Polen gegen Frankreich bei der EM - An zwei Lewandowski-Momenten sehen wir, dass seine große Zeit abgelaufen ist

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Polen-Stürmer Robert LewandowskiImago

Beim 1:1 zwischen Polen und Frankreich versöhnt sich Robert Lewandowski mit einer verkorksten Fußball-EM. Allerdings braucht er dafür zwei Elfmeter-Versuche, die neue Debatten auslösen. Es wird deutlich, dass Lewandowskis Zeit als Sturm-Spitze abgelaufen ist.

„Two questions in German, would that be possible?“ Die Uefa-Abgesandte antwortet gleich auf Deutsch und nach dem Motto: Könnt ihr gerne versuchen, wird halt schwierig.

Die Bitte um diese „two questions“ für den elitären Fußballer Robert Lewandowski verraucht in der enervierenden Drängel-Menge. Stattdessen gibt es mehr als two questions in Polish und, das ist nett, noch ein paar questions in English. Wir halten mal die Smartphone-Hände rein.

Robert Lewandowski nach dem Polen-Spiel in Dortmund<span class="copyright">FOCUS online/Mittermeier</span>
Robert Lewandowski nach dem Polen-Spiel in DortmundFOCUS online/Mittermeier

Lewandowski ist 35 Jahre alt, im August wird er 36, aber natürlich sieht er immer noch blendend durchtrainiert aus. Das Problem ist vielleicht, dass sogar dieser Adonis unter den Fußballern die Biologie nicht stoppen kann. Bei Borussia Dortmund und dem FC Bayern war Lewandowski doch nie verletzt, also wirklich NIE.

Kurz vor der Fußball-Europameisterschaft erlitt er nun einen Muskelfaserriss, Polens ersten EM-Auftritt gegen die Niederlande (1:2) versäumte er komplett, den zweiten gegen Österreich (1:3) zu zwei Dritteln; und nach seiner Einwechslung schien er nicht voll belastbar.

Robert Lewandowski: War der Auftritt in Dortmund sein letzter für Polen?

Durch die beiden Pleiten war Polen bereits vor dem dritten Gruppenspiel gegen Frankreich ausgeschieden, aber als sich das Dortmunder Stadion in der prallen Dienstagssonne erhitzt, taucht Lewandowski wieder in der Startelf auf. Er, der beste Fußballer, den das osteuropäische Land je hervorgebracht hat.

Eine nicht unumstrittene, aber eindeutig historische Sportikone. In seinem 152. und – Obacht – vielleicht finalem Länderspiel?

Nein, nein, sagte Lewandowski am Tag vor dem Frankreich-Spiel, „ich spüre noch dieses Feuer in mir, das ist nicht mein letztes Spiel“. Es ist dann auch nicht sein bestes, aber ein ordentliches.

Aufmunternd in den Gesten (bei ihm eine Erwähnung wert), auf dem Feld fast wie ein Spielertrainer agierend, ein paar akrobatische Einlagen, dazu gefährlich per Kopf aus der Nähe (34. Minute) und per Fuß aus der Ferne (72.).

Lewandowskis seltsame Elfmeter – was soll denn das?

Die Geschichte, die schließlich die Überschriften füllt, ist die Minutenspanne 77 bis 79. Als Polen, 0:1 in Rückstand, einen Foulelfmeter erhält, wird der ewig junge Lewandowski-Move dargeboten. Wobei es ein bisschen so ist wie mit den Verletzungen: Dinge ändern sich.

Gerade beim FC Bayern, von 2014 bis 2022, hatte Lewandowski die Ausführung von Strafstößen zur eigenen Kunstform erhoben. Das war halbwegs merkwürdig, womöglich albern, allerdings gnadenlos erfolgreich.

Lewandowski läuft beim Elfmeter ja nicht einfach an und schießt; er trippelt, verzögert, starrt den Keeper an, noch ein Schritt, noch ein Abstoppen, noch ein Anstarren und so weiter.

Mit dieser unorthodoxen Technik versucht Lewandowski den Torwart zu provozieren, sich irgendwann für eine Ecke zu entscheiden – sodass er, Lewandowski, zur Not im letzten Moment seine Fußhaltung justieren kann, um den Torwart „auszugucken“, wie das heißt, oder: zu „verladen“.

Lewandowskis Anlauf „sieht komisch aus, aber ist erlaubt“

Hat ziemlich oft geklappt, doch am Dienstag pariert Frankreichs Maik Maignan den unplatziert getretenen Ball. Einziger Makel: Unbewusst verlässt der Torwart dabei die Linie zu früh, indirekt eine Folge von Lewandowskis Verzögerungstaktik. Also Wiederholung.

Gleiches Prozedere, anderer Ausgang, obgleich Maignan erneut die Ecke ahnt. Diesmal gerät Lewandowskis Schuss präzise genug, der Innenpfosten hilft mit.

Wobei: Ist das nicht unfair, wenn Lewandowski tausendmal abbremsen darf, aber Maignan keinen Millimeter vorrücken? „Die Problematik ist, dass er, so oft er will, beim Anlauf stoppen darf“, erklärt Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich bei MagentaTV.

„Nur wenn es zum Schuss kommt und das Standbein neben dem Ball ist, muss der Schwung durchgezogen werden. Und das hat er gemacht. Auch wenn es komisch aussieht und ärgerlich für den Torhüter ist, es ist erlaubt.“

Lewandowskis 83. Länderspieltor versöhnt ihn etwas mit diesem verkorksten Turnier. Als erst dritter Akteur nach Cristiano Ronaldo und Luka Modric traf er nun bei vier verschiedenen Europameisterschaften. Beim FC Barcelona, im Übrigen, trifft er ebenfalls noch passabel bis gut, in der Vorsaison wurden 26 Pflichtspieltore in 49 Einsätzen notiert.

Gleichzeitig sind es kleine Galaxien zu den Werten und Quoten, die Lewandowski einst erreichte – in seiner Münchner Rekordsaison 2020/21 waren es surreale 48 Tore in 40 Spielen.

Lewandowski und Mbappé – zwei Elfmeter als Zeitenwende

Die Höflichkeit verbietet es, von einem sportlichen „Verfall“ zu sprechen. Aber weder lügen Zahlen noch täuschen sämtliche Sinneseindrücke.

Wer Lewandowski genauer beobachtet, erkennt nach wie vor einen überdurchschnittlich begabten Stürmer, der seinen Körper clever positioniert, der Spieldynamiken begreift und Bälle verteilen wie verwerten kann. Aber eben auch: Einen bald 36-Jährigen, dem im Vergleich zur Vergangenheit inzwischen ein Tick fehlt.

Viele seiner Aktionen sind einen Tick behäbiger als damals, einen Tick unsauberer, einen Tick zaudernder. Selbst bei der Paradedisziplin Elfmeter.

Insofern mag die Art und Weise, wie Frankreichs Kylian Mbappé seinen Strafstoß gegen Polen verwandelt, als symbolischer Beweis für die Zeitenwende dienen. Während der frühere Weltfußballer Lewandowski zwei Versuche und krude Anlaufvarianten benötigt, setzt der 25-jährige Mbappé – wahrscheinlich angehender Weltfußballer – den Ball schnörkellos, überzeugt und überzeugend ins Netz. Sturm-Spitze ist bloß noch einer von beiden.