Kommentar: Leben wir nun in einer Diktatur?

Erstmal abgebaut: Ein Plakat der Grünen nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 (Bild: REUTERS/Thilo Schmuelgen)
Erstmal abgebaut: Ein Plakat der Grünen nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 (Bild: REUTERS/Thilo Schmuelgen)

Eine neue Studie dokumentiert den Vertrauensverlust in Deutschland in die Demokratie. Immer mehr Leute meinen, unsere Republik gleiche einer Diktatur. Woran machen sie das fest? Mir kommt ein Verdacht: Vielleicht an sich selbst?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Irgendwo muss es sie doch geben, diese geheime Kommandozentrale der Grünen. Eine Art Behörde, die sich all die Gängeleien und Vorschriften ausdenkt, mit denen die umweltbewegten, selbst erklärten Weltverbesserer in den Alltag der Deutschen hineingrätschen. Oder wie es Boulevardzeitungen schreiben: „Gender-Wahnsinn“, „Woke-Wahnsinn“, „Zensur-Wahnsinn“. Wahnsinn.

Gegen diese neue Bevormundung wenden sich immer mehr Deutsche. Dies bilanziert eine neue Studie der Universität Bielefeld, die im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Abständen untersucht, wie man es hierzulande mit den politischen Strukturen hält, mit den Medien – der Demokratie. Und die neuesten Zahlen erzählen von einem Trend.

Jeder Fünfte stimmte demnach in der Studie der Aussage zu: „Unser Land gleicht inzwischen mehr einer Diktatur als einer Demokratie.“ Im Zeitraum 2020/2021 waren es jeweils 16 Prozent. Und das Vertrauen in die Institutionen und in das Funktionieren der Demokratie sank auf unter 60 Prozent. Fast jeder Dritte (30 Prozent) hält die Aussage „Die regierenden Parteien betrügen das Volk“ für zutreffend – das sind beinahe doppelt so viele wie noch 2021, wie „Zeit-Online“ schreibt. Dass Politik und Medien „unter einer Decke“ steckten, glauben inzwischen 32 Prozent (plus acht Prozentpunkte). Und 13 Prozent stimmen der Aussage zu, manche Politikerinnen und Politiker hätten es verdient, wenn „die Wut gegen sie“ in Gewalt umschlage – nach fünf Prozent 2020/2021. Gute 39 Prozent der Befragten fühlen sich „politisch machtlos“, vor zwei Jahren waren es weniger als 27 Prozent.

Erschreckender Trend: Weitere Erkenntnisse der Studie kann man hier nachlesen

Zustimmung zu rechtsextremen Standpunkten nach Geschlecht. (Grafik: dpa)
Zustimmung zu rechtsextremen Standpunkten nach Geschlecht. (Grafik: dpa)

Love is not in the air

Woher kommt diese Machtlosigkeit, diese Wut?

Klar, die Welt wird unübersichtlicher, komplizierter, schneller. Auch die Krisen werden nicht weniger – da war die Corona-Pandemie und da ist der Ukrainekrieg. Die Inflation. Weiterhin globale Fluchtbewegungen von Millionen von Menschen. Komischerweise haben nicht wenige von denen ein gewisses Zutrauen in die uns regierenden deutschen Systeme; etwas, das uns selbst immer mehr abzugehen scheint. Dabei ist die „Krise“, die es gibt, zumindest noch nicht in Zahlen abzulesen: Der Staat nimmt nach wie vor viel Geld ein, was für eine solide Wirtschaft spricht. Und der Staat gab selten so viel Geld an uns Bürger zurück, siehe „Wumms“ und „Doppelwumms“. Und dennoch scheint es einen Knacks zu geben, eine Erschütterung in der Liebesbeziehung zwischen dem Bürger und seinem Staat.

Die Machtlosigkeit rührt also mehr von den globalen Umständen und der menschlich-technischen Entwicklung her, weniger von der Art, wie in Deutschland regiert wird. Woher kommt also diese „Wut“?

Ich frage mich, wo all dies ist, das kritisiert wird:

Wo wird einem über den Mund gefahren, wenn man nicht gendert?

Wo laufen Antirassisten in Scharen herum und wittern bei jedem unschuldigen Pups ein Kardinalverbrechen?

Wo patrouilliert eine Gedankenpolizei und haut dem Michel auf die Finger?

Wessen Discounter-Schnitzel wird weggenommen?

Bei welchen Medien gibt es eine Seilschaft mit der Politik – und wie sieht diese aus?

Diese Art Diktatur erkenne ich in Deutschland nicht. Das mag an mir liegen. Für Hinweise also wäre ich dankbar.

Wer diese autoritären Züge, für die meist die Partei der Grünen als Patin genannt wird, beschreibt, wird nie konkret. Immer bleibt es ungefähr.

Sahra Wagenknecht. (Bild: REUTERS/Christian Mang)
Sahra Wagenknecht. (Bild: REUTERS/Christian Mang)

Ein grüner Blitzableiter

Ich finde, die Grünen werden gerade zu einem Monster aufgeblasen. Die CDU tut so, als wären die Ökos ihre Hauptfeinde; dabei sollte sie besser schauen, was am rechten Rand passiert. Da ist mehr Bewegung. Und dann gibt es noch die Trittbrettfahrer, die eine Bevormundung ausmachen, wie etwa Sahra Wagenknecht. Versucht man dann, ihr Sachliches zu entlocken, weicht die Noch-Linken-Politikerin aus. Dann geht es um gefühlte Eindrücke. Wagenknecht versucht diese aufzusaugen wie heiße Luft zum Auftrieb. Es ist das Geschäft des Populismus, der an sich leider keine Lösung für irgendetwas parat hält. Damit machen sich die Wagenknechts auf einen Weg. Aber die Zukunft, in die er führt, kommt mir seltsam kalt und ungemütlich vor.

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Und mir kommt ein Verdacht. Wer hier im Land totalitäre Züge von links ausmacht, blinkt meistens rechts. Das ist normal, davon lebt die Demokratie. Aber kann es sein, dass das Bevormundende und Vorschreibende, das Einschränkende tatsächlich um sich greift, und zwar durch jene, die es derzeit kritisieren? Es sind nicht die so genannten „woken“ Leute, die Arbeitslosen die dünn gestrichene Butter vom Brot nehmen wollen. Sie sind es auch weniger, die Menschen aus Deutschland stringenter abschieben wollen. Und sie tun sich kaum dabei hervor, Rechte von Arbeitnehmern zu beschneiden. Stattdessen weisen sie auf das Recht von Tieren und vom Boden hin, angemessener behandelt zu werden. Das mag man belächeln. Aber schlimmstenfalls ist es blümchenhaft, nicht totalitär.

Viele wollen in Ruhe gelassen werden. Und das werden sie auch. Diese so genannte Diktatur, kommt sie womöglich aus einer ganz anderen Ecke?

Im Video: Auch diese Studie zur Demokratie gibt zu denken

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