Kommentar: Unsere Sprache verroht gen rechts

Politiker der Mitte liefern sich einen Wettbewerb: Wer redet fieser? Lieblingsobjekte sind Asylsuchende. Gerade verschiebt sich in Deutschland eine Grenze. Für die einen ist es die Grenze des "Sagbaren". Genauer wäre: des Anstands.

CDU-Parteichef Friedrich Merz im Februar in Berlin (Bild: REUTERS/Lisi Niesner)
CDU-Parteichef Friedrich Merz im Februar in Berlin. (Bild: REUTERS/Lisi Niesner)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Manchmal stehe ich vor einem Rätsel. Die Welt ist ohnehin kompliziert genug. Wie aber kann es sein, dass jemand sagt: Nein, ich bin nicht rechts. Und dann Dinge sagt, die nichts anderes sind als rechts. In letzter Zeit häuft sich dieses Phänomen.

Vielleicht meinen Politiker, einem gewissen Zeitgeist hinterher laufen zu müssen. Genug ist genug, so lautet eine ungewisse Stimmung. Gefühlt sind wir im Dauerkrisenmodus, mit dem Krieg und der Inflation, dem nervigen Klimawandel und überhaupt den digitalen Veränderungen. Schreibt diese Kolumne schon eine KI? (Scherz.)

Und dann auch noch die vielen neuen Menschen. Viele fliehen gerade nach Deutschland, das muss erstmal gestemmt werden. 2015 jedenfalls, als die erste große Fluchtbewegung Deutschland erreichte, war weniger Krise. Heute muss man nur A sagen, und wir landen ohne Umschweife bei K wie Krise.

Friedrich Merz

Besonders beherzigt hat das wohl Friedrich Merz. Der CDU-Parteivorsitzende und Oppositionschef wirkt dauerhaft bemüht, nach rechts zu blinken. Sein neuster Coup: "Der Leistungsbezug für die Asylbewerber hier in Deutschland gehört auf den Prüfstand", forderte er. "Wir müssen uns über die Pull-Faktoren hier in Deutschland unterhalten." Die Bevölkerung würde wahnsinnig, wenn sie sehe, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt würden, aber nicht ausreisen und die "volle Heilfürsorge bekommen", behauptete Merz. "Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine."

Damit gelingt Merz die anzuerkennende Leistung, in drei Sätzen drei Unwahrheiten zu verbreiten.

Erstens: Das Asylbewerberleistungsgesetz hat es klar definiert. "Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist", steht da. Alles weitere dient nur der Behandlung "akuter Erkrankungen und Schmerzzustände".

Zweitens: Wenn die deutschen Bürger keinen Termin kriegen, liegt das nicht an einer Notbehandlung von Asylsuchenden. Merz will nur ausspielen.

Und drittens: Über den so genannten "Pull Faktor" zu sprechen, ist das Weiterspinnen eines Märchens. Will Merz andeuten, dass ein Syrer sein Leben im Schlauchboot übers Meer riskiert, oder monatelang einen Kontinent durchquert, nur um seine Zähne gerichtet zu kriegen? Sind Zähne das new chic, habe ich da etwas nicht mitgekriegt?

Merz will nur Missgunst erregen. Er denkt wohl, damit einen Nerv zu treffen. Denn tatsächlich sind gerade Kommunen teilweise mit der Aufnahme Geflüchteter überfordert, das reicht von Schlafplätzen über Versorgung bis hin zu Unterricht und anderen Themen. Alles eine Herausforderung, durchaus lösbar.

Die Worte von Merz aber reihen sich ein. Früher genierten sich die Leute mehr, wenn sie über andere lästerten. Und bei der Auseinandersetzung mit unseren Vorbehalten und Vorurteilen, die früher gewiss nicht geringer waren, sensibilisieren wir uns einerseits. Aber andererseits gibt es auch ein Pendel, das zurückschlägt. Auf dieses setzen sich Merz & Kollegen drauf. Weitere Beispiele?

Hubert Aiwanger

Da ist Hubert Aiwanger von den Freien Wählern. Der redet unbefangen von seinen Erinnerungslücken und von früheren Fehlern, als sei rechtsextremes Verhalten eine Jugendsünde, jo mei. Oder seine "berühmte" Rede im Juni in Erding, als er rief: "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss."

Hubert Aiwanger bei seiner Rede in Erding. (Bild: Matthias Balk/dpa (Photo by Matthias Balk/picture alliance via Getty Images)
Hubert Aiwanger bei seiner Rede in Erding. (Bild: Matthias Balk/dpa (Photo by Matthias Balk/picture alliance via Getty Images)

War die denn weg? Was meinte Aiwanger? Ich zitiere: "Heizungsideologie", "links-grüner Gender-Gaga" in den Medien, "Wunden des Corona-Irrsinns" und "Berliner Chaoten". Wenn das so weitergeht, mobbst sich Aiwanger die Augenklappe von Olaf Scholz und macht auf Snake in John Carpenters "Die Klapperschlange".

Peter Ramsauer. (Bild: REUTERS/Pascal Lauener)
Peter Ramsauer. (Bild: REUTERS/Pascal Lauener)

Peter Ramsauer

Es hauen auch Politiker einen raus, von denen man es vielleicht nicht gedacht hätte. Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer sagte im Juni dem Magazin "Mittelstand Digital", dass bei der unkontrollierten Einwanderung auch die Gefahr bestehe, dass "Ungeziefer" ins Land komme.

Ich dachte immer, Ungeziefer beziehe sich auf ungewollte Tiere in der Nähe. Falls Ramsauer damit Menschen meinte, hat er entweder im Biologieunterricht nicht aufgepasst oder sollte sein Menschenbild überdenken.

Boris Palmer

Oder Boris Palmer, der Ende April bei einer Debatte auf der Straße in Frankfurt am Main das N-Wort hervorholte und die Kritik deswegen mit der Verfolgung von Juden im Deutschland unter der Nazi-Herrschaft verglich. Man könnte sagen: Palmer kann nicht anders, er muss locken & reizen auf seine Art. Aber Palmer weiß, welche Tasten er drückt. Und gefallen möchte auch er.

Björn Höcke

Wenig überraschend, aber in diesem Kontext ein ganz bewusster Player ist AfD-Rechtsanführer Björn Höcke. Der Thüringer Landesparteichef sagte im Sommerinterview mit dem MDR, dass Inklusion eines von den "Ideologieprojekten" sei, von denen man das Bildungssystem "befreien" müsse. Diese Projekte brächten Schüler nicht weiter und machten sie nicht leistungsfähiger. Sie führten nicht dazu, "dass wir aus unseren Kindern und Jugendlichen die Fach­kräfte der Zukunft machen". Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung also: raus. Weg in Sonderschulen, wo sie nicht stören. Höcke setzte planvoll dieses Zeichen im Interview, um Grenzen zu verschieben. Seit ein paar Jahrzehnten gilt es nicht mehr als okay, Menschen mit Behinderung zu töten, wie es zwischen 1933 und 1945 Regierungspolitik war. Die Gesellschaft machte sich auf den Weg zur Inklusion. Höcke will etwas zurückdrehen. Wie weit, sollte er tunlichst gefragt werden.

Auch ganz in Mode ist das Grünen-Bashing. Die Partei dient derzeit als Zielscheibe, bis hin zum schlechten Wetter. Da ist die CSU und ihr Chef Markus Söder, welche die Grünen zum Hauptgegner ernennen und "Grüner-Ideologie-Irrsinn" anprangern; in einem Wettstreit mit "Hubsi" Aiwanger. Und da ist die Plakatkampagne der arbeitgeberfreundlichen "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", welche die Grünen im Juni als Verbotspartei zu brandmarken versuchte.

Richard David Precht

Die Kirsche auf die Sahnetorte setzte der Philosoph Richard David Precht, der es in einem Podcast schaffte, Frauen und Grüne im Doppelschlag zu schmettern, indem er Annalena Baerbock Unfähigkeit attestierte. Es sei ein Unfall, dass sie Außenministerin geworden sei, meinte er Ende April. Und: "Die hätte doch unter normalen Bedingungen im Auswärtigen Amt nicht mal ein Praktikum gekriegt." Er muss es ja wissen, als Alleserklärer vom Dienst.

Entlang all dieser Klippen, Merz, Aiwanger, Ramsauer, Palmer, Höcke und Precht wickelt sich ein roter Faden ab. Es sagt: Ich finde es nice, andere Leute zu erniedrigen, die ich sowieso als niedriger einstufe. Löst das unsere Probleme mit der Inflation, den Krieg in der Ukraine, soziale Verwerfungen durch KI, die Gefahren des Klimawandels? Glaube kaum. Wäre nicht schlecht, etwas weniger kurzfristig zu denken.

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