Gastbeitrag von Gabor Steingart - Deutschland schrumpft - die Folgen für unseren Wohlstand werden gravierend sein

NRW: Dicht gedrängt laufen Menschen über die Königsallee.<span class="copyright">Martin Gerten/dpa</span>
NRW: Dicht gedrängt laufen Menschen über die Königsallee.Martin Gerten/dpa

Die Bevölkerung schrumpft und viele reiche Länder sterben buchstäblich aus. Ganze Gesellschaften nehmen Abschied von der Reproduktion ihrer Generationen. Die Auswirkungen auf Wirtschaft, Sozialsysteme und politische Stärke werden enorm sein.

Politiker und Medien sprechen oft und dann meist im apokalyptischen Unterton von der Bevölkerungsexplosion. Auf rund zehn Milliarden Menschen wird die Menschheit nach einer Prognose der Vereinten Nationen bis zum Jahr 2050 angewachsen sein. In dem Weltbestseller „The Population Bomb“ prophezeite Paul R. Ehrlich:

„Hunderte von Millionen von Menschen werden verhungern, trotz aller jetzt eingeleiteten Sofortprogramme. Bevölkerungskontrolle ist die einzige Antwort.“

 

Verrückte Welt: Zur gleichen Zeit auf derselben Welt ereignet sich ein nicht minder schicksalhafter Trend, der nicht die Aufmerksamkeit findet, die er verdient. Wir leben im Zeitalter einer weltweiten Schrumpfung der Wohlstandsgesellschaften. „Wir sterben aus“, rief die italienische Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin bereits im Jahr 2015.

Ganze Staaten und Staatenformationen haben Abschied genommen von der Reproduktion ihrer Generation. Was mit dem Pillenknick in den sechziger Jahren begann, setzt sich mit der Erosion der klassischen Familie und schließlich der gewollten wie der ungewollten Kinderlosigkeit fort.

In dem Buch „Empty Planet: The Shock of Global Population Decline“ beschreiben Darrell Bricker und John Ibbitson, was da passiert:

„Der entscheidende Moment des 21. Jahrhunderts wird sich in ein paar Jahrzehnten ereignen, wenn die Weltpopulation ihren historischen Höhepunkt erreicht hat und von dort absteigt. Wenn dieser Abstieg begonnen hat, wird er nie wieder enden. Wir sind konfrontiert, nicht mehr mit einer Bevölkerungsexplosion, sondern mit einer Bevölkerungsimplosion.“

Die unbequemen Wahrheiten über die Bevölkerungsimplosion

Überall in den entwickelten Staaten des Westens und bald auch in China kommt es zu Schrumpfungsprozessen, die enorme Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft, die Sozialsysteme, die Verteidigungsfähigkeit und die politische Stärke der betroffenen Staaten haben werden. Der jüngste, 120-seitige Gesellschaftsreport der OECD („Society at a Glance“) und der Bevölkerungsreport der UN („Population Prospect“) legen die Entwicklung schonungslos offen. Hier die unbequemen Wahrheiten, die man zu diesem Thema kennen sollte:

Laut den Zahlen der Vereinten Nationen wächst die Weltbevölkerung bis 2100 auf mehr als zehn Milliarden Menschen. Der Zuwachs wird jedoch jährlich geringer, bis er im Jahr 2086 in eine Schrumpfung umschlägt. Damit ist der Kipppunkt der Demografie erreicht.

Der Grund: Die Geburtenraten in den reichen Volkswirtschaften haben sich seit 1960 mehr als halbiert. Die OECD warnt:

„Dieser Rückgang wird das Gesicht von Gesellschaften, Gemeinschaften und Familien verändern und möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand haben.“

Seit 1972 verzeichnet auch Deutschland stets mehr Sterbefälle als Geburten. Alleine in Italien und Spanien hat sich die Anzahl der kinderlosen Frauen, die 1975 geboren wurden, im Vergleich zu Frauen, die 1955 geboren wurden, mehr als verdoppelt.

Die Folge: Der Anteil der jungen Menschen an der Gesamtbevölkerung wird in vielen Ländern sinken. Oder anders gesagt: Die Bevölkerung altert, weil die Verjüngung ausbleibt.

Trendwende: Um diese Entwicklung umzukehren, müssten laut OECD im Schnitt 2,1 Kinder pro Frau geboren werden. Doch dafür gibt es derzeit keine Anhaltspunkte. Deshalb wächst der Anteil der Rentner und die Erwerbsbevölkerung schrumpft.

Die Experten prognostizieren folgerichtig:

„Dieser Anstieg wird einen Aufwärtsdruck auf die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit, Langzeitpflege und Renten ausüben.“   

Prioritäten im Leben vieler Frauen haben sich verändert

Im Jahr 2000 lag das durchschnittliche Alter der OECD-Mütter beim ersten Kind bei 26,5 Jahren. 20 Jahre später lag der Durchschnitt schon bei 30 Jahren. Die Prioritäten im Leben vieler Frauen haben sich verändert: Bildung statt Baby. Dann: Karriere statt Kind. Die Folge: Nicht nur die Gesellschaft altert, sondern auch die Mütter.

Lösungen? Die OECD-Studie und der Studien-Co-Autor Willem Adema haben herausgefunden, dass finanzielle Anreize wie bezahlter Elternurlaub und Kinderbetreuung keinen Unterschied machen. Länder könnten die Fruchtbarkeitsraten unterstützen, würden sie eine Politik umsetzen, die die Gleichstellung der Geschlechter und eine gerechtere Aufteilung von Arbeit und Elternaktivitäten fördere.

 

Fazit: Wir müssen diese Entwicklung nicht bekämpfen und nicht betrauern, aber wir sollten sie kennen. Oder wie der kanadische Sozialwissenschaftler Darrell Bricker und Journalist John Ibbitson in ihrem Buch „Empty Planet“ schreiben: „Der Bevölkerungsrückgang ist weder etwas Gutes noch etwas Schlechtes. Aber er ist etwas Großes.“