Erst ein Prozent der Cum-Ex-Beschuldigten angeklagt

Köln (dpa) - Seit zwölf Jahren ermitteln Kölner Staatsanwälte in Sachen Cum-Ex, dem bislang größten Steuerklau der Republik. Derzeit sind über 30 Staatsanwälte damit beschäftigt. Zwischenbilanz der jahrelangen Arbeit: Sie haben Anklagen gegen ein Prozent der Beschuldigten erhoben - gegen 17 von 1700.

Während erste wegweisende Urteile etwa gegen den Steueranwalt Hanno Berger, der als Erfinder der Masche gilt, rechtskräftig sind, lässt die große Masse der Anklagen auf sich warten. Drohen Fälle zu verjähren und mit ihnen milliardenschwere Rückzahlungen an den Fiskus? Paragraphen

Geschätzter Schaden von zehn Milliarden Euro

Bei Cum-Ex-Geschäften schoben Investoren Aktien rund um den Dividendenstichtag mit («cum») und ohne («ex») Ausschüttungsanspruch hin und her. In der Folge erstatteten Finanzämter Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Dem Staat entstand so ein Schaden von geschätzten zehn Milliarden Euro.

In den 120 bekannten Ermittlungskomplexen drohe keine akute Verjährung, weil diese etwa durch Maßnahmen wie Durchsuchungen unterbrochen sei, sagt ein Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft auf dpa-Anfrage.

Er muss aber auch zugeben, dass noch immer nicht das gesamte sichergestellte Beweismaterial gesichtet wurde und sich darin noch unbekannte Straftaten verbergen könnten. Zudem könnten Vernehmungen von Beschuldigten neue Verdächtige ans Licht bringen. Und was diese dann angeht, tickt die Uhr.

Es seien sogar Straftaten nicht mehr verfolgbar: Sie seien den Staatsanwaltschaften zu spät bekanntgeworden und zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt gewesen. Aber auch in diesen Fällen sei immerhin noch eine Vermögensabschöpfung möglich, berichtet eine Sprecherin der Behörde.

Die Verjährungsfrist für Cum-Ex-Delikte war angesichts der hohen Schadenssummen auf 15 Jahre verlängert worden. Die Neuregelung greift aber nicht für Fälle, die bereits Ende 2020 verjährt waren.

Streit um Leitung von Cum-Ex-Chefermittlerin sorgte für Furore

Vor diesem Hintergrund hatte der Streit um die Leitung von Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker für Furore gesorgt. NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) wollte die von Brorhilker geleitete Hauptabteilung H aufspalten, hatte den Plan aber nach heftigem Gegenwind im vergangenen Jahr zurückgenommen. Er wurde als Entmachtung Brorhilkers gegen deren Willen aufgefasst. Das Medienecho war entsprechend.

Brorhilker blieb alleinige Leiterin, aber es wurden unter ihr vier Gruppenleiter-Stellen eingerichtet und vier zusätzliche Stellen geschaffen. Doch dann trat das ein, was Limbach befürchtet hatte: der Ausfall Brorhilkers. Im April gab sie überraschend bekannt, den Dienst zu quittieren und zur Organisation Finanzwende zu wechseln.

Mit einer Großen Anfrage und 331 Einzelfragen hat die FDP-Fraktion im NRW-Landtag nun versucht, Licht in die Vorgänge zu bringen. Akribisch führt der NRW-Justizminister auf 116 Seiten, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen, auf, was er vorgefunden hat nach seinem Amtsantritt, was ihn stutzig gemacht hat und weshalb er den «Flaschenhals» an der Spitze der Hauptabteilung H vergrößern wollte.

Schließlich hätten sich schon Anwälte auf Brorhilker eingeschossen und ihr Ausfall etwa durch einen Befangenheitsantrag wäre verheerend gewesen. Dann seien da auch die zögerliche und lange unzureichende Belieferung des Hamburger Untersuchungsausschusses und die überarbeitungsbedürftigen Berichte gewesen. Zu viel Verantwortung in einer Person seien ein Risiko.

Kritik an fehlender Einbeziehung Brorhilkers und Unruhe im System

Limbach muss aber zugeben, dass er vor seiner Entscheidung kein Votum ausgerechnet von Brorhilker selbst eingeholt hat. Dies habe der Landesgesetzgeber bei der Einrichtung neuer Hauptabteilungen nicht vorgesehen, argumentiert der Minister nun juristisch.

Er habe, statt die Staatsanwaltschaft personell zu verstärken, mit seiner Aufteilung der Abteilung nur Unruhe in das Gesamtsystem gebracht, kritisiert der rechtspolitische Sprecher der FDP im NRW-Landtag, Werner Pfeil.

Brorhilkers Nachfolger, Oberstaatsanwalt Tim Engel, soll es nun richten. Ob sich die Schlagzahl bald erhöhen wird? In Siegburg bei Köln entsteht derzeit ein neues Gerichtsgebäude eigens für die Cum-Ex-Prozesse. 15 Jahre lang sollen dort die Wirtschaftsstrafverfahren verhandelt werden. Im Oktober soll es fertig sein.