Klingbeil sieht keine Ampel-Fehler bei Ukraine-Krieg: "Schuld akzeptiere ich nicht"

Lars Klingbeil verteidigte bei
Lars Klingbeil verteidigte bei "Maybrit Illner" den Kurs der Ampel-Regierung hinsichtlich des Ukraine-Krieges. (Bild: ZDF / Svea Pietschmann)

43 Prozent aller Deutschen finden die Ukraine-Hilfe aus dem Westen genau richtig. Dennoch ließ sich mit Frieden in der Europawahl kaum punkten: Wer trägt die Verantwortung, und wie steht es um Kiews Zukunft? Darüber diskutierten Maybrit Illners Gäste am Donnerstag.

Die SPD-Plakate zur Europawahl sind noch in frischer Erinnerung: "Frieden" stand in Großbuchstaben auf einem davon. An dieser Botschaft lag es aber nicht, dass die Regierungspartei rund um "Friedenskanzler" Olaf Scholz Anfang Juni das bisher schlechteste Ergebnis auf europäischer Ebene erzielt hatte. "Das Friedensthema war nicht entscheidend", bestätigte der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil gegenüber Maybrit Illner, bei der am Donnerstagabend die Frage erörtert wurde: "Europa hat gewählt - Kiews Schicksal ungewiss?"

Eine klare Botschaft für oder gegen eine Ukraine-Unterstützung sah Klingbeil im Ergebnis der Europawahl nicht. Tatsächlich finden 43 Prozent der Menschen die Hilfe aus dem Westen laut aktuellem Politikbarometer genau richtig. Für 32 Prozent könnte diese sogar mehr sein. Das schlechte Abschneiden bei der Europawahl läge vielmehr an "innenpolitischen Gründen", so Klingbeil.

Die SPD müsse wieder mehr "für die arbeitende Mitte" und Themen wie Renten oder bezahlbare Mieten kämpfen, forderte der Politiker. Dennoch sei es im Europawahlkampf wichtig gewesen, klarzumachen, dass unter dem Friedensbegriff "militärische Stärke plus Diplomatie" zu verstehen wäre, argumentierte der SPD-Chef.

Genau das sei aber vor allem der SPD nicht geglückt, fiel die Analyse der Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff anders aus: "Die SPD wurde als Partei gesehen, die für Krieg steht", widersprach die Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungspolitik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. "Dass militärische Unterstützung ein Weg zum Frieden ist, ist für viele Menschen nicht präsent".

"Alle wollen Frieden, aber wie erreichen wir ihn? In dieser Frage hat Olaf Scholz noch nie eine klare, konsistente Position bezogen", hatte Norbert Röttgen (CDU) den Sündenbock schnell gefunden. "Wir erreichen Frieden nur, indem wir den Krieg durch Putin besiegen." Dafür müssten Waffen geliefert und die Ukraine unterstützt werden: "Es gelingt dem Kanzler nicht, diesen einfachen Sachverhalt zu transportieren."

Norbert Röttgen (CDU) rief einen
Norbert Röttgen (CDU) rief einen "Kompetenzwettbewerb" bis zur Bundestagswahl aus. (Bild: ZDF / Svea Pietschmann)

Maybrit Illner konfrontierte den CDU-Politiker mit dem RTL/ntv-Trendbarometer von Ende Mai, bei dem die Befragten Olaf Scholz knapp den Vorzug vor Friedrich Merz als künftigen Kanzler gegeben hatten. "Wir werden in den kommenden Monaten immer besser werden", gab sich Röttgen optimistisch und kündigte bis zur Bundestagswahl "einen Kompetenzwettbewerb" an. Die Menschen hätten das Vertrauen in die Parteien verloren, ihre Probleme lösen zu können. Wenn alle ihre Wirtschafts- und Friedenskompetenzen ausbauen, "dann werden alle demokratischen Parteien gewinnen", meinte er überzeugt.

Ob er das Bündnis Sahra Wagenknecht dazu zählte, ist fraglich. Schon zuvor hatte der Politiker den Einzug der BSW ins Europaparlament (6.2 Prozent) genauso als "Krisenzeichen" gewertet wie das Ergebnis der AfD mit 16 Prozent. Als die Moderatorin den Politiker darauf ansprach, dass die CDU im Osten Deutschlands für eine Regierungsbildung "ausgerechnet mit Frau Mohamed Ali (Anm.: anwesende BSW-Parteivorsitzende) zusammengehen" müsste, blockte Röttgen ab: "Die BSW (ist) in dieser Friedensfrage inhaltlich bis in die Formulierungen mit der AfD identisch." Darum dürfe eine Zusammenarbeit mit der BSW nicht leichtfertig zugesagt werden.

"In der AfD sind Nazis, das ist ein großer Unterschied", empörte sich die BSW-Vorsitzende Amira Mohamed Ali nicht zum ersten Mal in der Talkshow darüber, "mit Rechtsextremen in einen Topf" geworfen zu werden. "Wenn Sie die gleichen Demonstrationen machen, dann zeigen Sie, dass AfD und BSW die Pro-Putin-Parteien sind", entgegnete Röttgen. Er bezog sich dabei auf das Fernbleiben beider Parteien bei der Rede des ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem Deutschen Bundestag diese Woche.

"Wir sind mit dem Kurs nicht einverstanden", erklärte Mohamed Ali. "Was wäre höflicher gewesen: Nicht hingehen oder Dasitzen und nicht klatschen?" Ob sie bei einem Besuch Putins, Bidens oder Macrons ebenfalls ferngeblieben wären, wollte Illner wissen. Ein Spielchen, das Mohamed Ali nur kurz mitmachte: "Wir können alle Präsidenten durchexerzieren, das führt uns nicht weiter." Unterstellungen, nicht an der Ukraine interessiert zu sein oder die Täter-Opfer-Rolle umzukehren, lehnte sie als "infam" ab. "Wir haben unsere legitime Meinung geäußert. Mit unserem Fernbleiben haben wir vielen Menschen im Land aus dem Herzen gesprochen."

Im Polittalk
Im Polittalk "Maybrit Illner" debattierte die Runde über den aktuellen Stand im Ukraine-Krieg. (Bild: ZDF / Svea Pietschmann)

"Ich kann nicht mehr an mich halten", wurde es Wolfgang Ischinger, Präsident des Stiftungsrats der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) zu bunt: "Ich finde es infam, dass Sie in Ihrer Erklärung (...) den unkläglichen Satz (schreiben), dass Selenskyj einen Nuklearkrieg riskiert durch dieses Verhalten." Die Ukraine hätte ihre Atomwaffen 1994 abgegeben. "Der Einzige, der Kritik verdiente, weil er mit Nuklearkrieg hantiert, ist Wladimir Putin. Der arme Selenskyj verdient dieses Urteil nicht." Zudem sei das Risiko eines Nuklearkriegs zuletzt nicht gestiegen, ergänzte Friedensforscherin Deitelhoff: "Ich sehe eine große Besonnenheit der NATO-Staaten." Selbst vonseiten Putins wäre zuletzt eine "deeskalierende Rhetorik" zu beobachten.

"Ich glaube nicht, dass Deutschland und Europa alles tun, um den Krieg zu deeskalieren", war Mohamed Ali anderer Auffassung. Sie forderte, den Krieg an der Frontlinie einzufrieren und in Verhandlungen zu treten. Immer weiter Waffen zu liefern, um Russland zu besiegen, habe nicht funktioniert.

Ob die Bundesregierung Schuld an dieser Situation wäre, wollte Illner von Klingbeil wissen. "Schuld akzeptiere ich nicht", wies der die Frage vehement von sich. "Putin ist der Aggressor, er trägt die Verantwortung." Eines gab er aber doch zu: "Für manche Entscheidungen haben wir zu lange gebraucht", fügte aber gleich hinzu: "Aber was wir zugesagt haben, da haben wir Wort gehalten." Deutschland sei der größte Waffenlieferant Europas.

In Frankreich fiele dieses "deutsches Vorrechnen" in der Vergangenheit "übel auf", wie ZDF-Korrespondent Thomas Walde aus Paris vermeldete. Mittlerweile betrachtete sich der französische Präsident Emmanuel Macron als "Motor und Antreiber auf europäischer Ebene". Nicht dieses Vorpreschen in der Ukraine-Frage, sondern innenpolitische Probleme hätten ihm eine Niederlage bei der Europawahl eingebracht.

Doch egal, welches Szenario in Frankreich oder nach der Präsidentschaftswahl in den USA eintritt: "Auf uns kommt noch mehr Verantwortung zu", prognostizierte Klingbeil, dass der Westen "die treibende Kraft" sein müsste. Dabei ginge es neben Waffenlieferungen um politische und finanzielle Unterstützung. Insbesondere Deutschland müsste dauerhaft mehr Geld für Munition ausgeben und in die Verteidigung investieren.

"Wir dürfen allerdings nie in eine Situation kommen, in der wir diskutieren, ob wir mehr Geld für die Ukraine ausgeben oder hier zum Beispiel mehr Renten stabilisieren", ergänzte er im Hinblick auf die aktuelle Debatte zum Haushalt 2025. "Das wäre brandgefährlich."