Kommentar: Bundespräsident Steinmeier pauschalisiert bei Menschen mit "arabischen Wurzeln"

Das Staatsoberhaupt wendet sich an die Bevölkerung – es geht um den grassierenden Antisemitismus. Da ist es besonders jetzt wichtig, auch die Judenfeindlichkeit in migrantischen Communitys anzusprechen. Frank-Walter Steinmeier aber pauschalisiert. Damit setzt er einen herablassenden Sound, den man noch vom 11. September 2001 kennt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verfolgt im Oktober auf der Zuschauertribüne eine Sitzung des Bundestages
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verfolgt im Oktober auf der Zuschauertribüne eine Sitzung des Bundestages

Ein Kommentar von Jan Rübel

Erinnern Sie sich noch an den? Kommt ein Mann zum Bäcker und sagt: "Ich distanziere mich von Osama bin Laden und hätte gern drei Brötchen." Dieser Witz umriss die Lage vieler Muslime, Araber oder dem gemeinen Deutschen orientalisch vorkommender Leute nach den Terroranschlägen von "9/11".

Damals, in den Nullerjahren, sorgte die salafistische Terrorgruppe "al-Qaida" dafür, viele Menschen in den westlichen Gesellschaften unter Generalverdacht zu stellen. Sie sollten sich äußern. Sich verhalten. Wieder und immer wieder. Damit verhalf übrigens der Westen der Terrorgruppe rund um ihren Boss bin Laden zu einer Macht, die sie in Wirklichkeit nie hatte. Ihr Rückhalt unter Muslimen weltweit war stets verschwindend. Und dennoch wurde hierzulande lieber zweimal oder dreimal nachgedacht und auch -gefragt, ob dieser hier und jene vielleicht…

Leider scheint es heute wieder soweit zu sein. Die grausamen Mörderattacken der radikalislamischen Hamas aus dem Gazastreifen heraus haben traumatisiert, vor allem die israelische Gesellschaft. Und hier in Deutschland wundert man sich über die Zustimmung, die Hamas für ihren Terror erhält. Es ist zum Haare vom Kopf reißen: Wie kann gutgeheißen werden, wenn Menschen in ihrem Haus oder auf einem Konzert wahllos niedergemetzelt werden? Da sind viele Fragen zu stellen. Zu unserem hausgemachten Antisemitismus in Deutschland kommt nun jener aus Familien hinzu, die eine Einwanderungsgeschichte aus dem Nahen Osten haben. Sie haben ihre eigenen Klischees und Vorurteile gegenüber Juden, kombiniert mit vielen Jahren staatlicher Feindschaft und eben auch traumatischen Erfahrungen durch Vertreibung oder Diskriminierung durch israelische Politik. Drauf kommen religiös, in diesem Falle islamisch formulierte Aggressionen; natürlich schaute man sich auch einiges vom alten europäischen Antisemitismus ab.

Dies wurde bisher in Deutschland von zu Wenigen thematisiert, eben Fachleuten überlassen. Und von Rechts wurde diese Spielart des Antisemitismus aufgeblasen, um vom eigenen abzulenken.

Also eine Steilvorlage für den Bundespräsidenten. Als Staatsoberhaupt hat Frank-Walter Steinmeier die wegweisenden Worte in dieser Krisenlage zu sprechen. Mahnen, warnen, Zuversicht verströmen. Mit den Emotionen hat er es ja nicht. Aber Steinmeier versuchte es. Und griff daneben.

Mal eben von oben herab

Am vergangenen Mittwoch setzte er zu einer Ansprache in seinem Amtssitz Schloss Bellevue an. Viel Richtiges sagte Steinmeier, darunter Allgemeinplätze. Kern seiner Botschaft aber war: "Ich bitte Sie, die Menschen mit palästinensischen und arabischen Wurzeln in Deutschland: Lassen Sie sich von den Helfershelfern der Hamas nicht instrumentalisieren! Sprechen Sie für sich selbst! Erteilen Sie dem Terror eine klare Absage!"

Auf den ersten Blick klingt es nach einer Binse. Gegen Terror – selbstverständlich! Dann aber reibt man sich die Augen.

Die Hamas ist eine rein palästinensische Organisation. Sie agiert nicht global wie "al-Qaida" oder der "Islamische Staat", wurde auch übrigens nach ihrem Gemetzelausbruch ziemlich alleingelassen, wie etwa von der libanesischen Hisbollah. Warum sollten sich also Menschen mit "arabischen Wurzeln" von ihr irgendwie adressiert fühlen, wenn es keine palästinensischen sind? Was haben ein Marokkaner oder ein Iraker in Deutschland damit zu schaffen, dass sie vom Bundespräsidenten eine Ermahnung benötigen? Und was ist mit den vielen, vielen Deutschen aus binationalen Ehen, deren Mutter oder Vater arabisch sind, die vielleicht gar kein Arabisch sprechen, den Islam nur aus der "tagesschau" kennen und nun sich von Steinmeier anhören müssen, etwas gehe sie mehr an als andere?

Infografik: Wer ist für antisemitische Hasskriminalität verantwortlich? | Statista
Infografik: Wer ist für antisemitische Hasskriminalität verantwortlich? | Statista

Der Bundespräsident schmeißt viele Leute in einen Topf. Er pauschalisiert. Und dann tut er noch so, als drohte ihnen eine Instrumentalisierung; etwas, das dem braven Teutonen aus dem Land der Dichter und Denker nicht geschehen kann? Benötigen die Leute mit arabischen Wurzeln eine Ermunterung von Papi Steini, für sich selbst zu sprechen?

Aus diesen Sätzen klingt hierarchisches Denken heraus. Einige wissen Bescheid, sind erwachsen. Und dann sind da die unreifen Kinder. Die muss man anstupsen, damit sie die ersten Schritte alleine gehen.

Bloß kein Empowerment

Dann offenbarte Steinmeier seinen eigenen Blick auf seine Mitbürger. "Sie alle sollen Raum haben, um Ihren Schmerz und Ihre Verzweiflung über die zivilen Opfer in Gaza zu zeigen, mit anderen zu teilen", sagte er zur "palästinensischen und gesamten arabischen Gemeinschaft in unserem Land". "Das Recht, das öffentlich und friedlich zu tun, ist von unserer Verfassung garantiert – und dieses Recht steht nicht infrage." Was diesen Menschen zugedacht wird, sind Schmerz und Verzweiflung. Das sind Attribute von Opfern. Palästinenser sind in der Geschichte allzu oft entweder als Opfer oder als Täter beschrieben worden. Helfen würde es, wenn man sie Einfordernde sieht. Als Akteure ihres Schicksals, mit eigener Geschichte und Kultur. Also, das Pendel nicht immer nur von seinen äußersten Schwingpunkten her zu sehen.

Irgendwie merkte Steinmeier vielleicht, dass er ein wenig paternalistisch daherkommen könnte. Also schob er nach: Es dürfe "keinen antimuslimischen Rassismus und auch keinen Generalverdacht gegen Muslime geben". Da aber hatte er ihn gerade schon ausgesprochen.

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