Generationen-Beben bei der Europawahl: Mehrheit der Gen Z wählt AfD, BSW oder eine der vielen Splitterparteien

Junge Wählerinnen und Wähler wenden sich von den etablierten Parteien ab - und den Rändern zu. Vor allem gilt das für junge Arbeiter und Angestellte.  - Copyright: Picture Alliance
Junge Wählerinnen und Wähler wenden sich von den etablierten Parteien ab - und den Rändern zu. Vor allem gilt das für junge Arbeiter und Angestellte. - Copyright: Picture Alliance

Die Generation Z war bei der Europawahl ein wichtiger Faktor für den Rechtsruck und die herben Verluste der Mitte-Links Parteien. In Deutschland stimmten junge Wählerinnen und Wähler mehrheitlich entweder für die AfD, das BSW oder eine der vielen Kleinparteien. Von den etablierten Parteien konnte nur die CDU/CSU ihren Stimmenanteil in der Generation der 16- bis 29-Jährigen steigern. Besonders drastisch ist die Abkehr der Gen Z von den Grünen. Das ergeben erste Analysten zum Stimmverhalten der Altersgruppen bei der Europawahl. Dabei unterscheiden sich die Themen und Sorgen der Jüngeren kaum von denen der Älteren. Sie ziehen nur andere Konsequenzen und seien anfälliger für Extreme, erklärt ein Politikwissenschaftler.

Bei der Europawahl am Sonntag wurde in Deutschland insgesamt die Union mit 30 Prozent der Stimmen stärkste Partei. Dahinter folgten mit Abstand AfD mit 15,9 Prozent, SPD mit 13,9 Prozent und Grüne mit 11,9 Prozent der Stimmen. Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kam auf 6,2 Prozent. Die FDP erreichte 5,2 Prozent. Das BSW war damit auch der größter Gewinner der Europawahl vor der AfD (plus 4,9 Prozentpunkte). Die größten Verluste erlitten die Grünen mit minus 8,6 Prozentpunkten.

Zu den interessantesten Veränderungen hinter diesen Gesamtzahlen gehört das Wahlverhalten der jungen Wähler. Dabei ist bedeutsam, dass bei der Europawahl erstmals auch Jugendliche ab 16 Jahren abstimmen durften. Bisher lag das Wahlalter ebenso wie die Grenze der Volljährigkeit bei 18 Jahren.

Zwei Dinge fallen bei der Generation Z auf: Erstens erhielt die AFD in dieser Gruppe besonders viele Stimmen. Zweitens wählten Jüngeren zu einem extrem hohen Anteil kleine Parteien, die zwischen einem und 2,5 Prozent der Stimmen erhielten - und sonst in der Politik kaum eine größere Rollen spielen.

Grafik-Diagramm Nr. 107300, Querformat 90 x 60 mm, "Europawahl in Deutschland: So wählten die 16- bis 24-Jährigen", Grafik: J. Reschke, Redaktion: J. Schneider
Grafik-Diagramm Nr. 107300, Querformat 90 x 60 mm, "Europawahl in Deutschland: So wählten die 16- bis 24-Jährigen", Grafik: J. Reschke, Redaktion: J. Schneider

Sowohl in der Altersgruppen 16 bis 24 als auch bei den 16- bis 29-Jährigen kam die AfD auf 17 Prozent. Am wenigsten Stimmen erhielt die AfD mit elf Prozent in der Generation der Babyboomer im Alter von 60 plus. Dagegen konnte die AfD ihren Stimmenanteil in der Generation Z zu vorigen Europawahl verdreifachen. Bei den jüngeren Wählern erhielt die AfD neben der CDU/CSU die meisten Stimmen. Die Union konnte dabei als einzige der etablierten Mitte-Parteien ihren Stimmenanteil in der jungen Generation steigern.

Noch mehr Stimmen der Jüngeren gingen an die „sonstigen Parteien", die nicht im Bundestag und meist auch in keinem Landtag vertreten sind. Sie vereinten bei der Europawahl 28 Prozent der Stimmen der 16- bis 24-Jährigen auf sich. Dieser Anteil wuchs noch einmal um drei Prozentpunkte. Das politische Spektrum dieser Kleinparteien ist vielfältig und reicht von der Pro-Europa-Partei Volt, über die Piraten, die Tierschutzpartei oder die ÖDP bis zur Satirepartei "Die Partei". Meist stehen die Parteien nur für einzelnen Themen oder spitze Zielgruppen.

Grüne: Vom Liebling zum Buhmann der Generation Z

Besonders dramatisch ist die Veränderung für die Grünen. Bei der Europawahl 2019 waren sie in der jungen Altersgruppe mit einem Anteil von 34 Prozent noch die mit Abstand stärkste Partei. Jetzt sind davon nur noch 11 Prozent geblieben. Die Grünen haben also zwei Drittel ihrer junge Wählerschaft verloren. Nach den bisherigen Daten zu den Wählerwanderungen wanderten sie in alle anderen politischen Lager ab.

Befragungen nach der Wahl legen für die Abkehr vieler junger Menschen von den Grünen zwei Hauptgründe nahe: Die Grünen werden in erster Linie als Klimaschutzpartei wahrgenommen, und dieses Thema hat angesichts vielfältiger anderer Problemen bei vielen Jüngeren an Bedeutung verloren. Hinzu kommt, dass auch viele Jüngere sich über die Arbeit der Bundesregierung enttäuscht äußern, in der die Grünen mit SPD und FDP regieren.

In der Folge des Generationenbebens kommen die etablierten Mitte-Parteien CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP in der Generation Z zusammen gerade noch auf 44 Prozent. An den politischen Rändern erreichen AfD, Linke und BSW 28 zusammen Prozent. Ebenso stark sind die Splitterparteien.

Über alle Altersgruppen hat die AfD zudem deutlich mehr Stimmen und Männern als von Frauen erhalten. Ihr Stimmenanteil nimmt mit zunehmender Bildung ab. Die AfD hat sich zudem als stärkste Kraft bei Arbeitern etabliert. Daraus ergibt sich das Bild, dass die AfD überdurchschnittlich viele junge Männer in einfachen Berufen aktuell eher erreicht als die etablierten Parteien.

Das Erstarken der AfD gerade bei jungen Wählern ist seit Jahren in Wahlen ablesbar. Jugendforscher wie Claus Hurrelmann stellten schon vor Jahren fest, dass viele Sorgen junger Menschen von etabllierten Parteien vernachlässigt, von Parteien wie der AfD eher angesprochen würden.

Ob die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre den Trend verstärkt hat, ist unsicher. Vor der Europawahl hatten sogenannte Wahlsimulationen bei Jungendlichen unter 18 Jahren ergeben, das im Bundesmittel rund 13,6 Prozent für die AfD stimmen wollten. Dabei war das Ost-West-Gefälle aber noch ausgeprägter. In Brandenburg etwa entschieden sich bei der Probeabstimmung über 38 Prozent der nicht Volljährigen für die AfD. Ähnliche Ergebnisse gibt es auch anderen Regionen im Osten.

Jüngere wählen eher extreme Parteien als Ältere

Zu den Motiven jüngerer Wähler die AfD oder jedenfalls nicht eine der etablierten Mitte-Links-Parteien zu wählen, geben Wahlanalysen und Studien wie die Jugendtrendstudie Aufschluss. Die Sorgen der Jüngeren unterscheiden sich nämlich nicht sehr von den Sorgen der Älteren: Am häufigsten nennen sie die Sorge vor einer ungesteuerten Zuwanderung, dem Klimawandel, wirtschaftlichen Abstieg, weniger Sicherheit. Bei jüngeren kommen häufig noch die konkrete Sorgn hinzu, keine Wohnung zu finden, oder das Gefühl sich weniger leisten zu können als frühere Generationen.

Jugendforscher wie Claus Hurrelmann stellter schon vor Jahren fest, dass viele Sorgen junger Menschen von etabllierten Parteien eher vernachlässigt, aber von der AfD eher angesprochen würden.  - Copyright: Picture Alliance
Jugendforscher wie Claus Hurrelmann stellter schon vor Jahren fest, dass viele Sorgen junger Menschen von etabllierten Parteien eher vernachlässigt, aber von der AfD eher angesprochen würden. - Copyright: Picture Alliance

Anders als viele Ältere würden jüngere Wähler eher dazu neigen, populisitische Parteien zu wählen, hat der Politikwissenschaftler Thomas König in einer Studie ermittelt. „Da zeigt sich, dass Jungwähler, die schon mal gewählt haben, extremer wählen, das heißt, mehr populistische Parteien unterstützen als Erstwähler", erläutert König in dem ntv-Podcast „Wieder was gelernt". Er sagt: „Junge Wähler haben noch kein gefestigtes politisches Bild. Im Vergleich zu älteren Wählern sind sie flexibler und manchmal extremer in ihren Wahlen. Sie haben ein größeres emotionales Spektrum."

Das Ergebnis seiner Studie: „Die Absenkung des Wahlalters hilft nicht gegen den Aufstieg rechts­populistischer Parteien. Anders als es sich die Politik vorgestellt hat, als sie das Gesetz zur Absenkung des Wahlalters beschlossen hat.“

Dafür, dass Jugendliche eher dazu neigten, populistische Parteien zu unterstützen, nennt König mehrere Gründe. Junge Menschen würden sich eher zu extremen emotionalen Handlungen verleiten lassen. Auch wenn sie enttäuscht sind von der aktuellen politischen Situation in Deutschland, "neigen sie dazu, extreme Parteien, sei es Bündnis Sahra Wagenknecht oder die AfD zu wählen. Das ist bei älteren Wählern weniger der Fall", sagt König.