"Eingebuddelt in einem Berg von Vorschriften": Doku zeigt Ausmaß deutscher "Brötchen-Bürokratie"

Bundeswirtschaftsminister Robert muss zugeben: Das Ergebnis deutscher Bürokratie sei bisweilen
Bundeswirtschaftsminister Robert muss zugeben: Das Ergebnis deutscher Bürokratie sei bisweilen

Eine Backblechfirma, die Terrorismus-Fahndung betreibt? Ein Bäcker, der in der Männer-Werkstatt für Mutterschutz sorgen muss? Es ist abstrus, welche Hürden überwunden werden müssen, nur um ein Brötchen zu backen. Eine sehenswerte ARD-Dokumentation fordert: "Befreit unser Brötchen von der Bürokratie!"

Die Grundzutaten für ein gewöhnliches Frühstücksbrötchen? Mehl, Wasser, Hefe, eine Prise Salz, jedenfalls, was das Handwerk angeht. Wenn man den bürokratischen Aufwand mit einberechnet, den Brötchenmacher leisten - besser: überwinden - müssen, liest sich die Liste wie ein Beipackzettel für ein nagelneues, noch riskantes Medikament. Die ARD-Dokumentation "Die Brötchen-Bürokratie" (in der Mediathek abrufbar) nimmt sich des Mehlgebäcks an - und die mitunter absurd anmutende Bürokratie drumherum zur Brust.

Also: Was steckt, aus bürokratischer Sicht, in einem Brötchen aus der Bäckerei von, beispielsweise, Eberhard Vielhaber aus Sundern-Stockum im Sauerland? Man beachte und befolge: Hygieneverordnung, Eichung, Statistikmeldungen, Lebensmittelverordnung, Arbeitsmedizin, Energieberatung, Datenschutzverordnung, Brandschutz, TÜV, Verpackungsrichtlinien, Steuerrecht, Gewerbeaufsicht, Rundfunkgebühren, betriebliche Altersversorgung.

Um die 100 behördliche Zutaten - in einem Brötchen

Insgesamt geht es um 100 behördliche Zutaten. Das ist kein Witz. Mit solchem aber, feinsinnig und hintergründig, führen Gesine Enwaldt und Melanie Stucke in ihrer Doku aus der Serie "ARD Story" den mitunter schildbürgerstreichartigen bürokratischen Wahnsinn dahin, wo er hingehört: ad absurdum.

Was steckt neben Mehl, Wasser und Hefe im Frühstücksbrötchen? Jede Menge Bürokratie, macht die ARD-Doku
Was steckt neben Mehl, Wasser und Hefe im Frühstücksbrötchen? Jede Menge Bürokratie, macht die ARD-Doku

Viel Bürokratie wird aus der EU importiert

Wie viel Prozent Bürokratie und Handwerk machen ein Brötchen aus? Die Frage stellen die Filmemacherinnen ihren zahlreichen Gesprächspartnern. Minimum ein Viertel wird da immer abgeknapst, meist aber mehr. Ausgerechnet ein behördlicher Mitarbeiter, der den Unmut vieler Mittelständler versteht, aufgrund der Gesetzeslage aber nichts dran ändern kann, teilt sogar hälftig. Da liegt das Problem dann wahrhaftig auf der Hand.

Man muss sagen: Die typisch deutsche Gründlichkeit ist nicht allein schuldig. Da kommt viel aus der EU, denn da werden Verordnungen im Dienste und Interesse aller gemacht. Dann müssen sie "nur" noch in die Gesetze der 27 Teilnehmerstaaten integriert werden.

Landwirt Martin Scholz züchtet Schweine und baut Weizen an. Und nebenbei kämpft er mit Verordnungen, Richtlinien und seltsamen Vorschriften. (Bild: NDR / Ingo Mende)
Landwirt Martin Scholz züchtet Schweine und baut Weizen an. Und nebenbei kämpft er mit Verordnungen, Richtlinien und seltsamen Vorschriften. (Bild: NDR / Ingo Mende)

Pflicht: Mutterschutz in der Männerwerkstatt

Und da setzt dann alemannische Ordnung ein. Motto: "Bevor ich die Möglichkeit entstehen lasse, etwas unklar zu lassen, wofür ich nachher kritisiert werden könnte, wird jede Eventualität, und sei sie noch so abstrus, integriert." Das führt dann zum Beispiel dazu, dass Bäckerfirmenchef Vielhaber in seiner Werkstatt im Sinne der "Gefährdungsbewertung Mutterschutz" auch für Schwangere Idealbedingungen schaffen muss - obwohl bei ihm die Werkstatt die einzige Abteilung ist, in der ausschließlich Männer arbeiten.

Vielhaber hält Mutterschutz für selbstverständlich - wenn und wo Frauen arbeiten. Hier aber sei das "totaler Schwachsinn". Ein "Quatsch", der Papierkram, Zeit und Nerven kostet.

15 Minuten ist eine Pause. 14 Minuten ist keine Pause. Viele Verodnungen sorgen im
15 Minuten ist eine Pause. 14 Minuten ist keine Pause. Viele Verodnungen sorgen im

Firmen müssen Terrorismusfahnder spielen

Quatsch und Schwachsinn als weitere Ingredienzen des Brötchens? Die Doku macht klar: Der bürokratische Wurm steckt in jedem Entwicklungsschritt. Der Weizenanbauer muss im Februar angeben, welche Mengen Dünger er im Herbst auszustreuen gedenke - ohne zu wissen, was er überhaupt braucht, weil das Wetter kann da schnell mal einen Strich durch die Planungsvision bürokratischer Menschen am Schreibtisch machen.

Und die Firma, die Backblech-Putzmaschinen herstellt, muss Kunden und Mitarbeiter aufgrund der Verordnung EG 881/2002 regelmäßig abklopfen, ob sie mit den Taliban klüngeln. Handel mit Terroristen ist nämlich laut EU-Richtlinie seit 2002 verboten. Brötchenfirmen, die Terrorfahndung betreiben? Da wiehern Amtsschimmel und Zuschauer, aber die Firmen, zumal meist mittelständische, stöhnen. Und alle, so scheint's, tun das Ihre zurecht.

Besuch in Brüssel für die ARD-Doko
Besuch in Brüssel für die ARD-Doko

Das vierte Bürokratieentlastungsgesetz kommt: Wird's jetzt besser oder schlimmer?

Die "Eindämmung der Gesetzesflut" sei wichtig, sahen Politiker schon vor 70 Jahren. Willy Brandt mahnte 1976 vor den "Sorgen und Ängste der Menschen vor überwuchernden Bürokratien". Angela Merkel rief 2005 auf: "Lassen Sie uns selbst befreien von Bürokratie und altbackenen Verordnungen." Und auch Olaf Scholz erkannte im vergangenen Jahr: "Es gibt zu viel Bürokratie."

Die Politik reagierte, formierte den "Normenkontrollrat". Der gebar drei aufeinander aufbauende "Bürokratieentlastungsgesetze". Den Entwurf zu Nummer vier stellte Staatssekretär Benjamin Strasser (FDP), der Koordinator der Bundesregierung für bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau, vor Kurzem vor. Der Entwurf kassierte von allen Seiten Kritik.

Beispiel: Buchungsbelege müssen nur noch acht statt zehn Jahre aufgehoben werden. Da schüttelt sich die geschäftsführende Familie Vielhaber vor bitterem Lachen. Strasser sagt, das habe Einsparungspotenzial von 0,5 Milliarden Euro pro Jahr. "Das ist nicht Nichts", sagt er. Aber auch nicht viel bei insgesamt 65 Milliarden Euro Bürokratiekosten der deutschen Wirtschaft im Jahr.

Der Weg eines Frühstücksbrötchens ist gepflastert von Verordnungen. 100 behördliche
Der Weg eines Frühstücksbrötchens ist gepflastert von Verordnungen. 100 behördliche

Robert Habeck: "Die Bäcker haben recht. Das Ergebnis ist fürchterlich."

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kommt in der Doku zu Wort. Er kennt den Entwurf und die Einwände der Bäcker. "Ich habe sie gelesen", sagt er in der Doku. "Sie haben recht. Das Ergebnis ist fürchterlich." Habeck meint, der Bürokratie-Dschungel wurde in Jahrzehnten aufgebaut. Da gehe die Lichtung nicht mit einem Federstrich. Er sieht aber auch: "Wir haben den Raum für Freiheit komplett zugestellt, uns eingebuddelt in einem Berg von Vorschriften."

Schön: Das sehen alle so, vom Weizenbauer bis zum Minister. Weniger schön: Es klappt trotzdem nicht mit "Raus aus der Bürokratie, Schluss mit sinnlosen Regelungen." Das gehe nur mit "Mut und Vertrauen auf beiden Seiten", meint Habeck. Bäcker Vielhaber sieht dem vierten Bürokratieentlastungsgesetz trotzdem skeptisch entgegen: "Bisher wurde es nach jedem Gesetz schlimmer." Mahlzeit.

Den Film "ARD Story: Die Brötchen-Bürokratie" zeigt das Erste am Mittwoch, 27. März, 23.05 Uhr, und vorab in der ARD-Mediathek.