Wie Rot, Rot und Grün immer lauter von der Macht träumen

Der Bundestagswahlkampf hat längst begonnen. Gut läuft, wer sich abseits von Angela Merkel hält. Ob das reicht, um am Ende als Sieger dazustehen?

Eine Analyse von Jan Rübel

Fragt man die Genossen bei der Linken, so haben sie schon eine präzise Vorstellung davon, was die CDU in den kommenden Jahren erledigen soll: In der Opposition habe sie ab 2017 die AfD anzugehen, lächelt man. An solchem Gedankenspiel mag etwas dran sein: Je länger Angela Merkel regiert, desto mittiger und sozialdemokratischer wird ihre CDU. In der Opposition wäre die Zeit, wieder nach etwas zu rufen, das nichts kostet – zum Beispiel sich eben konservativer geben und der AfD das Wasser abgraben.

Dennoch hat zeigt diese Vorstellung eine gewisse Distanz zur Politik an sich, die jener zwischen einem Zoobesucher und dem Löwenkäfig ähnelt: Als ginge es darum sich selbst als gut und zivilisiert darzustellen und den anderen als wild. In Wirklichkeit aber wird der Bundestagswahlkampf zwei Seiten offenbaren. Zum einen wird er ein echter Wettstreit der Ideen darüber, wohin unser Land soll. Und zum anderen werden Gefühle und Parolen, also Populismen eine stärkere Rolle spielen als bisher. Und dies nicht nur bei einer Partei.

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Auf der linken Seite laufen sich SPD, Grüne und Linke warm. Aus allen drei Parteien kommen anschwellende Rufe nach einem Bündnis. Das macht Sinn, auch strategisch, denn solch ein Dreieck kann sich als Alternative zu Angela Merkel positionieren und vergessen machen, dass die SPD mit ihr seit Jahren regiert. Überhaupt ist interessant, wie häufig nun die Phase dieser Großen Koalition zwischen Union und SPD mit jener Helmut Kohls zwischen Union und FDP 1998 verglichen wird. Interessant, weil geschichtsvergessen.

Bewegung allerorten

Ende der Neunziger Jahre hatte sich tatsächlich eine Müdigkeit eingestellt. Kanzler Kohl steuerte auch wegen seines Alters eher auf Pension zu, dass er die Jüngeren 1998 nicht ranließ, verwunderte und sorgte für Frust in der CDU; die SPD hatte durch Blockaden im Bundesrat geschickt für eine Stimmung der allgemeinen Lähmung gesorgt.

Von all dem ist heute nichts zu spüren. Regierungspolitik, ob man sie nun gutheißt oder kritisiert, schreitet voran. Wegweisende Gesetze werden beschlossen, wichtige Schritte unternommen. Auch wird in der Großen Koalition viel mehr diskutiert als seinerzeit zwischen Schwarz-Gelb. Erstickungszustände, Lähmung und Diskurslosigkeit jedenfalls sehen anders aus. Diese Große Koalition ist also besser als ihr Ruf, und das haben solche großen Bündnisse an sich: Sie tragen das Misstrauen des Wählers, “die da oben” würden jetzt ohne ihn weitermachen, in sich. Und Österreich ist ein mahnendes Beispiel für eine seit gefühlter Ewigkeit regierende große Koalition, die einem wohlhabenden und zufriedenen Land vorsteht und sich dennoch immer mehr “Wutbürgern” gegenüber steht, einer FPÖ, die der AfD im Beschwören einer Weltuntergangsstimmung in nichts nachsteht.

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Wir leben in verrückten Zeiten. Es geht uns gut. Aber etwas in uns ruft nach Sorgen, Ängsten und Missgunst.

Der Horizont weitet sich

Für den Wahlkampf bedeutet das, dass Rot, Rot und Grün als Lager antreten werden, auch wenn die Grünen es nicht so sagen werden. Rechnerisch haben sie derzeit auch dafür keine Mehrheit. Das kann sich bis Herbst 2017 ändern, kann aber auch so bleiben. Spätestens dann werden die Wähler vielleicht merken, dass die jetzige Koalition so groß gar nicht mehr ist, dass Volksparteien längst nicht mehr über diese großen Schirme verfügen, mit denen sie in den vergangenen Jahrzehnten herumliefen.

Im Herbst dann wird es eine neue Regierung geben, die womöglich den Leuten ein Gefühl des Aufbruchs vermitteln wird – und dies in jeder erdenklichen Koalition. Alles erscheint möglich: Rot-Rot-Grün oder gar mit Einbezug der FDP, wieder Schwarz-Rot oder auch mit Einbezug der FDP – oder ein Bündnis zwischen Union und AfD. Was heute noch unmöglich erscheint, wird dann ernsthaft erwogen werden.

Letztendlich ist alles gut, um den Spalt zwischen den realen politischen Verhältnissen und deren gefühlter Wahrnehmung zu überwinden. Dieser Wahlkampf wird spannend.

Bild: Getty Images

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