Erkenntnisse des Taktik-Experten - Noch nie wurde bei einer EM so deutsch gejubelt wie diesmal

Niclas Füllkrug, Antonio Rüdiger, Robert Andrich<span class="copyright">Imago</span>
Niclas Füllkrug, Antonio Rüdiger, Robert AndrichImago

Die ersten 36 Spiele der EM 2024 sind absolviert – und zugleich müssen acht Nationen nach Hause fahren. In der Gruppenphase gab es viele knappe Entscheidungen und nur wenig Teams, die positiv hervorstachen.

Bei beim Torjubeln wird Deutsch gesprochen. Wenn auch mit etwas Dialekt. Denn Deutschland, Österreich und die Schweiz haben sich als drei der torgefährlichsten Teams bei der Gruppenphase der EM hervorgetan. Die ÖFB-Auswahl traf in zwei Partien jeweils dreimal, das DFB-Team setzte mit dem 5:1 gegen Schottland sein erstes Ausrufezeichen. Dieser Sieg war zugleich das deutlichste Ergebnis im bisherigen Turnier.

Sonst sahen wir aber viele knappe und teils zähe Partien – speziell am abschließenden Gruppenspieltag. Der Modus, wonach auch vier der sechs Gruppendritten weiterkommen , hat sicherlich einen Teil dazu beigetragen.

Einige Nationen spielten bewusst auf Remis, was man in der Form nur sehr selten im Fußball erlebt. Allerdings hing die enge tabellarische Situation in einigen Gruppen auch damit zusammen, dass sich viele Teams auf recht ähnlichem Niveau befinden. Die vorherrschende Vorsicht zeigte sich auch darin, dass in der Vorrunde nur 2,25 Tore pro Spiel fielen, der zweitniedrigste Wert seit 1996.

Speziell in puncto Pressing gab es viel Gleichförmigkeit. Hoch angelaufen wurde zumeist mit zwei respektive drei Spielern. Zugriff hatten aber lediglich Teams wie Dänemark, die Schweiz oder mit Abstrichen auch Spanien.

Darüber hinaus zeigten viele Nationen eine deutliche Verwundbarkeit bei der Absicherung der tiefen Mittelfeldräume: Die Niederlande oder Belgien etwa konnten selten die Wege zum eigenen Strafraum schließen und wurden selbst von den Offensivreihen vermeintlich schwächerer Nationenen ganz schön ausmanövriert.

England zaghaft, Schweiz hochflexibel

Um der defensiven Anfälligkeit entgegenzuwirken, präferieren einige Nationaltrainer einen recht risikoarmen Ballbesitzfußball. Der Posterboy dafür ist sicherlich Gareth Southgate, der mit der englischen Mannschaft trotz aller individueller Qualität harmlos auftritt.

Die Engländer agieren mit viel Ballbesitz, spielen jedoch die Kugel die meiste Zeit um den Defensivblock des Gegners herum. So wird die Wahrscheinlichkeit möglicher Ballverluste reduziert, aber das Potenzial von Jude Bellingham und den anderen Stars ruft man auf diese Weise nicht ab.

Frankreich agierte in der Vergangenheit ähnlich, zeigte sich aber besser darin, punktuell einen Angriff auszulösen und mit vielen Spielern nach vorne zu rücken. So wie auch bei dieser EM, wenngleich die offensive Durchschlagskraft schon stark von Kylian Mbappé und Antoine Griezmann abhängig ist.

Es braucht Einzelkönner wie Musiala oder Williams

Ganz grundsätzlich spielen offensive Individualisten auf internationaler Ebene eine enorme Rolle, denn die Spielsysteme können aufgrund der geringen Trainingsarbeit nicht so einstudiert werden wie auf Vereinsebene.

Deshalb braucht es bei allem Zusammenspiel eben auch ausgewiesene Könner, die sich im Eins-gegen-Eins durchsetzen. Jamal Musiala oder auch Spaniens Nico Williams sind zwei exzellente Beispiele dafür, wie Individualisten die nötige Durchschlagskraft erzeugen können.

Wer über wenige oder gar keine derartigen Ausnahmespieler verfügt, muss wiederum versuchen, taktische Flexibilität zu zeigen. Die Schweiz und Österreich sind zwei Beispiele dafür.


Besonders die „Nati“ zeigt durch positionelle Rochaden gerade im Übergang von Defensiv- und Offensivspiel, wie man aus einem guten Kader das meiste herausholt.

Deutschland tritt sicherlich unter anderen Vorzeichen an, denn die DFB-Elf besitzt eine herausragend besetzte Offensive. Trotzdem praktiziert Bundestrainer Julian Nagelsmann ebenso wie seine Kollegen Murat Yakin und Ralf Rangnick positionell variablen Fußball.

Lediglich in der Defensive hakt es bei Deutschland. Aber damit liegt die DFB-Elf ja absolut im Trend dieser EM.