Kommentar: Wie die Politik ein wenig Männlichkeit verliert

Annegret Kramp-Karrenbauer wirft nach der Wahl zur CDU-Chefin den Delegierten einen Kuss zu (Bild: dpa)
Annegret Kramp-Karrenbauer wirft nach der Wahl zur CDU-Chefin den Delegierten einen Kuss zu (Bild: dpa)

Die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Vorsitzenden bedeutet eine Zäsur. Die Zeit der alten Männer und vor allem männlicher Politik kommt aus der Mode. Es wurde auch Zeit.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Von Angela Merkel, so ging vor allem in der Sommerzeit die Sage, habe man allemal die Nase voll. Die Kanzlerin habe abgewirtschaftet, frischer Wind müsse her. Nun ist er da, aber gedreht hat er sich nicht. Ganz freiwillig haben sich die Delegierten des CDU-Parteitags dafür entschieden, dass der Wind weder lauter braust noch testosterongesteuerter wird. Wie konnte das passieren?

Deutschland verändert sich. Damit ist ausnahmsweise nicht die Digitalisierung gemeint, auch nicht die Aufnahme von Geflüchteten aus anderen Ländern, sondern die Entgiftung der Politik von gewissen Hormonen. Denn die neue CDU-Vorsitzende steht wie ihre Vorgängerin für einen Politikstil, der mehr auf innere denn auf äußere Stärke setzt. Annegret Kramp-Karrenbauer beißt nicht ins erstnächste Mikro. Das heißt nicht, sie wäre nie bemüht, populistische Reflexe zu bedienen, nur tut sie es anders. Dies als Schwäche auszulegen ist der größte Fehler der alten Männergarde, die sich in diesen Tagen besonders lächerlich macht.

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Worte wie abgestandenes Bier

Zu begutachten war ein Alphamännchen namens Wolfgang Kubicki, das im eher kleinen Bundesland Schleswig-Holstein eine große Nummer war, und bis heute ein wichtiger Politiker in jener FDP, von der man nicht weiß, ob sie nun klein oder miniklein ist. Jedenfalls saß Kubicki zusammen mit Kramp-Karrenbauer in der Talkshow “Anne Will” am Sonntagabend und wanzte sich gönnerhaft heran.

Zuerst meinte er, die CDU habe sich mit der Wahl Kramp-Karrenbauers für den “kuscheligen Weg” entschieden. Warum? Weil sie eine Frau ist? Weil Frauen kuschelig sind? An dieser Stelle sei an ein Interview mit der “Zeit” aus dem Jahr 2010 erinnert, in dem Kubicki interessante Seelenschau betrieb:

“Ich würde in Berlin zum Trinker werden, vielleicht auch zum Hurenbock. Ich bin inzwischen zum dritten Mal verheiratet, und ich will auf keinen Fall auch diese Ehe ruinieren. Das politische Leben in Berlin sieht doch so aus: Sie sind den ganzen Tag unter Druck, abends wartet Ihr Apartment auf Sie, sonst niemand. Es gibt einen enormen Frauenüberschuss, denn wenn Sie den gesamten Politikbetrieb nehmen, kommen Sie auf schätzungsweise 100.000 Leute, in Parlament, Regierung, Verwaltung, Botschaften, Verbänden und Medien, davon 60 Prozent Frauen. Ich weiß doch, wie es läuft: Da sind dann diese Abende, an denen Sie nur abschalten wollen, Stressabbau. Da sitzt Ihnen plötzlich eine Frau gegenüber, die Ihnen einfach nur zuhört. Und dann geht die Geschichte irgendwann im Bett weiter.”

So viel also zu den kuscheligen Frauen, die dem Mann zuhören, während er noch auf der Bettkante Zeitläufte mit erhobenem Zeigefinger in der Luft zerteilt.

Ich kann mir nicht helfen. Kubicki wirkt doch ein wenig old school. Doch dabei blieb es am Sonntagabend nicht. Der Herr aus dem hohen Norden sagte Kramp-Karrenbauer ins Gesicht, dass er ihr eine so rhetorisch gute Rede wie vor ihrer Wahl nicht zugetraut habe. Klar, Frauen sind ja auch mehr fürs Zuhören gemacht. Ging Kubicki etwa davon aus, solche Äußerungen seien nicht als herablassend anzusehen?

Immerhin hat die neue CDU-Vorsitzende beim Hamburger Parteitag nicht zum ersten Mal an einem Rednerpult gestanden, Gerüchten zufolge als Vorstandsmitglied der saarländischen Jungen Union, der Frauen-Union, als CDU-Präsidiumsmitglied, als Mitglied eines Stadtrats, eines Landtags (19 Jahre), als Ministerin für Inneres, Familie, Frauen und Sport, dann als Ministerin für Bildung, Familie, Frauen und Kultur und schließlich als Ministerin für Arbeit, Familie, Soziales, Prävention und Sport gewirkt und nicht wenig geredet, bis sie sieben Jahre lang als Ministerpräsidentin regierte; eine Aufgabe, die sie nur aufgab, um Generalsekretärin der CDU zu werden. Die eine oder andere Rede soll sie dort auch gehalten haben.

Neben Kubicki saß übrigens ein Journalist: Gabor Steingart hatte im Vorfeld süffisant die Koordinaten nach seinem Gusto geordnet und festgestellt, das Ministerpräsidentenamt im Saarland sei ein besseres Bürgermeisteramt. Nun ist nicht überliefert, was Steingart über Kubickis Schleswig-Holstein denkt, aber da regiert auch keine Frau.

Klar handelte es sich bei den Äußerungen der beiden Herren um ein Rückzugsgefecht, symptomatisch für das, was gerade in der Politik geschieht: Männer, die das Konservative als männlichen Markenkern wahrnehmen und sich als unterdrückte Mehrheit in der CDU unter der Knute Angela Merkels sahen und schließlich mit Friedrich Merz ihre Chance zum Comeback wähnten, müssen anerkennen, dass es mit der Mehrheit doch nicht so richtig stimmt.

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Das Netzwerk schlägt zurück

Zur männlichen Dominanz in der Politik wie anderswo auch gehört nicht bloße Kompetenz, sondern Macht. Gemeinhin kommt sie gewaltvoll daher, und daher sendet Kubicki die Botschaft, dass Kramp-Karrenbauer eigentlich eine schlechte Rednerin sei und nur wegen eines einzigen gelungenen Auftritts jetzt plötzlich, huch, Parteivorsitzende geworden ist, nach dem Motto: Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn. Und Steingart redet das Erreichte klein.

Zur männlichen Dominanz gehört ferner, Frauen an sich Nachteile zu attestieren. Kramp-Karrenbauer gewann die Wahl knapp? Nun ist die Partei angeblich gespalten. Hätte Merz mit dem gleichen Stimmenvorsprung gewonnen, wäre dies als Meilenstein interpretiert worden, als Donnerschlag und, je nach politischer Orientierung, als großer Aufbruch oder großer Rückschritt.

Und die Entscheidung, den JU-Vorsitzenden und irgendwie konservativen Paul Ziemiak zum Generalsekretär wählen lassen zu wollen: Dies hat nun angeblich ein Geschmäckle, weil Ziemiak ursprünglich den Rivalen um den Parteivorsitz Jens Spahn und Friedrich Merz nahestand und nun als Frontenwechsler gilt. Hätte Merz gewonnen und eine Frau aus dem liberalen Flügel zur Generalsekretärin vorgeschlagen, stünde er da als Vereiner und Versöhner. Kramp-Karrenbauer macht das gleiche in grün, und die Männlichkeit sieht darin Verrat.

Vielleicht haben die Herren auch recht. Ziemiak verlässt ein sinkendes Schiff. Deutschland kann nichts Besseres passieren.