Gastbeitrag vom DIW-Forschungsdirektor - Sechs-Tage-Woche löst den Fachkräftemangel nicht – zwei Dinge müssen wir ändern

Der Fachkräftemangel in Griechenland ist vor allem auf die schwere Finanzkrise des Landes von 2010 bis 2018 zurückzuführen.<span class="copyright">Sven Hoppe/dpa</span>
Der Fachkräftemangel in Griechenland ist vor allem auf die schwere Finanzkrise des Landes von 2010 bis 2018 zurückzuführen.Sven Hoppe/dpa

Faul und gierig – so verunglimpften Teile der deutschen Medienlandschaft die griechischen Beschäftigten in der Vergangenheit, vor allem während der griechischen Staatsschuldenkrise. Nun sorgt die griechi­sche Politik mit einem neuen Gesetz für ganz andere Schlagzeilen in Deutschland.

Seit Tagen wird aufgeregt diskutiert, dass griechische Beschäftigte, die im Durchschnitt ohnehin rund fünf Stunden mehr in der Woche arbeiten als Beschäftigte hierzulande, eine Sechs-Tage-Woche einlegen können. Dafür sollen sie am Samstag einen Zuschlag von 40 Prozent und an Sonn- und Feiertagen einen Zuschlag von 115 Prozent erhalten. Bemerkenswert an all dem Getöse um die neue Regelung ist, dass einige derer, die sich noch vor ein paar Jahren für ein hartes Vorgehen gegenüber Griechenland aussprachen und Bilder wie die Hängematte kreierten, in der die angeblich „faulen Griechen“ lägen, diese plötzlich zum Vorbild für Mehrarbeit nehmen.

Ist dieser Vorschlag auf Deutschland übertragbar? Auch Griechenland beginnt trotz einer Arbeitslosenquote von rund zehn Prozent zunehmend unter einem Fachkräftemangel zu leiden. Das liegt jenseits der (ähnlich wie in Deutschland) ungünstigen demografischen Entwicklung vor allem daran, dass viele qualifizierte Fachkräfte während der Krise das Land verlassen haben – zu einem erheblichen Teil übrigens nach Deutschland. Ziel des Gesetzes ist es: die verbliebenen Fachkräfte im Land zu halten und zu Mehrarbeit zu motivieren.

Lohnniveau der Griechen viel niedriger als in Deutschland

Das kann in Griechenland mit diesen substanziellen Zuschlägen eine positive Wirkung entfalten, da das Lohnniveau dort im Vergleich zu Deutschland viel niedriger ist und vor allem untere Lohngruppen unter den in den vergangenen beiden Jahren auch dort gestiegenen Teuerungsraten erheblich gelitten haben. Es ist zweitens auch ein Versuch, die an Wochenenden stärker ausgeprägte Schwarzarbeit etwa im Tourismussektor etwas einzudämmen. Mithin geht es also nicht nur um Mehrarbeit, sondern auch um den Versuch, schwarz ausgeübte Mehrarbeit in legale Mehrarbeit umzuwandeln.

Die Herausforderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind offensichtlich anders gelagert als auf dem griechischen. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass es etwa in der Pflege möglich ist, durch Zahlung hoher Zuschläge zu Mehrarbeit zu motivieren und so den Fachkräftemangel in diesem Bereich zu lindern. Aber auch hier ist das Problem durch die niedrigen tariflichen Eingruppierungen der Pflegekräfte eigentlich ein anderes, das kaum durch Zuschläge für Mehrarbeit gelöst werden kann. Stattdessen braucht es eine grundsätzlich höhere Eingruppierung, um im internationalen Wettbewerb um Pflegekräfte wettbewerbsfähiger zu werden.

Fachkräftemangel in Deutschland substanzieller als in Griechenland

Insgesamt bleibt festzuhalten: Der Fachkräftemangel ist in Deutschland viel substanzieller als in Griechenland. Durch Maßnahmen, wie sie in Griechenland angestrebt werden, wird Deutschland den Fachkräftemangel nicht in den Griff bekommen, ganz zu schweigen davon, dass hier in großen Teilen der Gesellschaft die Einführung einer Vier- statt einer Sechs-Tagewoche – diskutiert wird.

Insofern sollte die Diskussion eher dazu genutzt werden, Instrumente in Deutschland zu identifizieren, mit denen die Arbeitszeit wirkungsvoll erhöht werden kann. Das größte ungenutzte Arbeitspotenzial in Deutschland gibt es unter den vielen teilzeitbeschäftigten Frauen, die mehr arbeiten wollen , dies aber nicht können – zumeist, weil sie keine ausreichende Kinderbetreuung haben.

Dieses Problem kann nur durch eine Erhöhung der Zahl der Betreuungsplätze gelöst werden und nicht durch die Einführung einer Sechs-Tage-Arbeitswoche. In Deutschland gibt es nämlich bis heute kein ausreichendes Angebot an Kita-Plätzen – trotz Rechtsanspruch. Nach neuesten Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung fehlen bundesweit 430 000 Plätze. Hier schlummert somit ein Potential, mit dem der Fachkräftebedarf in Deutschland zumindest zum Teil gelöst werden könnte. Die Politik täte gut daran, endlich mehr für die Versorgung mit Kita-Plätzen zu tun, anstatt mit „Nebelkerzen“ wie dem griechischen Sechs-Tage-Arbeitsmodell von den eigenen Problemen abzulenken.

Demografie Deutschlands ist das Kernproblem

Doch selbst wenn der Bedarf an Kita-Plätzen voll gedeckt würde und alle teilzeitarbeitenden Frauen ihre Arbeitszeit erhöhten, wäre das Problem des Arbeitskräftemangels in Deutschland nicht gelöst. Der Kern des Problems liegt in der Demografie Deutschlands. Schon seit mehreren Jahren besteht eine Lücke von etwa jährlich 300.000 bis 400.000 Arbeitskräften – weil mehr Menschen in Rente gehen oder aus Deutschland auswandern, als junge Menschen und aus dem Ausland kommende Menschen in Deutschland in den Arbeitsmarkt eintreten. Dieses Problem wird sich langfristig nur durch systematische Zuwanderung von Fachkräften und ein viel offener ausgerichtetes Zuwanderungsgesetz lösen.

Bis es so weit ist, dass diese zwei Probleme in Deutschland systematisch angegangen werden, kann man es ja weiterhin mit plakativen Forderungen versuchen. Wie wäre es mit: „Alle raus aus der Hängematte, rein in die Sechs-Tage-Arbeitswoche, Griechen wie Deutsche.“