Proteste gegen "russisches Gesetz" gehen weiter, Veto der Präsidentin wird demontiert
Am 26. Mai hat Georgien seinen Unabhängigkeitstag gefeiert. Die diesjährigen Feierlichkeiten zum Gedenken an die Unabhängigkeitserklärung Georgiens vom Russischen Reich finden zu einem kritischen Zeitpunkt statt.
Seit Wochen protestieren Menschen in der georgischen Hauptstadt Tiflis gegen das "Agentengesetz", das von Kritikern als Bedrohung für die Demokratie betrachtet wird.
"Diejenigen, die diesen Weg sabotieren und untergraben, treten die friedliche und sichere Zukunft unseres Landes mit Füßen"
Die georgische Präsidentin Salome Surabischwili und der Ministerpräsident Irakli Kobachidse haben sich anlässlich des georgischen Unabhängigkeitstages einen Schlagabtausch über ein Gesetz zur ausländischen Einflussnahme geliefert.
"Heute, da das Gespenst Russland über uns schwebt, sind Partnerschaft und Annäherung an Europa der wahre Weg zur Erhaltung und Stärkung unserer Unabhängigkeit und unseres Friedens", sagte Surabischwili in ihrer Rede.
"Diejenigen, die diesen Weg sabotieren und untergraben, treten die friedliche und sichere Zukunft unseres Landes mit Füßen und behindern den Weg, ein vollwertiges Mitglied der freien und demokratischen Welt zu werden."
"Regierung verteidigt Unabhängigkeit und Souveränität Georgiens"
Kobachidse schlug zurück und argumentierte, seine Regierung verteidige die "Souveränität und Unabhängigkeit Georgiens".
"Es waren die Einigkeit und die vernünftigen Schritte des Volkes und seiner gewählten Regierung, die es uns ermöglichten, den Frieden im Lande in den letzten zwei Jahren trotz existenzieller Bedrohungen und mehrfachen Verrats, einschließlich des Verrats des georgischen Präsidenten, aufrechtzuerhalten", sagte Kobachidse.
Was ist das "russische Gesetz"?
Das Anfang des Monats vom Parlament verabschiedete Gesetz sieht vor, dass Medien, Nichtregierungsorganisationen und andere gemeinnützige Organisationen, die mehr als 20 % ihrer Finanzmittel aus dem Ausland beziehen, als "Verfechter ausländischer Interessen" registriert werden müssen.
"Im Georgischen bedeutet das Wort "Agent" "Spion". Wenn man also als "ausländischer Agent" bezeichnet wird, impliziert dies, dass man für ausländische Spionagedienste und Länder arbeitet, und man wird beschuldigt, ein Verräter zu sein", erklärte die Forscherin und Aktivistin Marika Mikiashvili gegenüber Euronews.
"Diese Terminologie ist von Bedeutung, da es in Georgien außer dem Geld der Oligarchen kein unabhängiges Geld gibt. Daher sind alle zivilgesellschaftlichen Organisationen, seien es politische Organisationen, Tierheime oder sogar Kinos, in hohem Maße von westlichen Geldern abhängig. Jemanden, der westliche Gelder erhält, als "ausländischen Agenten" zu bezeichnen, suggeriert, dass der Westen ein Feind ist", fügte Mikiashvili hinzu.
Seit Wochen protestieren Georgier gegen das Gesetz, das aufgrund seiner Ähnlichkeit zu russischen Gesetzen das "russische Gesetz" getauft wurde. 2022 hat der Kreml ein Gesetz in Russland verabschiedet, das Personen oder Organisationen verpflichtet, jegliche finanzielle Unterstützung offenzulegen, die sie von ausländischen Quellen erhalten haben und sie als "ausländische Agenten" bezeichnet.
Dieses Gesetz wird genutzt, um Kritiker der Regierung zu unterdrücken, indem es ihnen strenge Auflagen auferlegt und sie aus dem öffentlichen Leben ausschließt, berichtete Human Rights Watch.
Veto der Präsidentin ausgehebelt
Die regierende Partei Georgischer Traum hält das Gesetz jedoch für notwendig, um die nationale Identität zu wahren und die Transparenz zu fördern. Ursprünglich sollte das Gesetz bereits im März 2023 eingeführt werden, wurde aber aufgrund breiter Proteste zurückgezogen. Nachdem Irakli Kobachidse im März 2024 Ministerpräsident geworden war, wurde das Gesetz erneut vorgeschlagen und trotz erneuter Massenproteste verabschiedet.
Letzte Woche hat die georgische Präsidentin ihr Versprechen eingelöst und ihr Veto gegen das Gesetz eingelegt, das sie als "inakzeptabel" bezeichnete. Surabischwili sagte, das Gesetz widerspreche der Verfassung und "allen europäischen Standards".
Die Partei Georgischer Traum verfügt jedoch über eine ausreichende Mehrheit, um das Veto von Surabitschwili zu überstimmen, und es wurde allgemein erwartet, dass sie dies auch tun wird. Am Montag war es dann soweit. Ein Ausschuss des georgischen Parlaments lehnte das Veto der Präsidentin gegen das Gesetz über "ausländische Agenten" ab.
Der Justizausschuss des Parlaments hat damit die Möglichkeit geschaffen, dass das Plenum des Parlaments am Dienstag über das Veto von Präsidentin Salome Surabitschwili gegen das Gesetz abstimmt, das ihrer Meinung nach und nach Meinung anderer Kritiker die Medienfreiheit einschränken und Georgiens Chancen auf einen Beitritt zur Europäischen Union vereiteln wird.
Gesetz wird auch außerhalb Georgiens kritisiert
Auch außerhalb Georgiens stößt der Gesetzentwurf auf Kritik. Die Venedig-Kommission, das oberste verfassungsrechtliche Gremium des Europarats, forderte Tiflis auf, das Gesetz zu streichen.
Das US-Außenministerium drohte Georgien mit Sanktionen, falls es das Gesetz durchsetze, und erklärte, Washington müsse möglicherweise seine Beziehungen zu Tiflis überdenken.
US-Gesetzgeber haben außerdem zwei ähnliche Gesetzesentwürfe eingebracht, die die georgische Regierung dazu bewegen sollen, das "russische Gesetz" aufzugeben. Die vorgeschlagenen Gesetze bieten eine Visaliberalisierung und Möglichkeiten zur Vertiefung der Beziehungen zwischen den USA und Georgien in verschiedenen Bereichen, sanktionieren jedoch diejenigen, die für den möglichen demokratischen Rückschritt Georgiens verantwortlich sind.
Am 23. Mai kündigte US-Außenminister Antony Blinken in einem Beitrag auf X neue Visabeschränkungen für diejenigen an, "die für die Untergrabung der Demokratie in Georgien verantwortlich sind, auch im Zusammenhang mit dem vom georgischen Traum vorgeschlagenen Gesetz über "ausländischen Einfluss".
Der Leiter der EU-Außenpolitik, Josep Borrell, erklärte, das Gesetz wirke sich "negativ auf Georgiens Fortschritte auf dem Weg in die EU aus".
Georgier protestieren weiter
Die Menschen in der georgischen Hauptstadt Tiflis protestieren weiter. "Auch wenn die Proteste nicht dazu geführt haben, dass das Gesetz aufgehoben wurde, betrachte ich sie dennoch als großen Erfolg", sagte Mikiashvili. Sie betonte zudem, dass es nun wichtig sei, sich auf die bevorstehenden Parlamentswahlen im Oktober vorzubereiten.