Gaza-Verhandlungen offenbar in Sackgasse geraten
Gaza/Washington/Doha (dpa) - Die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg scheinen in eine Sackgasse geraten zu sein. Die israelische Verhandlungsdelegation wurde laut Medienberichten bis auf ein kleines Team aus Katar zurückbeordert, was zu Schuldzuweisungen zwischen den USA und Israel führte.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte nach Angaben seines Büros: «Die Position der Hamas beweist eindeutig, dass sie nicht an einer Fortsetzung der Verhandlungen über einen Deal interessiert ist, und ist ein trauriger Beweis für den Schaden, den die Entscheidung des Weltsicherheitsrats angerichtet hat.» Die US-Regierung wies seine Äußerung prompt zurück: Die Erklärung, dass die Hamas den jüngsten Vorschlag in den Geisel-Verhandlungen wegen der UN-Resolution zurückgewiesen habe, sei «in fast jeder Hinsicht ungenau, und sie ist unfair gegenüber den Geiseln und ihren Familien», sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, in Washington.
Mit einer völkerrechtlich bindenden Resolution hatte der Weltsicherheitsrat am Vortag erstmals seit Kriegsbeginn eine «sofortige Waffenruhe» im Gazastreifen gefordert. Die USA hatten auf ihr Vetorecht verzichtet. Hintergrund ist die katastrophale humanitäre Lage in Gaza und die Sorge vor einer israelischen Bodenoffensive in der im Süden des abgeriegelten Küstengebiets gelegenen Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten. Die Hamas teilte daraufhin mit, sie beharre bei den Verhandlungen auf ihrer Forderung nach einem umfassenden Waffenstillstand, einschließlich eines vollständigen israelischen Abzugs aus Gaza.
Die Hamas habe «alle US-Kompromissvorschläge abgelehnt, während sie die Resolution des Weltsicherheitsrats feiert», sagte Netanjahu. US-Außenamtssprecher Miller betonte dagegen, die Hamas habe bereits vor dem Votum im UN-Sicherheitsrat ihre Antwort auf den jüngsten Verhandlungsvorschlag vorbereitet und nicht nach der Abstimmung.
Israels Verteidigungsminister zu Gesprächen in Washington
Der Streit um die festgefahrene Situation dürfte die ohnehin schon angespannten Beziehungen zwischen Netanjahu und der Regierung von US-Präsident Joe Biden zusätzlich belasten. Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant traf am Dienstag in Washington mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin zusammen, um die Situation zu entschärfen. «Die Verhandlungen über die Geiseln und die Positionen der Hamas erfordern, dass wir uns bei unseren militärischen und diplomatischen Bemühungen die Hände reichen und den Druck auf die Hamas erhöhen», sagte Galant nach Mitteilung des Pentagons zu Beginn des Treffens mit Austin. In dem gemeinsamen Gespräch habe Austin betont, dass die USA und Israel eine «moralische Verpflichtung» dazu hätten, die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen. Es gebe auch ein «strategisches Interesse» daran.
Die US-Regierung hatte Israel zuletzt mehrfach deutlich vor einer Bodenoffensive in Rafah gewarnt. Präsident Biden forderte sogar ein, dass Israel eine Delegation nach Washington schickt, auch um Alternativen zu erläutern. Netanjahu sagte den Besuch seiner Entsandten jedoch am Montag in letzter Minute erbost ab, nachdem der UN-Sicherheitsrat mithilfe der USA die Resolution mit der Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe verabschiedet hatte.
Bericht: Rufe in Israel nach mehr Unabhängigkeit von USA
Die Entscheidung Washingtons, die Verabschiedung der Resolution zuzulassen, ermutige populistische Stimmen in Israel, die eine größere Unabhängigkeit des Landes vom amerikanischen Einfluss forderten, schrieb das «Wall Street Journal». «Israel ist insbesondere von amerikanischen Waffen übermäßig abhängig geworden», sagte Caroline Glick, eine israelische Kolumnistin und ehemalige Beraterin Netanjahus, der US-Zeitung. Der israelische Verteidigungsminister Galant hatte sich kürzlich in einem Brief an die US-Regierung dazu verpflichtet, US-Waffen nur in Einklang mit internationalem Recht einzusetzen. Auf die Frage, ob die USA zum Ergebnis gekommen seien, dass Israel nicht gegen das Völkerrecht verstoßen habe, sagte der Außenministeriumssprecher Miller, es gebe noch keine endgültige Beurteilung, der Prozess dauere an.
Bericht: Verhandlungen dürften trotz Sackgasse weitergehen
Am Wochenende hatten sich ranghohe Vertreter der Vermittler Katar, Ägypten und der USA in der katarischen Hauptstadt Doha mit der israelischen Delegation unter Leitung des Chefs des Auslandsgeheimdiensts Mossad, David Barnea, getroffen, um zu versuchen, die Verhandlungen über eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln voranzutreiben. Am Montag hieß es, Israel habe sich bereiterklärt, auf die Hamas zuzugehen und im Austausch für 40 israelische Geiseln einige hundert palästinensische Häftlinge mehr freizulassen als bisher zugestanden worden war. In der Nacht gab dann die Hamas bekannt, sie beharre auf ihrer Forderung nach einem umfassenden Waffenstillstand. Damit sei klar gewesen, «dass wir uns in einer Sackgasse befinden und dass die Hamas ungeachtet der israelischen Kompromissbereitschaft nicht vorankommen will», zitierte das Nachrichtenportal «Axios» einen Beamten Israels.
Kurz darauf habe Barnea sein Verhandlungsteam größtenteils nach Hause beordert. Laut israelischen Medien ließ er jedoch ein kleines Team in Katar, um die Gespräche fortzusetzen. Die US-Regierung, Katar und Ägypten bewerteten die derzeitige Situation lediglich als «Pause» in den Gesprächen und erwarteten, dass die Verhandlungen in einigen Tagen wieder aufgenommen werden, zitierte «Axios» eine mit der Angelegenheit vertraute Quelle. Die israelische Delegation sei zu internen Konsultationen nach Hause zurückgekehrt. «Alle wollen die Gespräche fortsetzen, also glauben wir nicht, dass es vorbei ist», sagte die Quelle demnach.
Israel setzt Bombardierung Gazas fort
Das israelische Militär setzt unterdessen die Bombardierung des Gazastreifens fort. Im Laufe des vergangenen Tages hätten Kampfflugzeuge mehr als 60 Ziele in dem Küstengebiet angegriffen, teilte die Armee mit. Sie bestätigte zudem die Tötung des dritthöchsten Hamas-Führers im Gazastreifen, Marwan Issa, bei einem Luftangriff vor zwei Wochen. «Wir haben alle Geheimdienstinformationen überprüft und die Gewissheit erlangt», sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Issa und ein weiterer Hamas-Führer seien bei einem «komplexen und präzisen Angriff» der israelischen Luftwaffe getötet worden. Israel hatte vor zwei Wochen über den Angriff auf einen Tunnel berichtet, in dem Issa vermutet wurde, wollte seinen Tod damals aber noch nicht bestätigen.
Eine von der Hamas in den Gazastreifen entführte Israelin hat derweil als erstes Opfer der Islamisten öffentlich über dort erlittenen sexuellen Missbrauch und Folter gesprochen. Sie sei während ihrer Gefangenschaft immer wieder tätlichen Angriffen, Folter, Demütigungen und angsteinflößenden Situationen ausgesetzt gewesen, sagte die 40-Jährige der «New York Times». Ende November, als Israel und die Hamas 110 Geiseln gegen rund 400 palästinensische Häftlinge austauschten, war sie freigekommen.
Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen hatten am 7. Oktober den Süden Israels überfallen. Sie töteten 1200 Menschen und verschleppten 250 nach Gaza. Es war der Auslöser des Kriegs.