Das tragische Ende eines missbrauchten Helden
Hierzulande ist seine tragische Geschichte eher unbekannt - in den USA dagegen hat der Name Pat Tillman auch 20 Jahre nach seinem Tod nichts von seiner beklemmenden Wirkung verloren.
Speziell in den USA löst der Gedanke an den außergewöhnlichen Ex-NFL-Star noch immer starke Gefühle aus. In der Zeit nach dem verheerenden Terroranschlag vom 11. September 2001 war Tillman eine Quelle der Inspiration für viele Menschen.
Als einer der Star-Spieler seiner Arizona Cardinals lehnte der damals 25-Jährige im Frühjahr 2002 einen Vertrag über 3,6 Millionen Dollar ab, um sich gemeinsam mit seinem Bruder freiwillig zur Armee zu melden und den Terror im Mittleren Osten zu bekämpfen.
Am 22. April 2004 kostete der Einsatz Tillman das Leben - und was danach geschah, warf ein trübes Licht auf die US-Armee und die damalige Regierung um Präsident George W. Bush.
Pat Tillman war ein ungewöhnlicher NFL-Star
Tillman war schon als junger Mann eine außergewöhnliche Figur. Er war nicht besonders groß, schnell oder kräftig, trotzdem erarbeitete er sich eine erstaunliche Football-Karriere.
Ohne Stipendium kämpfte er sich ins College-Team der Arizona State Sun Devils, wurde Defensivspieler des Jahres in der renommierten Pac-10-Conference, wurde in der siebten Runde des NFL-Drafts 1998 gewählt und stellte 2000 mit 224 Tackles einen Teamrekord auf.
Wegen seiner harten Hits, der langen Mähne und seiner beherzten Art wurde er in Rekordzeit Publikumsliebling, Tillman schaute aber immer auch über den Tellerrand hinaus. Der bekennende Atheist las Bibel und Koran ebenso wie Literaturklassiker.
Nach dem 11. September als Soldat in den Irak
Die Anschläge des 11. September brachten aber auch seine Welt ins Wanken: Er entschloss sich zusammen mit seinem Bruder Kevin, der als Baseballer im Farmsystem der Cleveland Indians spielte, zur Armee zu gehen. Nach ihrer Grundausbildung wurden sie in den Irak geschickt,
"Mein Urgroßvater war in Pearl Harbour, viele meiner Familienmitglieder sind in den Krieg gezogen. Ich habe nur den Ball auf die Linie gelegt", sagte Tillman damals.
Tillman trat mit seinem Schritt auch in die Fußstapfen diverser US-Sportgrößen, die im Zweiten Weltkrieg gedient hatten - unter ihnen die Boxlegenden Joe Louis und Jack Dempsey oder die Baseball-Stars Joe DiMaggio, Ted Williams und Hank Greenberg.
Tillman allerdings tat, was er tat, zu einem Zeitpunkt, an dem es noch weit weniger selbstverständlich war, ein süßes Leben als privilegierter Sportmillionär gegen Todesgefahr an der Front einzutauschen. Und zu einem Zeitpunkt, an dem auch die moralische Gewissheit, am richtigen Ort auf die richtige Weise für die richtige Sache zu kämpfen, weit weniger groß war.
Nicht bei allen Amerikanern, bei Tillman aber in jedem Fall.
Zerrissen zwischen Patriotismus und kritischem Geist
Die umstrittene Operation „Iraqi Freedom“ gegen das Regime des Diktators Saddam Hussein führte Pat Tillman schnell in eine innere Zerrissenheit zwischen patriotischem Pflichtgefühl und der Bewahrung seines kritischen Geists.
„Wir werden die Gründe, warum wir hier sind, nicht in Frage stellen“, notierte er in einem Tagebuch, das der Journalist Jon Krakauer in seinem Buch „Fall Tillman“ in Auszügen veröffentlichte: „Ich hoffe, es geht in diesem Krieg um mehr als Öl, Geld und Macht. Allerdings bezweifle ich dies.“ Laut Washington Post hatte Tillman die Irak-Invasion auch „fucking illegal“ genannt.
Kurz nach seiner Rückkehr aus dem Irak wurde Tillman im November 2003 nach Afghanistan geschickt - wo die US-Armee ab 2001 aktiv wurde, um die Taliban-Regierung zu stürzen, die dem Terror-Netzwerk Al-Qaeda mit seinem Patron Osama bin Laden Zuflucht geboten hatte.
Pat Tillman starb dort nur wenige Monate später - unter Umständen, die sich als Skandal entpuppten.
US-Regierung verschleiert Todesumstände in Afghanistan
Die US-Regierung machte Tillman schnell zum medienwirksamen Märtyrer im Kampf gegen die Taliban.
Schon zu Lebzeiten war Tillman eine Schlüsselfigur, die der Armee durch ihre Football-Prominenz viele Freiwillige einbrachte (wie einst auch Louis, DiMaggio und Co.). Obwohl Tillman sich nicht offensiv als Werbeträger einspannen ließ oder Interviews gab, hatte seine Geschichte eine enorme Strahlkraft für das Militär.
Tillman starb durch drei Kopfschüsse - von eigenen Kameraden, wie armeeintern schnell klar wurde. Eine andere Einsatzgruppe, die von Schussgeräuschen verwirrt war, hatte das Feuer auf Tillmans Einheit eröffnet. Sein Bruder, nur wenige hundert Meter entfernt, wurde noch vor Ort belogen, Tillmans Uniform sofort verbrannt. Ein klarer Verstoß gegen geltende Richtlinien bei Verdacht auf „friendly fire“.
Die US-Regierung machte den posthum mit dem „Purple Heart“ und anderen Tapferkeitsehrungen ausgezeichneten Tillman zum medienwirksamen Märtyrer im Kampf gegen die Taliban. Wider besseres Wissen wurde behauptet, Tillman sei von afghanischen Milizen getötet worden.
Es war die Fortsetzung eines Propagandakampfs, der schon mit dem lebendigen Tillman geführt worden war.
Erst 2007 kommt die Wahrheit ans Licht
Die Vertuschung - so ermittelte später eine Untersuchung - zog sich bis hinauf in die höchsten Stellen und ins Weiße Haus. Die Gründe liegen auf der Hand: Die realen Umstände von Tillmans Tod waren inmitten eines hochumstrittenen Krieges ein Image-Desaster, das sich die politischen Entscheider ersparen wollten.
Erst 2007 kam die ganze Wahrheit im Fall Tillman ans Licht und der Chef des US-Heeresamtes entschuldigte sich: „Wir als Armee haben unsere Pflicht gegenüber der Tillman-Familie nicht erfüllt - ihnen die ganze Wahrheit zu sagen.“
Die Wunden der Familie wurden durch Lügen und andere Dreistigkeiten vergrößert. Unter anderem musste sie sich von einem früheren Vorgesetzten Tillmans noch öffentliche Kommentare anhören, dass sie als Atheisten ja leider besonders empfindlich auf die Tragödie reagieren würden statt sich wie gute Christen damit zu trösten, dass Tillman ein besseres Leben im Jenseits habe (“Diese Leute können schwer loslassen [...] Wenn man ein Atheist ist und an nichts glaubt, was bleibt dann nach dem Tod? Nichts. Man ist Wurmfutter. [...] Ich kann nur ahnen, dass diese Vorstellung ziemlich hart sein muss“).
Der damals für die Vertuschung verantwortliche General Stanley McChrystal wurde später Befehlshaber aller US- und NATO-Truppen in Afghanistan - ehe ihn Präsident Barack Obama wegen eines anderen Skandals 2010 feuerte. Kurz nach dem US-Abzug 2020/21 eroberten in Afghanistan die Taliban wieder die Macht.
Auch Donald Trump instrumentalisierte Tillman
In der NFL wird das Andenken an Tillman bis heute hochgehalten: Die Cardinals vergaben Pats Trikotnummer 40 nie mehr und widmeten ihm eine Statue vor ihrem Stadion, auch die Pac-10-Trophäe für den besten College-Defensivspieler trägt inzwischen seinen Namen.
Kevin Tillman überlebte seine Kampfeinsätze und wurde ein scharfer Kritiker des Irak-Kriegs, der Bush-Regierung und der generellen Außenpolitik der USA.
Gegen Vereinnahmungen Pat Tillmans muss sich seine Familie auch lange nach der Tragödie wehren: Im Jahr 2017 erboste der damalige US-Präsident Donald Trump die Familie, indem er Tillman im damaligen Hymnen-Streit mit Colin Kapernick und anderen NFL-Spielern instrumentalisierte - er teilte bei Twitter ein Bild Tillmans mit der Aufforderung #StandForOurAnthem und #BoycotNFL.
Pats Witwe Marie Tillman antwortete: „Pat Dienst an unserem Land - die Dienste aller an unserem Land - sollten niemals auf eine Weise politisiert werden, die uns spaltet.“