Kommentar: Eine Staatstrauer für Silvio Berlusconi – den schlimmsten Bürger Italiens

Abschied der Staatsspitze am Sarg Silvio Berlusconis im Mailänder Dom (Bild: REUTERS)
Abschied der Staatsspitze am Sarg Silvio Berlusconis im Mailänder Dom (Bild: REUTERS)

Der eine Teil der Republik trauert um den ehemaligen Ministerpräsidenten. Der andere Teil wundert sich über die Seligsprechung eines permanenten Sünders. Das politische Leben Silvio Berlusconis war eine einzige öffentliche Schande. Sein Gift wirkt noch lange über seinen Tod hinaus.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Zehntausende nahmen Abschied von Silvio Berlusconi, der die italienische Politik über Jahrzehnte geprägt hatte und nun im Alter von 86 Jahren gestorben ist. Ganz unüblich, rief die Regierung noch den gestrigen Tag seines Begräbnisses zum Trauertag aus – obwohl Berlusconi nie Präsident gewesen ist. Das wollte er zwar werden, aber die Scham über seine Missetaten war dann wohl doch zu groß.

Nun vergießt also die rechte Regierung Krokodilstränen. Sie versucht über die von ihr kontrollierten Medien die Saga zu verbreiten, es sei ein großer Staatsmann von Italien gegangen. Das Gegenteil stimmt: Berlusconi war, gemessen an seinen Wirkungen fürs Land, der schlimmste Bürger. Was er im politischen Auftrag anfasste, wurde zum Fluch.

Berlusconi war der erste Politiker, der Donald Trump zum Vorbild wuchs. Denn Berlusconi war ein Unternehmer, der nur in die Politik ging, um seine wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen zu wahren und dann auszubauen. Er kaperte den Staat. Keine Ideologie trieb ihn an, nur die des eigenen Reichtums, die Überzeugung, über dem Recht zu stehen. Dabei navigierte der ursprünglich eher unpolitische Jungpolitiker in den Neunzigern nach rechts, schmiedete erstmals ein Bündnis mit der postfaschistischen Partei AN. Unter ihm diente übrigens mit 31 Jahren eine Giorgia Meloni als Jugend- und Sportministerin, jüngstes Kabinettsmitglied in der Geschichte Italiens, die sich heute im Amt der Ministerpräsidentin als „Underdog“ verkauft, was angesichts dieser Biografie nur ab einer gewissen Litermenge Chiantis zu glauben wäre.

Ein Populist gegen das Volk

Ich kann mich keines Gesetzes entsinnen, das Berlusconi in seinen vielen, vielen Jahren als Ministerpräsident vorantrieb, welches dem Land guttat. Berlusconi dachte nur an: Berlusconi. Er war einfach ein Händler und Verkäufer in der Politik. Und er vergiftete die Gesellschaft mit seinen Predigten etwa darüber, dass es schon okay ist, den Staat um Steuern zu prellen. Keine Reform brachte er voran, die dem Land half. Stattdessen verordnete seine Bedienungsmentalität für wirtschaftspolitischen Stillstand.

Silvio Berlusconi vermarktete sich als Sonnyboy und vergiftete die Gesellschaft mit seinen Predigten (Bild: Franco Origlia/Getty Images)
Silvio Berlusconi vermarktete sich als Sonnyboy und vergiftete die Gesellschaft mit seinen Predigten (Bild: Franco Origlia/Getty Images)

All dies übertünchte er mit seinem strahlenden Kaiman-Lächeln, Berlusconi vermarktete sich als Sonnyboy, der sich Liebe zur Not kaufte. Alle Maßstäbe guten Benehmens setzte er dramatisch herab. Er machte faschistisches Denken wieder hoffähig, weil es ihm nicht schadete. Er vertiefte das Bild vom fernen Staat, dem man besser nichts gibt. Und er setzte schon vor seiner politischen Karriere auf allgemeine Volksverdummung, indem er das italienische Privatfernsehen einführte; die Zielvorgabe war klar: Die Leute in seinen Massenwohnungen, gebaut mit Hilfe unbekannter Sponsoren, sollten hübsch berieselt werden und sich bloß nicht mit Kram wie Bildung, Kultur und Politik beschäftigen – das schadet doch nur.

Solch einen Herrscher hat niemand verdient

Auch log Berlusconi, dass sich jeder Balken bog. Trump hatte einen Lehrmeister gefunden, und mit ihm die Erkenntnis: Mit Überzeugung und Macht vorgebracht, haben Lügen längere Beine, als man gemeinhin denkt. Aber sie bleiben Lügen. Und die Zeche dafür müssen andere zahlen.

Italien zahlt dafür, dass die Gesellschaft Berlusconi in die Politik gelassen hat, dass sie ihm Vertrauen schenkte. Er senkte das Niveau jeglichen politischen Diskurses. Die Mafia-Familien werden seinen Tod mit am größten bedauern. Sein stetes Credo einer Ich-AG hat arg am solidarischen Gedanken der italienischen Gesellschaft gesägt.

Es bleibt nur zu hoffen, dass Italien es nun nach seinem Tod schafft, diese Ära aufzuarbeiten. Berlusconi war nicht nur kein Heiliger, kein „Großer“, sondern ein lügnerischer Bandit. Und er beraubte das ganze Land. Sowas ist eine Staatstrauer wirklich nicht wert.

Video: Tausende Menschen vor dem Dom: Trauerfeier für Silvio Berlusconi in Mailand