"Ich lasse mich nicht mundtot machen": Attackierter SPD-Politiker Ecke beklagt "organisierte Verrohung"

Der in Dresden attackierte SPD-Politiker Matthias Ecke hatte bei "Hart aber fair" seinen ersten öffentlichen Auftritt nach dem Angriff auf ihn. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)
Der in Dresden attackierte SPD-Politiker Matthias Ecke hatte bei "Hart aber fair" seinen ersten öffentlichen Auftritt nach dem Angriff auf ihn. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

2024 feiert die Bundesrepublik das 75-jährige Jubiläum des Grundgesetzes: Doch Demokratie und Menschenwürde sind gefährdet wie nie zuvor. Auch das "Hart aber fair"-Studio wurde am Montag zum Schauplatz für beleidigende Sprüche und wüste Beschimpfungen.

Matthias Ecke wirkte überraschend gefasst. Nur ein Pflaster und blau-grüne Schrammen im Gesicht erinnern daran, dass der SPD-Europaabgeordnete vergangene Woche beim Plakatieren in Dresden von vier Personen angegriffen und mit einem gebrochenen Jochbein ins Krankenhaus eingeliefert wurde. "Es war knapp. Es hätte das Auge treffen können", berichtete er im Gespräch mit "Hart aber Fair"-Moderator Louis Klamroth - seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Überfall. Tiefer wären die seelischen Narben, gab er zu und sprach von einem "Angriff auf die Demokratie": Die Verrohung des politischen Klimas in Deutschland und Sachsen wäre "kein Zufall, sondern eine organisierte Verrohung, die von AfD und anderen Rechten vorangetrieben" werde.

Es wären Figuren wie Björn Höcke, Jörg Urban und Maximilian Krah, "die dazu beitragen, dass der politische Gegner als Feind markiert wird. Da fühlen sich viele ermuntert, das in die eigene Hand zu nehmen." Doch auch zwischen den demokratischen Parteien wäre der Wind rauer geworden. Um das Diskussionsklima wieder sicherer zu machen, wäre es, so Ecke "wichtig, dass die demokratischen Parteien nicht den Themen und der Sprache der extremen Rechten nachlaufen", Der SPD-Politiker rief diesbezüglich zur Einigkeit auf: "Das wäre ein wichtiger Grundkonsens, damit ich das am schwersten verletzte Opfer dieses Wahljahres bleibe." Eines dürfte man auf keinen Fall: Aufgeben und die öffentlichen Räume preisgeben. "Ich lasse mich nicht mundtot machen", fügte er fast schon (wahl)kampflustig hinzu.

AfD-Politiker wie Beatrix von Storch (rechts) seien zwar "demokratisch gewählt, deshalb aber nicht Demokraten", erklärte Katrin Göring-Eckardt bei "Hart aber fair". (Bild: WDR / Oliver Ziebe)
AfD-Politiker wie Beatrix von Storch (rechts) seien zwar "demokratisch gewählt, deshalb aber nicht Demokraten", erklärte Katrin Göring-Eckardt bei "Hart aber fair". (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Von Storch weist Kritik von sich

Körperverletzung, Brandstiftungen, Bedrohungen, Beleidigungen und Nötigungen - allein im letzten Jahr wurden 2.790 Anschläge auf Politikerinnen und Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien verübt, so lauten die vorläufigen Zahlen. Das waren fast doppelt so viele wie 2019. Auch Klamroths Gäste - Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsvizepräsidentin), Dorothee Bär (CSU, stellvertretende Parteivorsitzende) und Beatrix von Storch (AfD, stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag) - hatten "brenzlige Situationen" am eigenen Leib erfahren.

Dass die AfD Nährboden für Gewalt böte, wie Herr Ecke suggerierte, wies von Storch klar von sich: "Gewalt kommt zu großen Teilen von links. Achtmal mehr von links bei Personenschäden. Sechsmal bei Sachschäden." Tatsächlich lag die AfD bei Gewaltdelikten mit 86 Attacken vor den Grünen, auf die insgesamt die meisten Angriffe verübt wurden. "Wir verurteilen links- wie rechtsextreme Gewalt und unterscheiden nicht zwischen Demokraten und Nicht-Demokraten, wie Sie das tun", richtete von Storch das Wort an Göring-Eckardt und fragte, ob AfD-Politiker Demokraten seien.

Trotz zunehmender Gewalttaten gegen Politikerinnen und Politiker gab sich "Zeit"-Journalist Martin Machowecz optimistisch: "Wir haben eine starke Demokratie - auch in Ostdeutschland."  (Bild: WDR / Oliver Ziebe)
Trotz zunehmender Gewalttaten gegen Politikerinnen und Politiker gab sich "Zeit"-Journalist Martin Machowecz optimistisch: "Wir haben eine starke Demokratie - auch in Ostdeutschland." (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Kriminalbeamter Fiedler: AfD fördert Klima des "Mitmachextremismus"

"AfD-Politiker sind demokratisch gewählt, deswegen aber nicht Demokraten", kam die deutliche Antwort von der Bundestagsvizepräsidentin. Sie versuchten, "mit allem was in ihrem Programm und Haltung unser demokratisches System auszuhöhlen oder zu unterminieren." Ständig erlebte sie im Parlament, wie die AfD Menschen für Kleidung, Lebensstil, Herkunft beurteilte. Dass sich der Ton "massiv verschärft" hatte, untermauerte auch Dorothee Bär (CSU, stellvertretende Parteivorsitzende) und sprach von ausländer- und frauenfeindlichen Zwischenrufen ihrer - unfreiwilligen - Sitznachbarin von Storch. "Das höhlt unser Grundgesetz aus, weil Menschenwürde für alle gilt", zeigte sich Göring-Eckardt entsprechend besorgt, "das können wir als Demokraten nicht akzeptieren." Genau das hätte auch das Oberverwaltungsgericht in Münster bestätigt: Dieses hatte die Einstufung der AfD als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz für rechtens erklärt.

"Das Urteil ist nicht rechtskräftig", relativierte Beatrix von Storch diese Entscheidung und kündigte eine Nichtzulassungsbeschwerde an. Ohnehin wäre nur der "Verdacht artikuliert, aber nichts erwiesen", betonte sie, "Institutionen sollen aufhören von einer rechtsextremistischer Partei zu reden, weil es das nicht ist." Im Gegenteil: "Wir sind diejenigen, die die freiheitlich demokratische Grundordnung erhalten wollen." Außerdem übte sie "harte Kritik" daran, dass der Verfassungsschutz als Teil des Innenministeriums Einschätzungen vornähme. "Das sind Politiker der anderen Parteien, die mit uns in einem Konkurrenzverhältnis stehen", kritisierte sie.

"Erzählen Sie hier keinen Unsinn", konnte das Sebastian Fiedler (SPD, Kriminalbeamter und Bundestagsabgeordneter) nicht auf sich sitzen lassen. Die Beamten hätten "einen Eid auf die Verfassung geschworen - wie ich auch in der Vergangenheit - und arbeiten nach Recht und Gesetz, das durch unabhängige Gerichte überprüft wird." Es wären unter anderem Falsch- und Unwahrheiten in sozialen Medien und diskreditierende Aussagen wie die von Frau von Storch, die zu einem Klima führten, "mit dem sich alle möglichen Leute zum Mitmachextremismus oder bei Gewalttaten getragen fühlen". Eben dieses "verursacht zu großen Stücken die AfD. Da gibt es keinen Zweifel."

Am Montagabend diskutierte Louis Klamroth (Mitte) mit SPD-Politiker Sebastian Fiedler (links), Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt (zweite von links), AfD-Politikerin Beatrix von Storch, Jurist Ulf Buermeyer (dritter von rechts), CSU-Politikerin Dorothee Bär (zweite von rechts) und Journalist Martin Machowecz. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)
Am Montagabend diskutierte Louis Klamroth (Mitte) mit SPD-Politiker Sebastian Fiedler (links), Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt (zweite von links), AfD-Politikerin Beatrix von Storch, Jurist Ulf Buermeyer (dritter von rechts), CSU-Politikerin Dorothee Bär (zweite von rechts) und Journalist Martin Machowecz. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

"Zeit"-Journalist fordert Problemlösung statt Polarisierung

"Die Polarisierung hat den Grund, weil der gesellschaftliche Konsens aufgehoben ist: Wir sind kein Einwanderungsland, wir brauchen Energie aus Kohle und Kernkraft und es gibt zwei Geschlechter und nicht 96", verortete von Storch hingegen die Schuld anderswo. Auch die Verrohung des Diskurses läge nicht an der AfD: "Wir werden die ganze Zeit beleidigt", sprach sie davon, tagtäglich im Deutschen Bundestag als Nazis beschimpft zu werden. "Frau von Storch, haben Sie mich Nazi genannt oder nicht?', fiel ihr Fiedler ins Wort. "Mich übrigens auch. 2018", fügte Göring-Eckardt hinzu. "Weil es so schön passt" brachte Louis Klamroth einen von vielen Einspielern des Tages, der genau diese Momente vor Augen hielt. "Wollen Sie sich bei beiden für die Nazisprüche entschuldigen?", fragte er dann die AfD-Politikerin. Die Chance blieb mehrfach ungenutzt.

Es werde "viel Zeit verbracht, sich die Schuld für die Diskurslage zuzuschieben", kritisierte Martin Machowecz (stellvertretender Chefredakteur der "Zeit"): "Polarisierung bekämpft man nicht mit Polarisierung, sondern mit Problemlösung, mit ruhiger Debatte." Als Beobachter wünsche er sich genau das von den demokratischen Parteien.

Jurist: "Mit breitem Diskurs kann man wieder für Demokratie begeistern"

Einen Wunsch, oder vielmehr eine Empfehlung äußerte auch Ulf Buermeyer (Jurist und Podcaster "Lage der Nation"): Er wäre für das Schreiben eines Verbotsantrag der AfD. Wichtiger als das Verbot selbst wäre dabei der "demokratische Diskurs". Man müsste sich darauf besinnen, "wie wir miteinander streiten und welche Positionen wir nicht mehr hören wollen, nämlich menschenfeindliche Diskurse. Mit breitem Diskurs kann man wieder für Demokratie begeistern", war er überzeugt. Auch Fiedler glaubte an den positiven Effekt eines solchen Verfahrens.

"Zugespitzt: Wir retten die Demokratie, indem wir die Opposition verbieten", konnte von Storch mit diesem "hanebüchenen" Vorschlag hingegen nichts anfangen und verwies auf die Vorbildwirkung auf andere Länder. "Vom Verbot der CDU ist keine Rede. Es geht um die undemokratische", goss Buermeyer Öl ins Feuer. Von Storch erklärte, sie fände es unverschämt, "sich darüber zu erheben, zu entscheiden, wer Demokrat ist in diesem Land." Man sollte sich - "sehr, sehr gerne" - mit den Inhalten der AfD auseinandersetzen und die Brandmauern abbauen.

Die politische Auseinandersetzung mit der AfD sah auch Göring-Eckardt an erster Stelle. Einen Verbotsantrag könne sie sich vorstellen, dieser dürfe allerdings nicht nur von einer Partei oder einer Fraktion gestellt werden. Dafür bräuchte es "gemeinsam handelnde Demokraten".