Lanz und Precht resignieren mit Blick auf den Nahen Osten: "Wir sind nicht mehr stark genug"
So viel Ratlosigkeit war selten im ZDF-Podcast "Lanz & Precht". Den aktuellen Schlagabtausch zwischen Iran und Israel interpretieren beide vor dem Hintergrund einer schleichenden geopolitischen Entmachtung des "Westens". Markus Lanz fürchtet, der dritte Weltkrieg habe schon begonnen.
Die drohende Eskalation des Konflikts im Nahen Osten umtreibt Markus Lanz und Richard David Precht in der aktuellen Ausgabe ihres gemeinsamen ZDF-Podcasts. "Wir erleben da doch gerade einen echten Zeitenbruch", sorgt sich Talker Lanz eingangs der neuen "Lanz & Precht"-Folge. Er fürchtet den "Beginn des dritten Weltkrieges" zu sehen, mithin eines Krieges neuer Art: "alte Welt gegen neue Welt, altes Denken gegen neues Denken, alter Krieg gegen neuer Krieg".
Auch Precht interpretiert den militärischen Schlagabtausch zwischen Israel und Iran als einen "Schauplatz der großen plattentektonischen Verschiebungen". Das unterscheide die aktuellen Ereignisse von früheren Nahost-Konflikten. Der jetzige finde statt "zum Zeitpunkt eines Übergangs der Hegemonie der USA in eine multipolare Weltordnung".
"Sehen wir da auch den Abgang der Weltmacht USA?", schlussfolgert Lanz als Frage getarnt, was Precht in der Tendenz bestätigt. "Neben dem ganzen Verbrecherischen", das der iranische Raketen- und Drohnenangriff auf Israel beinhalte, sei er "auch der Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins". Daneben höre auch Israel erkennbar nicht mehr auf die USA.
Richard David Precht: "Dann haben wir den dritten Weltkrieg"
Wie soll der viel zitierte "Westen" nun aber umgehen mit den Aggressionen Irans? Precht hat über die Medien eine lautstarke "Fraktion" vernommen, die "mehr Härte" fordere. Das sei aber nicht leicht umzusetzen. "Wir können ja keinen Krieg mit dem Iran anfangen. Dann haben wir den dritten Weltkrieg", warnt der TV-Philosoph. Auch gebe es im Iran eine Bevölkerung, die zu weiten Teilen den Terror und das radikale Mullah-Regime ablehne und weder Israel noch die USA als Feindbild anerkenne. "Wir würden aber gegen dieses Volk den Krieg führen."
Einen Lösungsansatz liefern die Podcaster nicht. Dafür sehr viel Ernüchterung. "Wir sind die Illusion los, dass wir militärisch irgendetwas Konkretes gegen den Iran unternehmen können, was dauerhaft das Problem löst", konstatiert Precht. Auch könne man "wirtschaftlich nicht ernsthaft etwas unternehmen". Mit Sanktionen schade man immer auch der eigenen Wirtschaft, "und die Chinesen profitieren davon".
Precht bringt es auf den Punkt: "Wir sind nicht mehr stark genug." Für Europa gelte das allzumal. "Diese Träume, die ich höre, Europa müsste militärisch geschlossen auftreten: als was denn und wie denn und wo denn? Man findet doch überhaupt keine Position, die man unter den sich wandelnden Konstellationen noch einnehmen kann."
Lanz: China "degradiert das Hochindustrieland Deutschland zum Schwellenland"
Das strategische Dilemma untermalt Markus Lanz mit Zahlen, die um den abgewehrten Angriff auf Israel kursieren. 1,3 bis 1,5 Milliarden Dollar (andere Schätzungen liegen nur leicht darunter, d.Red.) soll die internationale Abwehraktion gekostet haben, um "unter anderem iranische Billigdrohnen abzufangen". "Unvorstellbar, wie teuer heutige Kriege sind", kommentiert Richard David Precht diese Dimension. Zum Haareraufen sei, dass dieses Geld "nicht für andere Dinge genutzt" werden könne, vom "Umweltaspekt" (Lanz) ganz abgesehen.
Auch die jüngste China-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz diskutieren Lanz und Precht vor dem Hintergrund einer geopolitischen Neuordnung der Welt. Lanz hat sich sagen lassen, dass deutsche Apfel- und Rindfleischexporte gegen chinesische Hightech-Importe verhandelt worden seien. Lanz macht das fassungslos. China "degradiert das Hochindustrieland Deutschland zum Schwellenland und sagt: 'Ihr dürft ein paar Agrarprodukte schicken. Aber Hightech machen wir.'"
"Der große Profiteur wird China sein"
"Ganz so drastisch" will Precht es nicht zuspitzen, aber "aus chinesischer Sicht sind wir ein verwelkendes Land, vielleicht sogar ein verwelkender Kontinent", glaubt der Bestsellerautor. Man sei sich in Europa "unheimlich uneinig, wir kriegen keine gemeinsame Verteidigungspolitik hin, keine gemeinsame Außenpolitik. Wir haben große Probleme mit unserem Nationalismus und Rechtspopulismus." Daneben gebe es "ganz, ganz viele andere Probleme" wie Migration und Bürokratie. Die Folgen seien auf wirtschaftlicher und politischer Ebene erkennbar.
Was die neue Machtordnung auf der Welt angeht, sieht Richard David Precht eine deutliche Tendenz: "Wenn man sich den Nahost-Konflikt und den Ukraine-Krieg anguckt, ist es nicht ganz falsch zu sagen, dass am Ende der große Profiteur beider Entwicklungen China sein wird."