Irrwitzig, tragisch, komisch: Netflix zeigt Deutschlands unglaublichste Crime-Story
Donald Stellwag saß wegen eines Justizirrtums neun Jahre unschuldig im Knast. Auf dem Kerbholz hat er dennoch einiges, wie die äußerst unterhaltsame True-Crime-Doku von Netflix zeigt.
Da liegt er auf seinem Bett, ein Koloss von Mann, der sich kaum noch bewegen kann. Aber erzählen kann er, und wie! Natürlich hat Donald Stellwag auch viel zu erzählen: von einem Justizirrtum, einem Gangster-Rapper, einem Goldraub, einem Hirntumor, Goldgräberstimmung als Chef einer Drückerkolonne in Ostdeutschland kurz nach dem Mauerfall. Netflix zeichnet mit der True-Crime-Doku "Big Mäck: Gangster und Gold" (Buch und Regie: Fabienne Hurst und Andreas Spinrath) ab 20. Januar seine Geschichte nach.
Neun Jahre saß Stellwag für einen Bankraub, den er nicht begangen hatte, im Gefängnis: unschuldig verurteilt, weil er groß und dick war und ein Gutachter sein Ohr (sic!) auf einem Foto erkannt haben wollte. Ein Typ wie Stellwag aber, das macht er gleich klar, lässt sich davon nicht unterkriegen.
Nach seiner Entlassung tingelt er durch Talkshows, verklagt den Gutachter, baut sich ein neues Leben auf. Geschäftstüchtig ist er und gewieft, bewegt sich immer ein bisschen im Zwielicht. Dass er einige Jahre nach seiner Rehabilitierung mit einem Goldraub durch den Gangsterrapper Xatar in Verbindung gebracht wird, hat viele der Zeitzeugen überrascht, die sich im Film äußern: Solche Zufälle kann es doch gar nicht geben.
Kein Bankräuber, aber ...
Ob Zufall oder nicht, das mag jeder für sich selbst entscheiden. Bankraub hin oder her: Dass Stellwag ein Schlitzohr ist, dürfte allerdings jedem klar sein. "Wer in Deutschland zu Geld gekommen ist, kann gar nicht anders, als noch reicher zu werden", sagt er in einem Schlüsselmoment einer Doku, die als Schilderung eines Justizskandals der 90er-Jahre beginnt und sich zu einer tragikomischen Zeitreise von den 80er-Jahren bis heute entwickelt. Man erfährt nicht nur viel über einen ziemlich eindrücklichen Typen, sondern auch einiges über eine unreflektierte, mediengeile, gierige Gesellschaft: Wenn sie gut verkauft werden, dann sehen wir doch gerne über kleine Unwahrheiten und Lügen hinweg.
In der furiosen Schlussviertelstunde demystifiziert der Netflix-Film von den Produzenten von "How to Sell Drugs Online (Fast)", "King of Stonks" und "Shiny Flakes" Stellwag dann auch. Und mit einer amtsärztlichen Bescheinigung, "haftunfähig" zu sein, könnte er eigentlich so ziemlich anstellen, was er will. Was dann auch zu dem wahrscheinlich besten Schlusssatz in einem Dokumentarfilm der letzten Jahre führt.
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