Gesetzesskandal: Warum diskriminierte Homosexuelle noch immer nicht rehabilitiert worden sind

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Bundesjustizminister Heiko Maas arbeitet an einem neuen Gesetz, es soll ehemals verurteilte Homosexuelle entschädigen. Das wird höchste Zeit.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Der Religionshistoriker Hans-Joachim Schoeps brachte es schon in den Sechziger Jahren auf den Punkt: „Für die Homosexuellen ist das Dritte Reich noch nicht zu Ende.“ Damit spielte er an auf einen Schandfleck deutscher Gerichte an, nämlich die Verurteilung von Männern nach dem berüchtigten Paragraf 175, nur weil ihre Art zu lieben sich von der der Mehrheit unterschied.

Dieser Schandfleck ist bis heute nicht verschwunden.

Der Paragraf 175, der homosexuelle Akte zwischen Männern unter Strafe stellte, war 1871 im Kaiserreich ins Strafgesetzbuch gekommen und wurde 1935 durch die Nazis verschärft. Die Bundesrepublik hatte den Paragrafen in dieser Form nach dem Zweiten Weltkrieg einfach übernommen; Schwule, welche die Konzentrationslager überlebt hatten, wurden erneut inhaftiert. Erst 1969 wurde dieses unmenschliche Gesetz entschärft, bis 1994 aber blieben homosexuelle Handlungen mit männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren strafbar. Erst dann wurde der Paragraf gestrichen. Bis 1969 wurden rund 50.000 Männer zu teils mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, danach noch einmal 3.500. Und: Diese Urteile bestehen immer noch, nur die Urteile während der Nazi-Zeit gegen Homosexuelle wurden 2002 aufgehoben.

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Was das bedeutete? Existenzen wurden zerstört. Ein demokratischer Rechtsstaat ging hin und entriss Menschen aus ihrem Lebensglück, ächtete sie. Sie verloren Job und Familie, Freunde. Man ließ sie büßen für etwas, an dem nichts Schlechtes ist. Sie wurden überwacht und verfolgt – und das in einer Zeit, während es Parteien wie CDU, SPD und FDP gab.

Das hatte ganz schlichte Folgen, zum Beispiel, dass Rentenzahlungen während der Gefängnisstrafen nicht geleistet werden konnten und die Pension deswegen heute geringer ausfällt. Der Bundestag hat bisher über diesen Skandal nur sein „Bedauern“ ausgedrückt. Das reicht nicht.

Bewegung jetzt

Daher ist es wichtig, dass nun ein Gesetz verabschiedet wird, das Genugtuung und Rehabilitierung näher kommt, einer Entschädigung im Wortsinn. Es muss ein Gesetz voller Demut sein. Gut, dass Maas nun im Oktober einen Entwurf vorlegen will.

Wie schwerwiegend dieser Skandal unser Rechtssystem durchdrungen hat, zeigt auch nun die Schwierigkeit des Umgangs mit ihm. Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) hat angesichts der Pläne von Maas gemahnt, dass solch ein Gesetz dem Grundsatz der Gewaltenteilung gerecht werden müsse – und damit hat er Recht.

Der „FAZ“ sagte Bausback, es gehe um die „Aufhebung von Urteilen unabhängiger Gerichte durch den Gesetzgeber, die seinerzeit unter Geltung des Grundgesetzes in rechtsstaatlichen Verfahren zustande gekommen sind“. Eine gesetzliche Regelung dürfe „keine Zweifel daran aufkommen lassen, dass die Aufhebung dieser Urteile von bundesrepublikanischen Gerichten der absolute Ausnahmefall ist“. Sonst bestehe die Gefahr eines Präzedenzfalls, der bei geänderten politischen Mehrheiten dazu missbraucht werden könnte, „willkürlich zunächst missliebige Straftatbestände und sodann die auf diesen beruhenden Strafurteile aufzuheben“.

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Das klingt erstmal selbst willkürlich, ist es aber nicht. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, mit welchen Gesetzen eine von der AfD geführte Regierung das Land überziehen könnte. Nur: Das sollten die Juristen der Bundesregierung doch hinkriegen können. Schließlich geht es um reine Menschlichkeit – und die findet sich im Grundgesetz nicht nur an einer Stelle. Und beeilen sollten sie sich auch. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Bild: dpa

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