Kommentar: Warum eine Kita nicht mehr nach Anne Frank benannt sein will

In Sachsen-Anhalt will eine Kindertagesstätte einen neuen Namen: "Weltentdecker" statt "Anne Frank". Die Begründung lässt einen nur die Augen rollen. Denn das Schicksal des jüdischen Mädchens ist aktueller denn je.

Ein Plakat auf einer Demo gegen Rechtsextreme in Kassel nimmt Bezug auf Anne Frank
Ein Plakat auf einer Demo gegen Rechtsextreme in Kassel nimmt Bezug auf Anne Frank

Ein Kommentar von Jan Rübel

Warum jetzt diese Aufregung, wird mancher fragen. Wenn sich eine Kita, die "Zeppelin" heißt, in "Fridolin" umbenennt, sei das auch keine Meldung wert. Doch manchmal sind die Dinge politischer, als man denkt. Diese Erfahrung macht nun eine Kita in Tangerhütte, und mit ihr die Stadtverwaltung des Ortes in Sachsen-Anhalt.

Seit den vorigen Siebzigern heißt die Kita nach Anne Frank. Dieser Name ist weltberühmt. Das Schicksal des jüdischen Mädchens, das mit seiner Familie vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste, sich in den Niederlanden versteckte und dann doch gefunden und ermordet wurde, hat zig Generationen berührt. Hinterließ Anne Frank doch ein Tagebuch, bei dessen Lektüre man sich an den Kopf fasst, warum Menschlichkeit durch Politik zunichte gemacht werden soll. Anne Frank schrieb über ihre Teenager-Gefühle, das geht unter die Haut.

Und dennoch meinen Erzieher und Eltern, so die Leiterin der entsprechenden Kita, dass Anne Franks Geschichte für kleine Kinder kaum fassbar sei, man wolle einen "kindgerechteren" Namen, sagte sie der "Volksstimme". Und dann sagt sie noch etwas über "Eltern mit Migrationshintergrund", die mit dem Namen "oft nichts anfangen" könnten. Dann lieber einen Namen "ohne politische Hintergründe".

Was ist nochmal das Problem?

Aus der Distanz heraus ist leicht schreiben, aber dieser Begründung kann ich kaum folgen. Anne Franks Geschichte ist für Vierjährige fassbar, je nach ihren Fähigkeiten. Es gibt Bilderbücher über sie und auch über die Verfolgungen von Menschen im sogenannten Dritten Reich. Man muss es nicht auserzählen, kann das Gedenken an einen Menschen in den Vordergrund stellen. Das ist sehr kindgerecht. Und die ganz Kleinen, für die ist es eh in erster Linie die "Kita". Was es mit dem Namen Anne Franks auf sich hat, lässt sich andeuten, in Umrissen grob skizzieren. Mit dieser Bildung, die mit Indoktrination nun gar nichts zu tun hat, kann man nicht früh genug anfangen; es geht doch um die Bedeutung historischer Fakten.

Und warum in Tangerhütte nun "Eltern mit Migrationshintergrund" angeführt werden, lässt nur die Stirn runzeln. Wenn sie mit Anne Frank nichts anfangen, ist das schade – man kann auch Eltern aufklären, sie mit einbeziehen in die Kitaarbeit. Wenn jetzt ein indisches Elternpaar mit dem Namen "Fridolin" nichts anfangen kann, kriegt die Kitaleitung ja auch keine Schnappatmung. Oder meinen die Erzieher, dass sie arabische Eltern nicht vor den Kopf stoßen wollen? Das wäre hanebüchener Quatsch.

Aktenkundige Offenheit

Nicht besser macht es der parteilose Bürgermeister des Ortes, der die Kitaleitung bei der angestrebten Namensänderung unterstützt, und zwar mit den Worten, die Kita sei "heute offener als früher" und fördere "stärker Selbstbestimmtheit und Vielfältigkeit der Kinder". Aha. Und wegen dieser unheimlich großneuen Öffnung will man dann "Weltentdecker" heißen?

Und Anne Frank klingt nicht offen? Eher rückwärtsgewandt? Anne Frank sehnte sich nach Selbstbestimmtheit. Und sie fiel einer Ideologie zum Opfer, für die Vielfältigkeit ein Gräuel ist; wenn dies alles kein lohnender Ansatz wäre, weiß ich auch nicht weiter. Aber die Offenheit wird dokumentarisch vermerkt. "Der Einrichtung ist es wichtig, diese konzeptionelle Veränderung auch nach außen sichtbar zu machen", sagt der Bürgermeister.

Die Kita sollte noch einmal in sich gehen. Auch auf den Namen Anne Franks zu verzichten, hat einen politischen Kontext – ob die Leitung das will oder nicht, und unabhängig davon, was man politisch denkt. Sich verstecken, das ist ein eingeschliffenes Trauma, das Juden machen mussten. Es wurde durch die Massakerangriffe der Hamas stärker hervorgeholt, als sich Kinder wieder verstecken mussten, um von den Terroristen nicht ermordet zu werden.

Mit dem Namen Anne Franks lässt sich so viel erzählen. Man muss es nur wollen.

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