Die berühmtesten ungeklärten Mordfälle: Seewen

Ein Wochenend-Haus namens Waldeggli, das klingt nach einem heimeligen Rückzugsort, nach Ruhe und Entspannung in schöner Natur. Und doch wurde dieses Haus in Seewen im Kanton Solothurn 1976 zum Tatort des bis heute größten ungeklärten Mordes in der Schweizer Kriminalgeschichte. Fünf Menschen fanden den Tod – und der Hauptverdächtige ist spurlos verschwunden.

Der letzte, der die 80-jährige Witwe Anna Westhäuser-Siegrist und ihre beiden Söhne Max, 49, und Emanuel, 52, am Pfingstsamstag 1976 lebend sieht, ist Josef K. Wie so oft sei die Familie abends gegen 18 Uhr spazieren gegangen, erzählt er später in der Zeugenvernehmung, sie waren öfter zu Gast im Häuschen von Elsa und Eugen Siegrist, Annas Bruder. Als der Nachbar der Siegrists wenig später mehrere Schüsse hört, denkt er sich weiter nichts dabei. In der Naherholungszone Banholz in Seewen sind viele Jäger unterwegs, es gibt einen Schießstand und außerdem Bauern, die ihre Kirschen mit Selbstschussanlagen vor den Vögeln schützen. Was sich in dem dunkel gebeizten Holzhäuschen mit der im Garten wehenden Schweizer Flagge wirklich abspielt, liegt weit außerhalb seines Vorstellungsvermögens.

Der Mord ist geplant, doch drei Menschen werden spontan getötet

Im Nachhinein scheint es am wahrscheinlichsten, dass die drei Besucher den Mörder aufgeschreckt haben und einzig aus diesem Grund getötet wurden. Sein eigentliches Ziel waren die Hausbesitzer Elsa, 62, und ihr ein Jahr älterer Mann. Der war gerade dabei, das Messer seines Rasenmähers zu reinigen und einzufetten, als er jemanden kommen hörte.

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Er ging ins Freie und war sich der von dem Besucher ausgehenden Gefahr wohl bewusst, denn er hielt sich seinen Arm schützend vors Gesicht. Dort traf ihn die erste Kugel, beim zweiten Mal erwischte der Mörder den Kopf.

Elsa muss das alles mitbekommen haben, doch retten konnte sie sich nicht. Auch sie wurde aus nächster Nähe hingerichtet, ihre Leiche wie auch die ihres Mannes auf der Veranda in einen Teppich gewickelt. Vermutlich, um den Transport zu erleichtern. In dem Moment muss Anna-Westhäuser-Siegrist mit ihren Söhnen aufgetaucht sein, der Mörder zögerte keine Sekunde. Insgesamt 13 Mal schoss er auf seine Opfer, bevor er sich im grünen Opel Ascona der Siegrists aus dem Staub machte. Das Auto wurde später etwa 130 Kilometer entfernt bei Muttenz gefunden.

Die Familie steht unter Verdacht

So ziemlich das erste, was sich Robert Siegrist vom ermittelnden Kripo-Chef anhören muss, nachdem er gerade erst vom Tod seiner Eltern, seiner Tante und seiner Cousins erfahren hat: „Wer soll denn die dort oben hingemacht haben, wenn nicht Sie?“ Aufgrund der Verwandtschaft der Opfer und der brutalen Vorgehensweise des Mörders gehen die Ermittler davon aus, dass die Tat von einem Verwandten oder zumindest einem sehr engen Bekannten begangen worden sein muss. Robert Siegrist wird den Verdacht noch die nächsten 20 Jahre nicht ganz loswerden, immer wieder wird er verhört, doch nie wird auch nur ein einziger Beweis gefunden, der gegen ihn spricht.

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Über die Jahre befragt die Polizei mehr als 9000 Personen, eine 24-köpfige Sonderkommission ermittelt über die Landesgrenzen hinweg und 40 Beamte suchen nach der Tatwaffe, die schließlich die einzige heiße Spur bringen wird.

20 Jahre nach dem Verbrechen taucht die Tatwaffe auf

Dass die Tatwaffe 1996 doch noch gefunden wird, ist allerdings einem Zufall geschuldet. Ein Handwerker entdeckt sie bei der Renovierung eines alten Hauses in Olten hinter einer Küchenkombination, dazu einen abgelaufenen Pass eines Carl Dosers aus Basel, dessen Mutter die Wohnung gehörte. Kurz nach den Morden war er schon einmal ins Visier der Ermittler geraten.

Die Patronenhülsen am Tatort konnten eindeutig einem Winchester-Gewehr zugeordnet werden, 3000 Besitzer eines solchen Exemplars wurden verhört. Darunter auch Carl Doser, der zu diesem Zeitpunkt angeblich nicht mehr im Besitz der Waffe war. Sie sei kaputt gewesen, erzählte er der Polizei, weshalb er sie auf dem Flohmarkt verkauft habe. An wen, wisse er nicht. Ziemlich fadenscheinig das alles, und trotzdem kam der zur Tatzeit 29-Jährige damit durch. Vor allem, weil die Ermittler immer noch die Familie der Opfer verdächtigten. Dem narzisstischen Einzelgänger und Waffennarr Doser, der eine Brille mit ungeschliffenen Gläsern trug, „um sein Äußeres interessanter zu gestalten“, konnte nicht einmal nachgewiesen werden, die Opfer überhaupt gekannt zu haben. Darum konnte er die Schweiz 1977 auch problemlos verlassen. Und bis heute ist er nicht zurückgekommen.

(Bilder: Getty Images)