. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn die Wege sich wieder trennen würden: dass der Türke seine Loyalität zwischen Istanbul und Ankara auslebt und wir unsere deutsche Identität hier pflegen.“

Das Bild, welches Gauland hier entwirft, funktioniert so: „Der Deutschtürke“ an und für sich hat sich verlaufen. Er kam irgendwie in unser Land, und nun ist ihm unbehaglich, eben nicht „richtig aufgehoben“ wie eine Plakette am Wanderstock es ist. Eine Teilnahme an einem Referendum in der Türkei, die keine Gültigkeit für Deutschland hat, ist der Beweis: alles „total gescheitert“. So sad, big Loser. Also nehme der Seldschuke besser wieder seinen Wanderstock, „die Wege“ werden sich „wieder trennen“, ein herzliches Vergelt’s Gott und Tschüssi. Denn „der Türke“, der muss etwas „ausleben“, während wir etwas „pflegen“. „Der Türke“ muss etwas rauslassen, da brodelt es in ihm, er ist womöglich mehr mit der Natur verbunden; wir aber „pflegen“. Ich Tarzan, du Jane.

Recht erfolgreich verzerrt Gauland damit die Wirklichkeit.

Erstens: Er redet von Leuten, deren Heimat Deutschland ist. Die hier geboren sind, verlaufen hat sich niemand. Ihre Loyalität gilt Deutschland, wem sonst? Oder vielleicht auch ihrem Geldbeutel, ihren Freunden oder dem Schachverein; alles Weitere regelt das Grundgesetz.

Zweitens: Gaulands „überwältigendes Ja der Deutschtürken zu Erdogans Verfassungsreferendum“ speist sich aus diesen Zahlen: Von den rund drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland waren 1,4 Millionen wahlberechtigt, weil sie den türkischen Pass besitzen. Von ihnen nahmen wiederum keine 46 Prozent am Referendum teil, von denen rund 63 Prozent für die Verfassungsänderung votierten. Wie viele der Deutschtürken votierten also dafür? Mit der Mathematik kommt man leicht ins Schlittern, aber das sollte einer in der Partei dem Herrn Gauland noch einmal erklären.

Drittens: Was sich ein Türke für die Türkei wünscht, muss er sich nicht automatisch für Deutschland wünschen, aber warum es verkomplizieren, wenn es einfach geht? Immerhin würden nicht wenige in der AfD mit der Einführung der Todesstrafe zufrieden sein, wie sie Erdogan plant. Kein Zufall, dass die AfD-Jugendorganisation JA gemeinsam mit der Jugendorganisation von Erdogans AKP in der Gruppe European Young Conservatives zusammensitzt. Was sich liebt, das neckt sich.

Da passt so vieles nicht

Ja, solch eine abschätzige Rede über eine Minderheit hat man schon einmal gehört. Wie die AfD heute über Muslime redet, sprach man früher über Juden. Das verbittet sich Gauland, denn: „Wenn ich feststelle, dass der Islam zu unseren kulturellen Werten nicht passt, hetze ich nicht. Und wenn wir schon diese Vergleiche aufrufen: Die Juden wurden in der Nazizeit nicht aus religiösen Gründen verfolgt, sondern wegen ihrer Rasse. Davon distanzieren wir uns kategorisch. Ich vertrete keine Lehre der Rassenreinheit. Ich sage nur: Der Islam ist ein kulturelles Problem in diesem Land – und überall in Europa.“

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Tja, es gibt einige in der AfD, vor allem in der JA, die sind ehrlicher: Die meinen, dass solch vermeintliche Religionskritik am Ziel vorbeigehe, und dieses ist eine völkische Sicht, der Wunsch nach einer ethnischen Homogenität. Und überhaupt: Wer bestimmt, was passt und was nicht? Warum sollte islamische Kultur in Deutschland nicht passen, immerhin hat sie das Land seit Jahrhunderten geprägt, ihre Philosophie uns gar die alten Griechen überliefert? Falls Gauland meint, was er sagt, hängt er einem Kulturmodell an, welches vor einigen Jahrzehnten eingefroren worden ist. So ist es aber nie mit Kultur gewesen, nirgends. Gaulands Modell ist bestenfalls ein intellektuelles Schreckgespenst.

Hübscher verpackt ist seine Argumentation allemal. Daher erklärt seine Co-Spitzenkandidatin Alice Weidel das Kopftuch zum „absolut sexistischen Symbol“. Ist doch toll, dass man den Osmanen erledigen und sich zusätzlich als Frauenrechtskämpfer stilisieren kann. Da müssen wir nur hoffen, dass es im Spätsommer nicht allzu viel regnet, wegen der Kopftücher.