Landtagswahlen: In Bayern herrschen bald deutsche Verhältnisse

Wird der 14. Oktober zur Mini-Zäsur für das politische Bayern? (Bild: Matthias Balk/SPD/Grüne/CSU/dpa)
Wird der 14. Oktober zur Mini-Zäsur für das politische Bayern? (Bild: Matthias Balk/SPD/Grüne/CSU/dpa)

Am 14. Oktober sind in Bayern Landtagswahlen – und die Alleinherrschaft der CSU bröckelt. Ganz neue Bündnisse werden jetzt schon angedacht.

Eine Analyse von Jan Rübel

Wahlen in Bayern trieben früher nicht unbedingt Schweißperlen der Aufregung auf die Stirn. Da konnte alles passieren – am Ende gewann die CSU. Trotz Amigo-Affären, persönlichen Verfehlungen oder wenig berauschenden Regierungserfolgen auf Bundesebene: Das Bayern-Gen trägt keine andere Partei derart ausgeprägt in sich wie die CSU. Das ist auch heute so. Und eigentlich ist die Bilanz christsozialer Herrschaft in Bayern keine, welche Wähler verschreckt; die Wirtschaft brummt, das Abendland strahlt Zufriedenheit aus. Eine absolute Mehrheit, wie sie vor vier Jahren noch Horst Seehofer mit satten 47 Prozent holte, sollte in Anbetracht dieser bayerischen Wahlhistorie keine Überraschung sein. Sie wäre aber eine faustdicke.

Mitte Oktober sind wieder Landtagswahlen. Und von einer absoluten Mehrheit ist die CSU, zumindest nach den Umfragen, weit entfernt. Die Zahl 47 klingt für Christsoziale wie aus dem Mittelalter. Und mehrere Parteien werden den Landtag in München bereichern: Die Grünen scheinen die SPD als zweitstärkste Partei abzulösen, AfD, Freie Wähler und FDP werden wohl ins Parlament einziehen; auch die Linke hat berechtigte Hoffnung. Eine wahrhafte Vielfalt kommt auf die bayerische Politik zu.

Starker Gegenwind fürs Althergebrachte

Warum läuft es für die CSU nicht rund? Zum einen sprechen strukturelle Gründe dafür, dass die CSU im Wähler keine sichere Bank mehr sehen kann. An wirtschaftlichen Wohlstand kann man sich auch gewöhnen, ihn als gottgegeben hinnehmen und ihn daher einer bestimmten Partei kaum zuschreiben. Auch gibt es in ganz Deutschland, ja Europa, einen Trend des wandernden Wahlkreuzes: Die Zahl der treuen Stammwähler nimmt bei allen Parteien ab, man probiert mehr aus, verteilt sogenannte “Denkzettel” und verspricht sich Schwung durch Politiker, die diesen versprechen. All dies trifft die seit Jahrzehnten allein regierende CSU stärker als alle anderen Parteien Bayerns.

Und zum anderen leisten sich die Christsozialen kapitale Fehler. Das Spitzenduo aus Markus Söder als Ministerpräsident und Horst Seehofer als CSU-Parteichef agiert trotz verordneter Harmonie nicht gerade als Dreamteam. Söder hatte als Finanzminister ungeduldig darauf gedrängt, Seehofer vom Thron des Ministerpräsidenten zu vertreiben; nun fehlt ihm die Zeit sich als Landesfürst eindrücklich in Wahrnehmung zu bringen. Und Seehofer ist im Schatten dieser Kabalen der politische Instinkt abhandengekommen. Einen zersetzenden Kampf mit Kanzlerin Angela Merkel brach er vom Zaun, garniert mit auch im Nachhinein unsinnig erscheinenden Kinkerlitzchen: Ein “Masterplan”, der wochenlang geheim blieb. Eine “Zurückweisung”, die nie eine war. Und das Festhalten an einem Verfassungsschutzchef, der nur noch eines konnte, nämlich Katastrophe. Einem früheren Seehofer wären all diese Fehler nicht passiert. Doch nun steht er als störrischer Mann da, als älter als er ist, beratungsresistent und hadernd.

Ministerpräsident Markus Söder (l.) und Horst Seehofer wird ein angespanntes verhältnis nachgesagt. (Bild: Sven Hoppe/dpa)
Ministerpräsident Markus Söder (l.) und Horst Seehofer wird ein angespanntes verhältnis nachgesagt. (Bild: Sven Hoppe/dpa)

Söder, der noch nicht fest im Sattel sitzt, könnte von dieser Entwicklung gar profitieren. Denn sollte die Landtagswahl für die CSU im Desaster enden, böte sich Seehofer als Sündenbock an. Söder dagegen würde niemand herausfordern, er steht derzeit alternativlos da. Und könnte Seehofer im Parteivorsitz beerben.

Doch wie könnte Söder regieren? Zuerst könnte tatsächlich sein, dass die Umfragen ein anderes Ergebnis zeitigen als der Urnengang. Manch CSU-Anhänger wird in Umfragen Dampf ablassen und dann vor der Wahlkabine innehalten, sich besinnen und doch sein Kreuz an traditioneller Stelle machen. Die CSU könnte also besser abschneiden, als man es ihr derzeit zutraut. Doch eine absolute Mehrheit wäre dann doch zu viel des Träumens. Eine Koalition müsste her.

Selbst ein Bündnis mit der SPD könnte nicht reichen, die Sozialdemokraten schimmern im Wahlkampf nicht genügend durch. Ihnen wird die Schau von den Grünen gestohlen, die jene Frechheit und Frische ausstrahlen, die ein Oppositionsführer braucht. Sollten die Grünen im Endspurt zulegen, könnte es eine schwarz-grüne Koalition geben. Die christsozialen Unkenrufe über Baden-Württemberg und Hessen, wo solche Bündnisse recht erfolgreich agieren, werden schnell verstummen; Machtpragmatismus verleiht Weisheit in Lichtgeschwindigkeit.

Wer kann mit wem?

Die Freien Wähler würden jedenfalls allzu gern mit der CSU regieren. Sie sind sehr bayerisch, konservativ und lösungsorientiert und würden in eine Koalition aus CSU und FDP rasch eintreten wollen. Auch mit den Grünen würde man sich sicher an einen Tisch setzen. Nur die AfD scheint kein echter Gesprächspartner für verantwortungsvolle Arbeit zu sein. Die CSU schweigt zwar, statt klarerweise eine Kooperation gleich auszuschließen. Aber die Christsozialen haben zwar spät, aber immerhin nun erkannt, dass sie der AfD nicht das Wasser abgraben, indem sie ihre Slogans kopieren. Diesen Fehler Seehofers bereuen viele, denn im Zweifel bevorzugt der Wähler das Original; die CSU verschreckt durch den Rechtsdrall Seehofers liberale Wähler und lockt rechte Wähler kaum an. Die AfD vermag womöglich durch ihre schrillen Parolen zu punkten, aber Geschrei macht noch keine Regierung aus; dafür agiert die AfD zu pubertär und verantwortungslos.

Vieles deutet also daraufhin, dass der Wahlkampf bis zum Ende nicht an Spannung verliert, dass Ergebnisse längst nicht von vornherein feststehen und eine recht bunte Regierung am Ende dasteht. Bayern exerziert, was im Rest Deutschland längst Gewohnheit geworden ist. Und vielleicht ist es ein Signal für die CSU zum Öffnen diverser Fenster, um liberale Frischluft hinein zu lassen – ob mit Seehofer oder ohne.

Dessen Zukunft – auch als Bundesinnenminister – ist ungewiss. Sollte er gehen, würde eine Christsoziale oder ein Christsozialer ihn ersetzen. Würde Bayerns Innenminister Joachim Herrmann das Loch stopfen? CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt jedenfalls ist so ambitioniert wie überschätzt. Schon als Bundesverkehrsminister wirkte er überfordert, da sollten ihn die großen Schuhe des Bundesinnenministeriums abschrecken. Würde sich die CSU also in eine bayerische Koalitionsregierung retten, sind die Folgen für die Bundespolitik ungewiss – je nachdem, welche Lehre die Christsozialen aus ihrem drohenden Bedeutungsverlust ziehen würden: Bunt geworden, dürfte die CSU mehr Kompromissbereitschaft in der Berliner Großen Koalition zeigen. Unsicher geworden, könnte sie anfangen mit Löwengebrüll. Dann aber gäbe es rasch weitere Wahlen; nämlich im ganzen Land

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