Kommentar: Chinas Regime wird mit den Uiguren weiter machen, was es will

Kurz vor Toresschluss gibt die UN-Menschenrechtskommission ihren Bericht zur Lage der Uiguren in China heraus. Er schockiert, genauso wie die Unverfrorenheit der Leugnung in Peking. Doch mit diesem Kurs wird die Regierung wohl durchkommen.

Protest gegen die Behandlung der Uiguren in China.
Immer wieder gibt es Proteste gegen die Behandlung der Uiguren in China. (Bild: REUTERS/Murad Sezer)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Man hatte gar nicht mehr damit gerechnet. Schon vor einem Jahr war der Bericht der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet fertig, aber mit immer neuen diplomatischen Finten hat die Regierung in China die Veröffentlichung hinausgeschoben. In ihm sollte die Lage der Menschen in Nordwestchina untersucht werden, genauer in Xinjiang – und es geht in erster Linie um das Volk der Uiguren. Bisher drangen einzelne Gerüchte, Meldungen und Filmaufnahmen aus der Region, und sie verstörten.

Nun hat also Bachelet buchstäblich fünf Minuten vor Mitternacht zum Donnerstag den Bericht veröffentlicht; ihre letzte Möglichkeit, da am Folgetag ihre Amtsschaft endete.

Dieser Bericht bestätigt die schlimmen Ahnungen

Die 46-seitige Bewertung spricht von "glaubhaften" Vorwürfen von systematischer Folter, Zwangsarbeit und Vergewaltigungen in Internierungslagern in Xinjiang. Die Behandlung der Uiguren und anderer vorwiegend muslimischer Gruppen im Namen der Extremismusbekämpfung könne "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" darstellen. Inhaftierte hätten von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung berichtet. Wenn Menschen willkürlich und diskriminierend inhaftiert würden, könnte das "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" darstellen, heißt es in dem Report der Vereinten Nationen weiter. Die internationale Gemeinschaft müsse sich "dringend" mit der Menschenrechtslage in Xinjiang befassen. All diese vorsichtigen Formulierungen in der Möglichkeitsform beruhen darauf, dass China echte Kontrollen in der abgeschotteten Region nicht zugelassen hat. Warum wohl?

Was ist denn los in Xinjiang? Und warum agieren die chinesischen Behörden so?

In der Vielvölkerregion leben viele muslimische Uiguren. Sie wurden erst 1949 in den chinesischen Staat zwangseinverleibt. Unter ihnen gibt es auch eine radikalislamische Minderheit, eine sehr kleine Gruppe, die mit al-Qaida zusammenarbeitete und Terroranschläge in China verübte – von der Größenordnung in etwa das, was al-Qaida und später der "Islamische Staat" (IS) in Europa begingen. Klar, darauf muss man reagieren. Aber was die Diktatur aus Peking schickte, waren reine Verbrechen.

Die mit dem Schlaghammer

Jegliche kulturell oder religiös eigenständige Handlung wurde als Terrorismus ausgelegt. In den Augen der Machthaber ist jedes Stirnrunzeln ein terroristischer Akt. Also antworteten sie mit Zwangslagern, um zu "de-extremisieren", um zu "erziehen". Es waren Masseninternierungen, für hunderttausende Menschen.

Man stelle sich vor, Deutschland oder Frankreich hätten ähnlich auf die Anschläge reagiert – nein, kann man sich nicht vorstellen. Es ist eine Schande für den chinesischen Staat, dass man es bei ihm nicht nur kann, sondern muss und dann auch noch bestätigt wird.

Chinas Regierung versucht mit ihrer materiellen Macht dagegen zu halten. Bachelet beklagte zuletzt, rund 40 Staaten hätten auf sie Druck ausgeübt, den Bericht nicht zu veröffentlichen; Namen dieser Staaten nannte sie nicht. Ich hätte sie gern gewusst. Handelt es sich um die Auflistung sinistrer Regime und Autokratien oder um korrupte Länder gen Failed States, die gerade dutzendhaft von China durch Kredite gegen ineffektive Infrastrukturprojekte in finanzielle Abhängigkeit gebracht werden? Die Namen sollten veröffentlicht werden.

Mühe sieht anders aus

Interessant ist auch die Entgegnung aus Peking auf den Bericht. Da ist dann ständig die Rede von "Lügen", von "antichinesischen Kräften". Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache. Das kann auch nicht jene Erzählung entkräften, welche die chinesische Regierung zeitgleich mit dem UN-Bericht veröffentlichte: "Fight against Terrorism and Extremism in Xianjiang: Truth and facts" heißt sie und liest sich auf ihren 128 Seiten wie eine amateurhaft zusammengeschluderte Märchensammlung. In dieser Erzählung versank Xinjiang in Chaos und Gewalt, die anderen Völker litten unter den massenhaft auftretenden islamischen Jihad-Kämpfern – bis die ordnende Hand aus Peking alle sanft rüttelte und nun Friede, Freude und Eierkuchen auf den Tisch bringt; in den Masseninternierungslagern.

Nur ein Beispiel für die Krudität dieses Vorgehens: Gleich am Anfang dieses Berichts wird die regierende Kommunistische Partei China mit Akronymen genannt, eben CPC. Doch wer sind eigentlich diese Terrorgruppen? Man findet sie im Bericht nicht. Auf Seite 13 taucht plötzlich ohne irgendeine Erklärung die Bezeichnung ETIM auf, nach einigen Experten eine Kunstbezeichnung der chinesischen Behörden für eine zuerst namenlose Gruppe, die sich später "Turkestan Islamic Party" nannte und die sich zu einigen Anschlägen bekannte. Wo sind hier die Truths and Facts versteckt? Leicht zu finden sind sie jedenfalls nicht.

Gänzlich unverschämt gehen diese Machthaber vor. Nicht einmal eine halbwegs gut überlegte Verteidigungsstrategie haben sie aufgebaut. Womöglich ist es der regierenden Partei egal. Denn China wächst, das Land wird eine Supermacht werden, vielleicht die größte. Dieser Staat wächst auch deshalb so stark, weil er auf die Freiheiten seiner Bürger weitaus weniger gibt als demokratisch verfasste Länder.

Und auch jetzt wird der UN-Bericht zu den Uiguren in wenigen Tagen von der Agenda verschwunden sein. Zu viele Probleme liegen gerade auf dem Tisch der Aufmerksamkeit. Doch man sollte das Regime in Peking weiter damit piesacken, Fragen stellen, Erklärungen verlangen. Eben wie es der UN-Bericht verlangt: Die internationale Gemeinschaft sollte sich dringend mit der Menschenrechtslage befassen.

Im Video: UN - Mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Uiguren in China