Kommentar: Sozialdemokratien haben noch nicht fertig

Die SPD liegt in den Umfragen am Boden, die Sozialdemokratie an sich nicht. (Bild: Christoph Schmidt/dpa)
Die SPD liegt in den Umfragen am Boden, die Sozialdemokratie an sich nicht. (Bild: Christoph Schmidt/dpa)

Wahlen gewinnen Sozialdemokraten derzeit kaum, sie stecken in einer heftigen Krise. Aber man braucht sie: Weltweit sind ihre Parteien an kleinen Lösungen beteiligt.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Müde und dennoch zufrieden sind in der Nacht zum Dienstag die Fraktionsvertreter von CDU, CSU und SPD vor die Mikros getreten – und mal wieder verkündeten sie keinen Durchbruch. Es ging um eine Vermeidung von Fahrverboten für Diesel-Fahrzeuge und um ein Fachkräftezuwanderungsgesetz, und die erzielte Einigung ist derart kompliziert wiederzugeben, dass es hier mehrere Absätze bräuchte.

Verdammt, Politik ist halt kompliziert. Es ist das Bohren berühmt dicker Bretter. Sexy sein, das überlässt die Politik den Propheten mit den Megaphonen und ihren einfachen Botschaften.

Die Große Koalition versteht es meisterhaft, sich in schlechtestem Ruf zu präsentieren. Und dennoch drehen sich in den Bundesministerien kleine Räder, kommen Politiker aus drei Parteien zusammen und einigen sich auf ein Justieren hier und ein Drehen gesellschaftlicher Stellschrauben dort. So gruselig das Regierungsbündnis daherkommt, so ansehnlich ist, was aus seinem Maschinenraum dringt. Voran geht es schon.

Heimelige Wärme

Der Maschinenraum ist zur Stammkneipe der Sozialdemokraten geworden. Überall sind sie an kleinen Lösungsarbeiten beteiligt. Große Würfe gelingen ihnen schon lange nicht mehr, auch mit Visionen gehen sie sparsam um; allzu oft haben sie es sich dort unten auch gemütlich eingerichtet und ein Netzwerk aus Buddys gesponnen, in dem es sich schon leben lässt. Blumentöpfe gewinnt man damit selten. Bei Wahlen gehen Sozialdemokraten in der Regel baden.

Dennoch braucht ein Land seine Sozialdemokraten, ob an der Macht oder in der Opposition. Hier eine kleine Tour d’Horizon ihres Wirkens.

In Mazedonien hätte am vergangenen Wochenende ein Referendum beinahe eine Sensation geschafft: Nur wegen zu geringer Wahlbeteiligung misslang vorerst eine Namensänderung der Republik – ein Kompromiss zwischen Mazedonien und Griechenland, der einen jahrzehntelangen lähmenden Streit beenden wird. Ausgehandelt hatten ihn die sozialdemokratischen Regierungen beider Länder, während die konservative Opposition nur stumpfe nationalistische Bremsmelodien zu summen wusste. In Portugal wirtschaftet ein Linksbündnis erfolgreich, und in Israel ist nur von linken Parteien zu erwarten, dass es zu einer Annäherung zwischen Juden und Palästinensern kommt. Sozialdemokraten würden niemals auf die Idee kommen, einen Herrn wie den konservativen Brett Kavanaugh ins Amt eines obersten Bundesrichters zu hieven, wie es gerade in den USA geschieht – trotz schlimmster Vorwürfe gegen ihn, deren Überprüfung Sozialdemokraten einfordern. Sozialdemokraten würden auch nicht, wie derzeit in Italien geschieht, durch Überschuldung des Staatshaushalts eine Wirtschaftskrise riskieren.

Wo geht’s hier raus?

Von Populisten sind Probleme zu erwarten. Von Sozialdemokraten Lösungen. Vielleicht sollten sich letztere nicht auf den Maschinenraum beschränken, es ginge auch anders: Neben den kleinen Verbesserungen könnten Sozialdemokraten mehr Ungerechtigkeiten ankreiden und Visionen entwickeln, in diesem Dreiklang neue Erfolge suchen. Denn mit dem derzeitigen Kleinklein wird es ein Problem beim Wettstreit um die Blumentöpfe; sozialdemokratische Parteien sind in der Geschichte als Oppositionsbewegungen gestartet, sie kämpften um die Rechte Entrechteter, später drangen sie selbst zur Staatselite vor, setzten viele Verbesserungen durch – und verwalten heute dieses Erbe. Das reicht nicht aus. Sozialdemokratien brauchen den Fokus aufs Soziale, aber nicht nur: Das wärmende Feuer liberaler Ideen sollten sie nicht den Grünen überlassen. Stattdessen könnten Sozialdemokratien eine Tugend zeigen, auf vielen Ebenen, die es gerade braucht: Haltung, und zwar unabhängig davon, ob man damit Wahlen gewinnt oder nicht.

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