Kommentar: Schickt die Männer ins politische Wickelvolontariat!

Am Ziel seiner beruflichen Träume: Brett Kavanaugh, frisch ernannter Richter am Supreme Court. (Bild: J. Scott Applewhite/AP/dpa)
Am Ziel seiner beruflichen Träume: Brett Kavanaugh, frisch ernannter Richter am Supreme Court. (Bild: J. Scott Applewhite/AP/dpa)

Brett Kavanaugh ist nun daheim bei seinen Buddys – und Angela Merkel allein zuhaus. Zeit für einen Aufstand.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Aus dem vergangenen Wochenende ist Amerika mit einem riesigen Kater aufgewacht. Es war auch schon viel verlangt gewesen, einer Frau mit ihren Vorwürfen zuzuhören. Peinlich dabei zu sein, wie sie von ihrer Seelenpein erzählte, die sie erlebte, als dieser Mann ihr sexuelle Gewalt antat – jener Brett Kavanaugh, wie sie sagte, der sich nie souverän gegen die Vorwürfe verteidigte, gar mit Rache drohte und dann ins Gremium der obersten Richter der USA auf Lebenszeit gewählt wurde.

Man hörte der Frau zu, deren Namen plötzlich über die Kontinente wanderte. Aber ihre Worte änderten nichts. Man ließ sie ausreden, zeigte Verständnis, irgendeines und hinreichend unscharf formuliert, und ging zur Tagesordnung über. Das FBI sollte ermitteln, ein wenig, aber nicht zu viel. Nach diesem Wochenende ist zu fragen, ob Kavanaugh nicht trotz, sondern wegen der Vorwürfe am Ende von den Senatoren durchgedrückt wurde.

Kavanaugh ist ein Mann. Die Vorwürfe zielten auf einen nicht unwichtigen Aspekt der Untermauerung männlicher Vorherrschaft, nämlich auf sexuelle Gewalt. Also rückte die Riege der Senatoren zusammen.

Täter sind die besten Opfer

Kavanaugh ähnelt Donald Trump. Auch der rüpelt besonders heftig zurück, geht man ihn an. Und als in der Spätphase des Präsidentschaftswahlkampfs 2016 ein Video das öffentliche Tageslicht erblickte, in dem Trump sich seiner Vergehen gegen Frauen rühmte, reiner Macht-Talk, da schadete es ihm nicht. Denn einer wie Trump darf sowas. Nicht weil er reich, dumm oder unverschämt wäre – sondern ein Mann. Auch Kavanaugh erntet vorauseilende Nachsicht, denn Trump und er stehen im Schatten der Vorwürfe gegen sie als Opfer da. Immerhin repräsentieren sie männliches Establishment.

Sie glauben, das gäbe es nicht? Das wäre nur akademisches politikalkorrektives Geschwätz? Im Gegenteil, es ist nüchterne Bestandsaufnahme. Trump und Kavanaugh verteidigen die Vorherrschaft des Mannes, im Fall der USA des weißen darüber hinaus. Woanders sieht es ähnlich aus.

Als sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der vergangenen Woche während einer Israelreise mit Wirtschaftsvertretern traf, saß sie mit 30 Männern am Tisch. Es wäre “nett, wenn nächstes Mal eine Frau dabei sein könnte”, meinte sie nur trocken. Wenig später trat sie in Deutschland bei der Jungen Union (JU) auf, der Jugendorganisation der CDU, muss man an dieser Stelle ausführen, so unbekannt ist die JU mittlerweile. Mit Blick auf den gerade gewählten Vorstand der Politjunioren sagte sie: “Eine kleine kritische Anmerkung sei erlaubt. Ihr geschäftsführender Bundesvorstand ist schön männlich. Aber 50 Prozent des Volkes fehlen.” Und empfahl den Kerlen: “Frauen bereichern das Leben, glauben Sie mir. Nicht nur privat, sondern auch politisch.”

Für eine Politikerin in ihrer angeblichen Spätphase waren das erstaunlich gelassene Worte, aber Merkel wird sich in den vergangenen Jahrzehnten daran gewöhnt haben, allein zuhaus zu sein. “Zeit Online” hat sich an eine Auswertung der Spitzenpositionen in Bundesministerien und Bundesbehörden gesetzt, die Ergebnisse verstören: Von 696 verbeamteten Staatssekretären in der Geschichte der Bundesrepublik waren 668 Männer. Es gab mehr Staatssekretäre mit dem Namen Hans als Staatssekretärinnen. Und ein Blick in die 98 Bundesbehörden hinein ergibt, dass die Luft nach oben für Frauen dünn wird. Im Bodenpersonal haben sie aufgeholt, es gibt genügend Kandidatinnen für den Aufstieg – aber dann wirkt das Trump/Kavanaugh-Prinzip, nach dem der Mann oben fördert, was ihm ähnelt, eben auch einen Mann.

Das muss nicht unbedingt böse gemeint sein, nur ein Ausdruck der Gewöhnung. Aber hat es genutzt? Läuft alles dufte?

Es gibt ein wirkungsloses Gleichstellungsgesetz, welches nur auf dem Papier steht. Es gibt in Politik und Verwaltung einen Korpsgeist und einen Konservatismus des “weiter so” sowie die verkorkste Vorstellung, das mit der Arbeit sei Frauen einfach zu viel, es gibt ja auch noch Familie und Kinder und so.

Nicht einmal seine sexistischen Aussagen im Wahlkampf konnten Donald Trump ausbremsen. (Pablo Martinez Monsivais/AP/dpa)
Nicht einmal seine sexistischen Aussagen im Wahlkampf konnten Donald Trump ausbremsen. (Pablo Martinez Monsivais/AP/dpa)

Die Zeit drängt

All diese Bestandsaufnahmen nützen wenig. Die strukturelle Diskriminierung steht wie eine Wand. In der Wirtschaft ist es nicht Hans, der dominiert, sondern Thomas oder Michael – von Männern mit allein diesen Namen gibt es in den börsennotierten deutschen Unternehmen mehr als Frauen.

Ein Blick auf die Leistungen straft alle Lügen, die behaupten, es sei schwer geeignete Frauen für die Luft da oben zu finden. Wer suchet, der findet. Es war immer so, dass Frauen für die gleiche “Belohnung” mehr leisten mussten. Das stählt. Und in den Schulen hat sich längst eine weibliche Dominanz bei den guten Noten etabliert. Nur bleibt die Schule noch weit weg vom Erwerb, wo sich der Mann dann in seine Bastion zurückzieht.

All dies mag sich langsam und leise ändern, aber es dauert arg; und es ist nicht so, dass die Probleme auf diesem Planeten weniger würden. Die Zeit drängt. Um sexuelle Gewalt einzudämmen, bedarf es nicht verständnisvoller Zuhörer, sondern eines Barrikadenkampfes. Um die Führungsetagen mit ihrem Muff von 1000 Jahren zu lüften, braucht es keiner tausend und einer Petition, sondern eines Streiks.

Was es auch nicht braucht, sind erbärmliche Gestalten wie Trump und Kavanaugh, denen nur nachträgliche Rache zu wünschen ist: Dass nun ein Aufschrei mobilisiert und den verständnisvollen Zuhörern unter den Republikanern eine saftige Niederlage bei den Midterm-Wahlen in den USA beschert. Und dass eine kleine FBI-Einheit im Stillen weiterarbeitet und den Vorwürfen gegen Kavanaugh nachgeht.

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