Gastbeitrag von Gabor Steingart - Etwas ist faul im Staate: Die düstere Rolle von Scholz und dem Banker im Cum-Ex-Skandal

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)<span class="copyright">Michael Kappeler/dpa</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)Michael Kappeler/dpa

Eine dunkle Parallele zu Shakespeares Drama zieht sich durch die Bundesrepublik. Die unheilvolle Verquickung von Bundeskanzler und Hamburger Privatbank im Cum-Ex-Skandal hat das Zeug zum handfesten Skandal. Doch die großen Fische kommen ungeschoren davon.

Die düstere Szene spielt in der Nähe des Schlosses von Elsinore in Dänemark, wo der Geist des kürzlich verstorbenen Königs Hamlet dem Wachmann erscheint. Die Umstände des königlichen Todes sind ungeklärt. Rachsucht, Intrige und Wahnsinn regieren am Hofe. Der Geist warnt vor der Ausbreitung des Bösen.

Wachmann Marcellus ist mulmig zumute. Er spürt das Unheil, das kommende, und ruft aus:

„Etwas ist faul im Staate Dänemark.“

 

Shakespeares Drama um die moralische Verkommenheit der Obrigkeit kann als Parabel auch für die Vorgänge in der Bundesrepublik des Jahres 2024 dienen. Wer auf das zwielichtige Zusammenspiel der Hamburger Privatbank M.M.Warburg & CO mit dem damaligen Stadtoberhaupt und heutigen Bundeskanzler schaut, dessen rechtsstaatliche Aufarbeitung bis heute nicht gelungen ist, dem wird es kaum besser ergehen als dem Wachmann Marcellus:

Etwas ist faul im Staate Deutschland.

Wie in der Shakespeare-Tragödie umgibt ein schier undurchdringlicher Nebel von persönlichen Verbindungen und politischen Abhängigkeiten die Aufklärung, die in diesem Klima nicht gedeihen kann. Auch 18 Jahre nach der Tat gibt es Opfer, aber keine Täter. Es gibt Zehntausende Seiten in den Akten, aber keine Verurteilung.

Cum-Ex-Prozess: Der angeklagte Bankier Christian Olearius betritt mit seinem Anwalt Klaus Landry (hinten) den Gerichtssaal im Bonner Landgericht.<span class="copyright">Thomas Banneyer/dpa</span>
Cum-Ex-Prozess: Der angeklagte Bankier Christian Olearius betritt mit seinem Anwalt Klaus Landry (hinten) den Gerichtssaal im Bonner Landgericht.Thomas Banneyer/dpa

 

Die Staatsanwaltschaft hatte Christian Olearius in 15 Fällen besonders schwere Steuerhinterziehung vorgeworfen, wodurch zwischen 2006 und 2019 ein Steuerschaden von rund 280 Millionen Euro entstanden sei. Gestern wurde das Verfahren eingestellt, „weil der Angeklagte nicht verhandlungsfähig ist“, wie die Richterin verkündete.

Die Dämonen scheinen stärker als die reinigende Kraft des Rechtsstaates. Wobei diese neuzeitlichen Dämonen allesamt Name, Gesicht und Anschrift haben.

#Olaf Scholz und die politische Demenz

Olearius hatte sich 2016 und 2017 insgesamt dreimal mit dem späteren Bundeskanzler getroffen, als dieser noch Erster Bürgermeister von Hamburg war. Scholz hatte die Treffen zunächst nicht erinnert und erfuhr erst durch die Tagebucheinträge von Christian Olearius eine Gedächtnisauffrischung.

Allerdings: Der genaue Inhalt der Treffen ist weiterhin unbekannt, da Scholz und Olearius nun zwar die Treffen selbst zugeben, aber über die Inhalte schweigen. Fest steht, dass die Finanzbehörde, die damals dem SPD-Finanzsenator und heutigen Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher unterstand, nach diesen drei Treffen die Steuernachforderung in Höhe von 47 Millionen Euro fallen ließ und die Ansprüche nach damaliger Rechtslage verjährten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (r, SPD) steht neben Peter Tschentscher (SPD), heute Erster Bürgermeister von Hamburg<span class="copyright">Marcus Brandt/dpa</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz (r, SPD) steht neben Peter Tschentscher (SPD), heute Erster Bürgermeister von HamburgMarcus Brandt/dpa

 

Der heutige Bundeskanzler kann sich partout nicht an die Vorgänge erinnern. In der Befragung durch den Hamburger Untersuchungsausschuss verweigerte er jede Aussage.

Als einziger Zeitzeuge kann das Tagebuch von Olearius gelten. Dort ist beschrieben, wie die Bank dem Regierungschef ihr Leiden an der Steuernachzahlung schildert. Wörtlich heißt es:

„Wir bekommen nichts versprochen, erwarten, fordern das auch nicht. Jederzeit könnte ich mich melden, er erwarte das auch in dieser Angelegenheit. (…) Ich meine, sein zurückhaltendes Verhalten so auslegen zu können, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen.“

#Die Ampelkoalition und ihr Schweigegelübde

Olaf Scholz und sein Vertrauter, Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, haben es geschafft, sowohl die Rechtsstaatspartei FDP als auch die Grünen, die unter Otto Schily im Flick-Untersuchungsausschuss ihre erste große Stunde erlebten, zum Schweigegelübde zu bewegen.

Wolfgang Schmidt (SPD), Chef des Bundeskanzleramts<span class="copyright">Christoph Soeder/dpa</span>
Wolfgang Schmidt (SPD), Chef des BundeskanzleramtsChristoph Soeder/dpa

 

Das Ergebnis: Die Ampelkoalition lehnt mit ihrer parlamentarischen Mehrheit den von CDU/CSU beantragten Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag ab. Auch die SPD-Fraktion kämpft lieber „gegen Rechts“ als für das Recht. Nun muss das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden, ob diese durch Mehrheitsentscheidung verhinderte Aufklärungsarbeit rechtens oder illegal ist.

Im Antrag der Union wird die bundespolitische Bedeutung dieses Ausschusses klar benannt:

„Ein Bundeskanzler, der in die rechtswidrige Niederschlagung von Steuerforderungen verwickelt ist, wäre politisch nicht mehr tragfähig.“

Mit einer Entscheidung aus Karlsruhe wird innerhalb der nächsten Monate gerechnet.

#Olearius und die Probleme mit der Gesundheit

Derweil hat sich der Hauptbeschuldigte Christian Olearius mit einem ärztlichen Gutachten aus der Affäre gezogen. Das vom Gericht in Auftrag gegebene medizinische Gutachten hat gesundheitliche Beeinträchtigungen festgestellt, die bei der Fortführung des Verfahrens zu lebensbedrohlichen Zuständen führen könnten.

Konkret hat die Richterin im Gerichtssaal am Montag Olearius’ erhöhten Blutdruck genannt. Es bestehe die akute Gefahr für einen Schlaganfall oder einen erneuten Herzinfarkt. Genauer wurde die gesundheitliche Lage des 82-Jährigen zum Schutz seiner Persönlichkeitsrechte nicht ausgeführt.

Olearius sei damit, so die Gutachter, nur noch 45 Minuten pro Tag vernehmungsfähig. Das wiederum würde angesichts der Komplexität des Verfahrens bedeuten, dass er noch drei weitere Jahre dem Gericht zur Verfügung stehen müsste, rechnete die Richterin vor. Das gelte als nicht zumutbar. Damit wurde die Akte Olearius am Montag geschlossen.

#Die Staatsanwältin und ihr böser Verdacht

Die Rolle des Wachmanns Marcellus spielt in dieser bundesrepublikanischen Tragödie die Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. Sie führte die Abteilung zur Bearbeitung der Cum-Ex-Fälle der Staatsanwaltschaft Köln und klagte Christian Olearius im Juli 2022 an. Im April 2024 quittierte sie den Staatsdienst – mit der Begründung, dass es im Rechtsstaat nicht mit rechten Dingen zugehe.

Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker<span class="copyright">Oliver Berg/dpa</span>
Oberstaatsanwältin Anne BrorhilkerOliver Berg/dpa

 

Auch im Interview mit der Zeit, das in dieser Woche veröffentlicht wurde, nährt sie den Verdacht, dass der Rechtsstaat bei Steuerbetrug, begangen von prominenten Adressen, unterstützt von internationalen Anwaltskanzleien, bewusst ein Auge zudrückt. So hat Finanzminister Christian Lindner zwar den Aufbau eines Bundesfinanzkriminalamts angekündigt, „aber“, sagt Brorhilker, „der Straftatbestand der Steuerhinterziehung gehört leider nicht zu dessen Aufgabengebiet.“

Die wahren Täter und Hintermänner des Steuerschwindels namens Cum-Ex – von dem Olearius die Spitze, aber nicht den Eisberg bildet – seien so nicht zu packen. In neuen Varianten würde der alte Steuerbetrug auch heute fortgesetzt. Wörtlich sagte sie am Tag ihres Rücktritts:

„Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“

 

Fazit: Dem Kanzler fehlt die Erinnerung. Dem Banker rast das Herz. Die Staatsanwältin desertiert. Und die Regierung beschließt, dass sie die Zustände lieber ertragen als ändern will. Es gibt Feinde des Rechtsstaates, die von keinem Verfassungsschutz beobachtet werden. Irgendwas ist faul im Staate Deutschland. Oder um es mit Hamlet zu sagen:

„Verrat! Sucht, wo er steckt!“