Fünf Irrtümer rund um die Organspende

Die Zahl der Organspender in Deutschland steigt – und doch gibt es mit rund 11 Organspenden pro Million Einwohner im internationalen Vergleich noch sehr wenige. Gründe dafür sind vor allem Misstrauen, Ängste, aber auch teils falsche Annahmen. Fünf gängige Irrtümer über die Organspende – und wie man in Gesprächen darauf reagieren kann.

Warum gibt es in Deutschland so wenige Organspenden? (Symbolbild: Getty Images)
Warum gibt es in Deutschland so wenige Organspenden? (Symbolbild: Getty Images)

955 Spender und Spenderinnen gab es 2018 deutschlandweit, denen nach ihrem Tod insgesamt 3.113 Organe entnommen wurden. Das sind 20 Prozent mehr als im Vorjahr – aber immer noch viel zu wenige: Denn im selben Jahr wurden laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 5.000 Personen neu auf die Warteliste für eine Organtransplantation genommen, 901 Patienten von der Liste verstarben. Aktuell warten rund 9.400 kranke Menschen in Deutschland auf ein neues Organ. Zum Vergleich: In Spanien, wo es eine andere Rechtssprechung zum Thema Organspende gibt, kamen 2017 immerhin 46,9 Organspender auf eine Million Einwohner. Warum tun sich die Deutschen mit der Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod so schwer?

Kaum ein Thema schürt so viele Ängste, bereitet solches Unbehagen wie das Thema Organspende. Das Spektrum der Befürchtungen reicht von der Angst vor “ungerechter“ Verteilung und Organhandel bis hin zu der panikartigen Vorstellung, dass Notfallmediziner einen schwerverletzten Patienten mit Spenderausweis nur noch halbherzig retten wollen. Je irrationaler die Ängste, desto schwieriger wird es, ihnen im Gespräch zu begegnen.

Fünf gängige Irrtümer und falsche Annahmen, die zu einer Ablehnung der Organspende führen – und Fakten, die bei der Klärung helfen können.

Annahme Nr. 1: “Am Ende bin ich noch gar nicht ‘richtig tot’, wenn mir die Organe entnommen werden.“

Die Fakten: Voraussetzung für eine Organspende ist, dass die gesamten Hirnfunktionen des Patienten unumkehrbar ausgefallen sind. Das bedeutet, dass das Gehirn seine Steuerungsfunktionen nicht mehr ausführen kann. Ohne künstliche Beatmung würde auf den Hirntod zeitnah der Herz-Kreislauf-Stillstand erfolgen. Die Feststellung dieses irreversiblen Hirnfunktionsausfalls erfolgt nach den Richtlinien der Bundesärztekammer, erklärt Dr. Susanne Venhaus von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) gegenüber Yahoo Nachrichten: “Die Untersuchungen dazu werden unabhängig voneinander von zwei dafür qualifizierten Ärzten durchgeführt. Diese Ärzte dürfen weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe des Organspenders beteiligt sein, noch der Weisung eines beteiligten Arztes unterstehen.“ Im Zweifel, wenn der Fall zum Beispiel in einem kleinen Krankenhaus ohne entsprechende Fachleute im Bereich der Hirntoddiagnostik auftritt, vermittelt die DSO Unterstützung in Form von mobilen Konsiliardiensten für die Diagnose.

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Nur weil Sie einen Organspendeausweis haben, werden Sie in der Klinik nicht anders behandelt (Symbolbild: Getty Images)
Nur weil Sie einen Organspendeausweis haben, werden Sie in der Klinik nicht anders behandelt (Symbolbild: Getty Images)

Annahme 2: “Ich habe Angst, dass man mich im Krankenhaus zu früh aufgibt, weil ich einen Organspendeausweis dabei habe.“

Die Fakten: Wer etwa nach einem Unfall ins Krankenhaus kommt, wird von Notfall- und Intensivmedizinern behandelt, deren Aufgabe und vorrangiges Ziel es ist, um das Leben des Patienten zu kämpfen. Diese haben in diesem Moment kein Interesse daran herauszufinden, ob der Verunfallte über einen Spenderausweis verfügt oder nicht. Auch Intensivmediziner sind zudem strikt von Organentnahme oder Transplantation getrennt. Der Anteil an Patienten, die durch einen Hirntod sterben, ist außerdem vergleichsweise gering.

Dr. Susanne Venhaus von der DSO erklärte Yahoo Nachrichten dazu: “Manchmal kann der Patient trotz aller Bemühungen nicht mehr gerettet werden, Krankheit oder Unfallfolgen sind zu weit fortgeschritten. Mitunter tritt der Tod dabei durch den unumkehrbaren Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms ein. Kreislauf und Atmung können nur noch durch Beatmung und Medikamente aufrechterhalten werden. Nur bei dieser kleinen Gruppe von Verstorbenen stellt sich die Frage einer Organspende.“

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Annahme Nr. 3: “Bei der Organzuteilung wird doch sowieso gemauschelt. Oder ich muss meine Leber einem Alki überlassen – dafür bin ich mir zu schade.“

Die Fakten: In den Ländern Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien wird die Organvergabe zentral von der Stiftung Eurotransplant gesteuert. Eurotransplant gleicht die Kompatibilität der vorhandenen Organe mit den circa. 15.000 Patienten einer zentralen Warteliste ab. Diese wird von insgesamt 81 Transplantationszentren in den Mitgliedsstaaten nach den Kriterien Dringlichkeit und Erfolgsaussicht befüllt.

Die Organspendeskandale von Göttingen und anderer Universitätskliniken, die die Manipulation der Wartelisten, nicht aber die Organspende selbst betrafen, haben zu mehr Aufmerksamkeit vom Gesetzgeber und erweiterte Kontrollinstanzen geführt: “In der Konsequenz wurden die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Wartelistenführung geändert“, sagt Dr. Venhaus.

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Wartelisten-Manipulationen sind strafbar

“In den Transplantationszentren entscheidet eine Transplantationskonferenz unter Gewährleistung eines mindestens Sechs-Augen-Prinzips über die Aufnahme auf die Warteliste. Alle Transplantationszentren werden mindestens einmal in drei Jahren unangekündigt vor Ort geprüft. Außerdem wurde eine unabhängige Vertrauensstelle ‘Transplantationsmedizin’ zur Meldung – auch anonym – von Auffälligkeiten und Verstößen gegen das Transplantationsrecht eingerichtet.“ Außerdem sind Wartelisten-Manipulationen nun strafbar und können mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe belegt werden.

Und was den “Alki“ betrifft: Nach den Transplantationsrichtlinien der Bundesärztekammer darf einem Alkoholkranken, der noch keine sechs Monate trocken ist, keine Leber transplantiert werden. Allerdings handelt es sich hierbei nur um eine Richtlinie, kein Gesetz.

Jens Spahn möchte, dass jeder, der zu Lebzeiten nicht widerspricht, nach dem Tod zum Organspender wird. (Bild: dpa)
Jens Spahn möchte, dass jeder, der zu Lebzeiten nicht widerspricht, nach dem Tod zum Organspender wird. (Bild: dpa)

Annahme 4: “Wenn es nach Gesundheitsminister Spahn geht, haben wir alle bald keine Wahl mehr und werden nach unserem Tod zwangsläufig zum Organspender.“

Die Fakten: In Deutschland gilt bislang die Entscheidungslösung, nach der eine Organentnahme nach dem Tod nur möglich ist, wenn die Person zu Lebzeiten zugestimmt hat. Anfang April stellte Jens Spahn in einem Gesetzentwurf nun die so genannte Widerspruchslösung vor, die bereits in 18 Ländern gilt und nach der jeder, der zu Lebzeiten nicht widerspricht, nach seinem Tod automatisch Organspender wird. Der Gesetzentwurf sieht allerdings auch vor, dass alle automatisch registrierten Personen ihre Entscheidung revidieren können. Außerdem soll der Arzt vor Organentnahme zusätzlich den nächsten Angehörigen fragen müssen, ob dieser von einem schriftlichen Widerspruch oder einem entsprechenden Willen weiß.

Ein Gegenentwurf einer fraktionsübergreifenden Gruppe rund um Grünen-Chefin Annalena Baerbock schlägt übrigens ein bundesweites Onlineregister vor. Demnach sollen “die Bürgerinnen und Bürger eigenmächtig dazu in der Lage sein, ihre Erklärung zur Organspende mittels selbstständiger Eintragung bei der Ausweisabholung – spätestens alle zehn Jahre – oder jederzeit online in das Register vorzunehmen und bei Bedarf zu ändern.”

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Annahme Nr. 5: “Organspende geht mich nichts mehr an. Ich bin doch sowieso schon zu alt, um noch Organe zu spenden.“

Die Fakten: Bei der Organspende geht nicht um das kalendarische, sondern das biologische Alter. Organe älterer Menschen werden gezielt auch an ältere Empfänger vermittelt, ebenso wie Organe von Kindern auch nur für andere Kinder passen. Der Einzelfall ist entscheidend. Die älteste Organspenderin war übrigens 98 Jahre alt, sie spendete Niere und Leber. In Bayern sind derzeit etwa 22 Prozent der Organspender älter als 65 Jahre.

Zusätzliche Informationen:

Umfangreiche Informationen zum Thema Organspende bietet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) auf der Website Organspende-info.de. Sie organisiert auch regelmäßig Events und Infoveranstaltungen zur Aufklärung, unter anderem am 1. Juni, dem Tag der Organspende, in Kiel.

Auch die Deutsche Stiftung Organtransplantation informiert auf ihrer Website DSO.de besonders ausführlich über die gesetzlichen Grundlagen, Organspende und Patientenverfügung sowie das Thema Lebendspende. Gemeinsam mit der BzgA bietet die DSO auch ein Infotelefon zum Thema Organspende an: Unter 0800/90 40 400 beantwortet ein qualifiziertes Team werktags von 9 bis 18 Uhr alle Fragen zum Thema Organ- und Gewebespende, bei Bedarf können auch Experten aus Medizin, Psychologie, Recht und Ethik hinzugezogen werden.

Konkrete Details über das Verfahren von Eurotransplant können auf deren Website Eurotransplant.org nachgelesen werden.

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